Szene aus „La Traviata“
Wiener Staatsoper
„La Traviata“

Verdis Hommage an unabhängige Frauen

Leidenschaftlich, emanzipiert und unabhängig: Im Mittelpunkt von Giuseppe Verdis „La Traviata“ steht die Kurtisane Violetta – von der Gesellschaft ausgestoßen, todkrank, zu spät doch noch durch die Liebe erlöst. Das auf Alexandre Dumas’ Roman „Die Kameliendame“ basierende Werk interessierte den Komponisten aufgrund seiner eigenen Biografie – empörte bei der Uraufführung 1853 aber das Publikum. Heute gilt die „Traviata“ als meistgespielte Oper Verdis.

An der Wiener Staatsoper ist seit Sonntag – pandemiebedingt vorerst als Stream – eine Koproduktion mit der Opera national de Paris zu sehen. Die Inszenierung des australisch-schweizerischen Regiestars Simon Stone verlegt das Stück in die Gegenwart. Er versuche nie herauszufinden, was dieses Stück einmal war, so Stone. „Ich versuche nur herauszufinden, was dieses Stück jetzt für unsere Gesellschaft bedeutet.“ Seine Violetta (Pretty Yende) ist ein Pariser „It-Girl“ und eine Influencerin – auf riesigen Leinwänden ist ihr Social-Media-Leben der virtuellen Schaulust ausgesetzt.

Zu Verdis Zeiten war man es gewohnt, in der Oper historische Stoffe präsentiert zu bekommen. Die zeitgenössische „La Traviata“ fiel dementsprechend aus dem Rahmen und Verdis Clou, die Prostituierte Violetta aufs Podest zu heben und mit ihrem Schicksal der heuchlerischen Gesellschaft den Spiegel vorzuhalten, sorgte für fast ebenso viel Wirbel wie die beim Publikum durchgefallene Premierenbesetzung.

Mit Vorurteilen und Schmähungen hatte der schon damals erfolgreiche Verdi auch selbst seine Erfahrungen gemacht. Als er mehrere Jahre nach dem frühen Tod seiner ersten Frau mit der gefeierten Sopranistin Giuseppina Strepponi zusammenzog, löste das einen Skandal aus. Strepponi war „schon“ 32 Jahre alt, hatte drei Kinder von verschiedenen Vätern und trotz ihres beruflichen Erfolgs als Sängerin, mit dem sie ihre Kinder, ihre Mutter und ihre Geschwister versorgen konnte, galt sie als nicht gesellschaftsfähige „Gefallene“ und sicher nicht standesgemäße Lebensgefährtin Verdis.

Aufs Land gemobbt

Das Paar wurde in seiner Heimatstadt Bussetto gemobbt, bis es der bissigen Bourgeoisie den Rücken kehrte und Verdi im Exil auf dem Land mit seiner Arbeit an der „Traviata“ begann.

Giuseppina Strepponi
Public Domain
Giuseppina Strepponi, Verdis zweite Frau

Das Libretto bleibt nahe an Dumas’ Vorlage und ist ein rasantes Kammerspiel: Violetta verliebt sich in Alfredo, sie fliehen aufs Land. Alfredos Vater, Giorgio Germont, erfährt von der Liaison, bittet Violetta zum Schutz der Familienehre, auf den Sohn zu verzichten. Im Wissen um ihre tödliche Schwindsucht wendet sich Violetta von Alfredo ab – der erkennt die wahre Liebe natürlich zu spät, und der Tod trennt die beiden genau in dem Moment, in dem sie mit Germonts Segen zusammenfinden würden.

Ungeachtet aller Konventionen seiner Zeit lässt Verdi Violetta als starke, selbstbestimmte Frau auftreten, und obwohl sie sich selbst für ihren Geliebten Alfredo opfert, lässt sie sich nicht von anderen zum Opfer machen. Er kritisiert die Doppelmoral, mit der Violetta gefeiert und verachtet wird. Mit Germont scheint noch ein autobiografischer Bezug Verdis in der „Traviata“ auf: Sein Mäzen und Vater seiner ersten Frau, Antonio Barezzi, gehörte ebenso zu jenen, die seine Beziehung zu Strepponi verachteten – bis er sich, ähnlich wie Germont, schließlich später geläutert zeigte.

Walzer-Rausch und große Emotionen

Musikalisch hat Verdi für die „Traviata“ eine der glänzendsten Sopranrollen des Opernkatalogs geschaffen. Von virtuosen Koloraturen im ersten Akt, über einen lyrisch fordernden zweiten Akt bis hin zu große Dramatik am Ende ist Violetta durchgehend im Rampenlicht.

Szene aus „La Traviata“
Wiener Staatsoper
Prette Yende ist an der Staatsoper als Influencerin Violetta in Simon Stones Inszenierung zu sehen

Obwohl Verdi die Handlung zur Beruhigung der Zensurbehörde für die Uraufführung alibihalber in der Ausstattung ins 17. Jahrhundert vorverlegen ließ, lässt die Musik keinen Zweifel daran, wo er die Oper eigentlich verortete. Die beständig treibenden Walzer-Rhythmen der Salonszenen erzeugen das gefährlich exzessive Lebensgefühl im Paris des 19. Jahrhunderts, das schon zu Beginn in Violettas legendärer Cabaletta „Sempre libera“ („Immer frei“) gipfelt.

Verdis Fähigkeit, Gefühle in ohrwurmtaugliche Musik umzuwandeln, macht den Sog der „Traviata“ aus. Wiederkehrende Motive spannen den Bogen von der Liebe bis in den Tod – entsprechend dem Arbeitstitel „Amore e morte“, den Verdi und sein Librettist Francesco Maria Piave gewählt hatten. Schon am Beginn nimmt so auch die Melodie das tragische Ende vorweg, denn auch wenn es nie zu einem Happy End für Violetta kommen wird: Ihre Geschichte ist so unsterblich wie „La Traviata“.