Ungarns Premier Viktor Orban vor ungarischen Fahnen
APA/AFP/Attila Kisbenedek
Bruch mit EU-Fraktion

Orban holt FIDESZ-Abgeordnete aus EVP

Nach jahrelangem Streit hat es am Mittwoch den endgültigen Bruch gegeben. Die FIDESZ-Partei des ungarischen Präsidenten Viktor Orban verlässt die bürgerliche Fraktion EVP im EU-Parlament. Damit kam er einer Suspendierung seiner Partei durch die EVP-Fraktion zuvor. Denn diese hatte zuvor mit einer Änderung der Geschäftsordnung den Weg dafür geebnet.

Mit der mit über 80 Prozent der Stimmen angenommenen neuen Geschäftsordnung können nicht mehr nur einzelne Abgeordnete, sondern ganze Länderdelegationen ausgeschlossen werden. Bei den 28 Gegenstimmen waren auch die der ÖVP-Abgeordneten – mit Ausnahme der Stimme von EU-Parlament-Vizepräsident Othmar Karas – enthalten.

„Ich halte den Vorschlag für einen Schnellschuss, der ein einziges kurzfristiges Ziel verfolgt und nicht langfristige, nachhaltige Lösungen ermöglicht“, argumentierte ÖVP-Delegationsleiterin Angelika Winzig. Aus der ÖVP-Zentrale in Wien hieß es, dass der Austritt der FIDESZ-Abgeordneten „bedauerlich“ sei. Die ÖVP-Delegation habe sich „stets gegen Pauschalausschlüsse oder den kollektiven Ausschluss mehrerer Abgeordneter ausgesprochen“.

FIDESZ tritt aus EVP aus

Nach jahrelangem Streit hat es am Mittwoch den endgültigen Bruch gegeben. Die FIDESZ-Partei des ungarischen Regierungschefs Viktor Orban verlässt die bürgerliche Fraktion EVP im EU-Parlament. Damit kam er einer Suspendierung seiner Partei durch die EVP-Fraktion zuvor.

„Undemokratisch, ungerecht und inakzeptabel“

Orban hatte für diesen Fall schon länger mit dem Rückzug der zwölf FIDESZ-Abgeordneten gedroht. Den machte er nun am Mittwoch mit einem Schreiben an EVP-Fraktionschef Manfred Weber (CSU) fix: Der Parteivorstand habe beschlossen, die Fraktion „sofort“ zu verlassen.

Die Regeländerungen seien ein „feindlicher Akt gegen FIDESZ und unsere Wähler“, so Orban. Die EVP-Fraktion versuche „unsere demokratisch gewählten Abgeordneten zum Schweigen zu bringen und zu behindern“. Das sei „undemokratisch, ungerecht und inakzeptabel“. Die FIDESZ-Abgeordnete Katalin Novak veröffentlichte Orbans Brief via Twitter.

EVP bleibt stärkste Fraktion

Die FIDESZ-Mandatare können nun zur rechtsnationalen Fraktion EK, in der die polnische PiS vertreten ist, oder zur noch weiter rechts stehenden Gruppe ID mit der deutschen AfD und der italienischen Lega im Parlament wechseln. Die Rechten wären in jedem Fall gestärkt, die EVP muss auf die zwölf Stimmen aus Ungarn verzichten, bleibt aber die stärkste Fraktion. „Orban ist willkommen“, verkündete AfD-Chef Jörg Meuthen am Mittwoch.

Grafik zur Sitzverteilung im EU-Parlament
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: Europaparlament

Weber hatte unmittelbar vor der Entscheidung der Fraktion über die Geschäftsordnung noch einmal an Orban geschrieben und ihm ein Telefonat vorgeschlagen. In dem Brief erinnerte Weber daran, dass die Änderung der Geschäftsordnung noch keine unmittelbare Auswirkung auf irgendein Mitglied der EVP-Fraktion habe oder die Grundrechte von Abgeordneten einschränken würde. Orban sah die Entscheidung der Fraktion dennoch als Affront an.

Weber wirft FIDESZ eine Abkehr von christdemokratischen Grundwerten vor. Die Partei stehe nicht länger auf derselben Grundlage wie die christdemokratischen Gründerväter einschließlich Konrad Adenauer, sagte der CSU-Politiker. „Es ist der FIDESZ, der sich abgewandt hat.“ Weber sagte, er bedaure das. „Dies ist kein Tag, wo ich sagen könnte, ich wäre glücklich über das, was passiert ist“, sagte er. Gut sei jedoch die geschlossene Haltung der EVP-Fraktion bei der Änderung der Geschäftsordnung. „Von heute an sind die Dinge klarer“, sagte Weber.

„Nicht in die Knie gehen“

Der Konflikt innerhalb der konservativen Parteienfamilie schwelt schon länger wegen Orbans Haltung zur Rechtsstaatlichkeit, seines Umgangs mit der Pressefreiheit, Justiz und Wissenschaft. Gegen Ungarn läuft zudem ein Rechtsstaatsverfahren nach Artikel 7 der EU-Verträge – das gilt als schärfste Sanktionsmöglichkeit gegen einzelne Mitgliedsstaaten, die mutmaßlich EU-Grundwerte verletzen.

Auf Parteiebene ist die Mitgliedschaft des FIDESZ in der EVP bereits seit 2019 suspendiert, unter anderem wegen mutmaßlicher Verstöße gegen EU-Grundwerte sowie wegen Verbalattacken gegen den damaligen EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker. Nun gibt es die Partei auch nicht mehr in der EVP-Fraktion. Schon im April 2020 forderte rund ein Dutzend nationaler Delegationen, die FIDESZ-Mitgliedschaft zumindest auszusetzen. Das war bisher aufgrund der Geschäftsordnung allerdings nicht möglich.

Othmar Karas
APA/Hans Punz
Karas forderte vehement Konsequenzen für Orbans FIDESZ

Besonders Karas hatte sich für eine Änderung der Geschäftsordnung eingesetzt: „Wir dürfen aus Haltungsgründen, aus Glaubwürdigkeitsgründen nicht vor einer derartigen Politik in die Knie gehen.“ FIDESZ habe keinerlei Anstalten gemacht, sich zu verändern. Ähnlich äußerten sich Vertreter der nordischen und baltischen EVP-Parteien.

Schieder: „Besser spät als nie“

Die Abstimmung über die Geschäftsordnung sei auch eine „Absage an den Erpressungsversuch von Viktor Orban“ gewesen, so Karas. „Dieses Vorgehen Orbans reiht sich in eine Reihe verstörender Aussagen von FIDESZ-Politikern ein.“ Der grüne Europasprecher Michel Reimon gratulierte Karas, der sich innerhalb der EVP durchgesetzt habe. Es sei gut, dass Orban das EVP-Netzwerk künftig nicht mehr nutzen könne.

Der SPÖ-Delegationsleiter Andreas Schieder kommentierte den Bruch mit den Worten: „Besser spät als nie.“ Die EVP habe der ständigen Hetze gegen Geflüchtete und Attacken gegen den liberalen Rechtsstaat jahrelang zugesehen. FPÖ-Bundesparteiobmann Norbert Hofer zeigte Verständnis für den Schritt Orbans, da er die „ständigen Demütigungen“ der FIDESZ-Abgeordneten durch andere EVP-Mitglieder beobachtet habe.

Zäsur für EVP-Fraktionschef Weber

EVP-Parteichef Donald Tusk hatte schon länger versucht, die ungarische Regierungspartei aus der EVP-Fraktion zu werfen. Anlass war das umstrittene Notstandsgesetz anlässlich der Coronavirus-Krise im März vergangenen Jahres, mit dem Orban seine Macht in Ungarn weiter ausbaute. Tusk konnte sich mit seinem Vorstoß aber – nicht zuletzt aufgrund des Zögerns der deutschen Unionsparteien CDU und CSU – nicht durchsetzen.

Manfred Weber
Reuters/Johanna Geron
EVP-Fraktionschef Weber hatte lange versucht zu vermitteln, geriet zuletzt aber auch in einen harten Konflikt mit Ungarn

Zuletzt war aber auch Weber in einen scharfen Konflikt mit Orban geraten. Ende vergangenen Jahres hatte der FIDESZ-Abgeordnete Tamas Deutsch Aussagen von Weber in die Nähe der Gestapo sowie des Geheimdiensts AVH im kommunistischen Ungarn gerückt. In einer turbulenten Videositzung der Fraktion wurde eine Suspendierung von Deutsch noch abgewendet. Dieser Vorfall gab allerdings den Anstoß, an einer neuen Geschäftsordnung zu arbeiten.

Peter Fritz über die Entscheidung der FIDESZ

Welche Folgen der Austritt der FIDESZ aus der EVP hat, analysiert Peter Fritz.

„Europäische Politik unberechenbarer“

Mit der Austrittsentscheidung habe Orban nun nicht mehr die EVP und das EU-Parlament als Mittel, um seine Interessen durchzusetzen, analysiert der Politologe Zoltan Kiszely vom Meinungsforschungsinstitut Szazadveg. Er müsse nun seine Interessen über den Europäischen Rat geltend machen. Das führe dazu, dass Orban das EU-Parlament weiter abwerten, den Europäischen Rat aufwerten werde, so Kiszley: „Das wird die europäische Politik unberechenbarer machen.“

Für den EU-Parlamentsabgeordneten der rechtsradikalen ungarischen Jobbik, Marton Gyöngyösi, hat Orban mit dem Bruch einen weiteren Schritt in Richtung EU-Austritt Ungarns gesetzt. Das sei ein „Tag des gigantischen Sturzes“ von Orban, da er nun jede Chance verloren habe, eine bestimmende Person in der europäischen Politik zu sein. Auch der Chef der liberalen Partei Momentum, Andras Fekete-Györ, meint, dass sich Orban nun noch weiter von Europa entfernt habe.