Eine Frau wird von einer Ärztin geimpft
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EU-CoV-Impfpass

WHO äußert „schwere Bedenken“

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) lehnt die in Sachen Coronavirus-Pandemie von der EU-Kommission geplanten Impfpässe ab und meldet „ernste Bedenken“ dagegen an. Zwar sei die für den Sommer angekündigte Einführung „wohl unvermeidlich“, sagte der Regionaldirektor der WHO für Europa, Hans Kluge, der deutschen „Welt“, „aber es ist keine Empfehlung der WHO“.

Es gebe ernste Bedenken: So sei unsicher, wie lang die Immunität anhalte. Auch könne ein Impfstoff „nicht unbedingt die Ansteckung anderer Menschen verhindern“. Die Staats- und Regierungschefs der EU hatten zuvor vereinbart, die Pläne für einen digitalen Impfpass voranzutreiben. Binnen drei Monaten sollen die technischen Voraussetzungen stehen, damit Coronavirus-Geimpfte europaweit fälschungssicher ihre Immunisierung nachweisen können.

Kluge warnte erneut davor, die Mutationen des Coronavirus zu wenig ernst zu nehmen, weil sich manche sehr schnell verbreiten könnten und schwere Krankheitsverläufe auslösten. „Wenn dies nun zusammenfällt mit einer nur langsamen Impfkampagne, dann verlieren wir Momentum. Dann kann das Virus wieder die Oberhand gewinnen.“ Jetzt sei noch nicht die Zeit für die Menschen in Europa, sich zurückzulehnen. Am Donnerstag hatte Kluge mitgeteilt, dass die Zahl der Neuansteckungen in Europa nach einer sechswöchigen Phase des Rückgangs wieder um neun Prozent auf mehr als eine Million gestiegen war.

„Grüner Pass“: Von Infektion bis Impfung

Kluge rechnet damit, dass die Pandemie in rund zehn Monaten zu Ende sein werde. Er gehe davon aus, dass 2021 ein weiteres CoV-Jahr werde, 2020 sei „Terra Incognita“ (Neuland) gewesen. „Ein Jahr später wissen wir viel mehr. Deshalb gehe ich davon aus, dass die Pandemie Anfang 2022 vorbei ist“, was nicht heiße, dass das Virus weg sei. „Aber hoffentlich braucht es dann keine der disruptiven Interventionen mehr.“

Die EU-Kommission will indes bald ihren Vorschlag für einen digitalen „Grünen Pass“ vorlegen, der Informationen über die CoV-Impfung, -Tests und Genesung von einer Covid-19-Erkrankung enthalten soll. Ziel ist es, einen sicheren Weg zur Aufhebung von Beschränkungen und zum Reisen in Europa zu finden. „Wir werden am 17. März eine Initiative präsentieren, die sich auf Reisen und Mobilität konzentriert“, so der Vizepräsident der EU-Kommission, Margaritis Schinas, am Montag auf Twitter. Bei dem „Grünen Pass“ müssten Datenschutz, Sicherheit und Privatsphäre geachtet werden, schrieb der Kommissionsvizepräsident weiter. Es gehe um sichere Öffnungsschritte, ohne das bisher Erreichte zu gefährden.

Kurz: Chance, Reisefreiheit zurückzuerlangen

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte zuvor gesagt, die EU-Kommission wolle noch in diesem Monat einen Gesetzesentwurf für einen „digitalen Grünen Pass“ für CoV-Geimpfte vorlegen. Damit werde klar, wie der europäische Impfnachweis konkret aussehen solle, sagte von der Leyen am Montag in einer Rede vor konservativen deutschen Abgeordneten im Europaparlament.

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) begrüßte am Montag die Ankündigung der EU. „Es freut mich, dass die EU-Kommission bei der Umsetzung des digitalen ‚Grünen Passes‘ die Dringlichkeit erkannt hat. Es wäre fatal, hier Monate verstreichen zu lassen“, so Kurz in einer Stellungnahme. Der „Grüne Pass“ für Geimpfte, Getestete und Genesene sei die Chance, europaweit die Reisefreiheit zurückzuerlangen und damit ein Stück Normalität trotz gleichzeitiger Sicherheit, wiederholte der Bundeskanzler seine Haltung.

Belgien sieht Diskriminierung

Kritik kam dagegen umgehend aus Belgien. Der Begriff „Pass“ werde im Vorschlag von der Leyens verwirrend verwendet, kritisierte die belgische Außenministerin Sophie Wilmes auf Twitter. „Für Belgien kommt es nicht infrage, die Impfung mit der Freizügigkeit in Europa zu verknüpfen. Die Achtung des Prinzips der Nichtdiskriminierung ist grundlegender denn je, da die Impfung nicht obligatorisch ist und der Zugang zum Impfstoff noch nicht allgemein ist“, so Wilmes.

Die EU-Staaten hatten sich vergangene Woche auf einem EU-Gipfel im Grundsatz auf einen gemeinsamen Ansatz bei der Einführung eines europaweit gültigen Impfausweises geeinigt und die Europäische Kommission mit der technischen Ausarbeitung beauftragt. Laut Zeitplan sollen die technischen Vorbereitungen drei Monate dauern, also etwa bis Ende Mai. Technisch wäre man damit vor der Sommersaison startklar. Eine Reihe von Fragen ist aber noch offen.

Warnung vor Impfpflicht durch die Hintertür

Ziel ist, dass Geimpfte und Genesene mit Attest fälschungssicher ihre Immunisierung sowie Nichtgeimpfte negative Testergebnisse nachweisen können. Das könnte über ein einheitlich lesbares Dokument mit QR-Code geschehen, das man auf Papier oder auf dem Smartphone bei sich tragen könnte, ähnlich wie ein Zugsticket. Dazu müssen die nationalen Systeme der 27 EU-Staaten vergleichbar ausgestaltet beziehungsweise verknüpft werden.

Uneinig sind sich die EU-Länder noch in der Frage, was das Impfzertifikat den Inhabern ermöglichen soll. Urlaubsländer wie Österreich und Griechenland wollen eine klare Verknüpfung mit Vorteilen für CoV-Geimpfte: einfacheres Reisen, Zugang zu Restaurants und Theatern. Deutschland und andere Länder wie Frankreich und eben Belgien bremsen dagegen.

Einerseits, weil noch unklar ist, ob man trotz Impfung das Coronavirus weitergeben kann. Andererseits, weil in der EU bisher nur eine kleine Minderheit geimpft ist. Vorteile für die wenigen Geimpften würde daher eine Diskriminierung der anderen bedeuten, so das Argument. Außerdem warnen Kritiker, dass dadurch de facto eine Impfpflicht durch die Hintertür eingeführt würde.