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Interne E-Mails

Wirecards Millionendeal mit den ÖBB

Ab Herbst 2014 hat sich der inzwischen in Verruf geratene deutsche Finanzdienstleister Wirecard um einen lukrativen Vertrag mit den Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) bemüht. Ein Jahr später gab es für den millionenschweren Auftrag auch den Zuschlag. Wie es dazu kam, zeigen auch interne Mails, die einem Rechercheverbund von ORF, „Standard“ und „profil“ vorliegen.

Jan Marsalek, der inzwischen untergetauchte ehemalige Wirecard-Vorstand, war starken Ansagen nicht abgeneigt. „Man wird Euch immer sagen, dass der Preis zu hoch ist. Die ÖBB hat ja einen professionellen Einkauf. Ich bin die einzig wahre Quelle zu Informationen zum Preis und der Preis ist NICHT zu hoch solange ich nicht mit anderem Feedback auf Euch zukomme“, schrieb er etwa Anfang Oktober 2015 in einer E-Mail an Mitarbeiter.

Zu diesem Zeitpunkt bemühte sich der deutsche Finanzdienstleister seit einem Jahr um einen Millionenauftrag für die ÖBB. Die suchten damals einen neuen Anbieter für ihr elektronisches Zahlungssystem im Personenverkehr. Und Wirecard wollte eben so etwas zur Verfügung stellen.

Zentrale von Wirecard in Aschbach
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Wirecard galt jahrelang als Vorzeigeunternehmen

Fünf Jahre später wurde Wirecard zum Paradebeispiel eines bilanztechnischen Kartenhauses. Das Unternehmen meldete 2020 Konkurs an, fast zwei Milliarden Euro waren „verschwunden“. Der langjährige Vorstandsvorsitzende Markus Braun trat zurück und sitzt mittlerweile in U-Haft. Marsalek ist seit fast einem Jahr flüchtig und wird per internationalen Haftbefehl gesucht. In Deutschland beschäftigt sich ein eigener Untersuchungsausschuss mit dem Fall. Die Causa schlug Wellen bis in das Österreichische Bundesamt für Verfassungsschutz und die heimische Innenpolitik.

Kontakt über PR-Berater

2014 war die Welt für Wirecard allerdings noch in Ordnung. Und die ÖBB waren bei Weitem nicht das einzige Unternehmen, das eine Zusammenarbeit mit dem Finanzdienstleister ins Auge fasste. Den Kontakt zwischen Wirecard und den ÖBB hatte ein ÖVP-naher Wiener PR-Berater hergestellt, befreundet mit dem damaligen Vorstand der ÖBB Personenverkehr, Georg Lauber. Konzernchef der ÖBB war damals Christian Kern, der eineinhalb Jahre später als Bundeskanzler und SPÖ-Chef in die Politik wechselte.

Im Herbst 2014 vermittelte der Berater ein Treffen zwischen Lauber und Marsalek. Und – so lassen es die E-Mails erkennen – zumindest Marsalek war angetan: „Wird nicht unser größter Kunde, aber mein persönlicher Lieblingskunde“, heißt es in einer internen Mail des ehemaligen Wirecard-Vorstands.

Österreich-Bezüge im Wirecard-Skandal

Im Bilanzskandal um den Finanzdienstleister Wirecard gibt es viele Bezüge zu Österreich. Die Ex-Vorstände Markus Braun und Jan Marsalek haben beide ihre Wurzeln in Wien. Und einer der großen Kunden von Wirecard sind die ÖBB.

Viel Mühe in die Vorbereitung steckte der Finanzdienstleister allerdings erst einmal nicht. Am 2. Oktober kam eine Delegation mit Lauber nach Bayern, um sich das Konzept von Wirecard präsentieren zu lassen. In der Früh des gleichen Tages fragte Marsalek in einer firmeninternen Mail: „Haben wir da eine Präsentation für heute?“ Am Ende wurde einfach eine alte Präsentation für die Deutsche Bahn etwas aufgehübscht.

Ein Pandabär auf dem Weg nach Wien

Seinen Abschluss fand der Geschäftsbesuch schließlich auf der Münchner Wies’n. Marsalek und eine ÖBB-Managerin schrieben sich im Anschluss daran noch eine ganze Reihe an amikalen E-Mails – und sogar ein Plüschpanda wurde extra von Bayern an die ÖBB-Zentrale nach Wien geschickt. Das Kuscheltier hatte die Managerin bei dem Oktoberfest-Ausflug vergessen. Und eine Assistentin Marsaleks hatte das Tier sogar noch eigenhändig vor seiner Reise nach Wien geflickt – auch das ist per Mail festgehalten.

ÖBB-Zentrale in Wien
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In der ÖBB-Zentrale in Wien schaute man der Zusammenarbeit mit Wirecard offensichtlich freudvoll entgegen

Für Wirecard schien der Auftrag jedenfalls zunehmend konkreter zu werden. Ende November schrieb ein Mitarbeiter Marsaleks auf dessen Nachfrage, ob es „schon News von der ÖBB“ gebe: „Grundsätzlich muss / wird ÖBB das Acquiring ausschreiben. Sie wollen allerdings die Ausschreibung an unsere Antworten anlehnen.“ Zur Ausschreibung kam es schließlich ein halbes Jahr später.

Ausschreibung abgebrochen

Wirecard war dabei nicht der einzige Bewerber – und offenbar auch nicht der günstigste. Ein Wirecard-Manager schrieb Mitte September 2015 unter anderem an Marsalek, man habe „konkretes Feedback“ von den ÖBB erhalten. „Speziell im Acquiring und Issuing sind wir deutlich teurer als unsere Mitbewerber.“ Zwei Wochen später kam dann die Mail Marsaleks, in der er sich als „einzig wahre Quelle zu Informationen zum Preis“ bezeichnete.

Tatsächlich stornierten die ÖBB die Ausschreibung und starteten eine neue. Das zweite Bieterverfahren wurde später von einem Mitbewerber beeinsprucht – allerdings erfolglos. Der Zuschlag ging an Wirecard. „Lieber Jan (…) Nach einem hürdenreichen Prozess ist der Zuschlag erfolgt. Damit kann unsere Zusammenarbeit beginnen. Ich freue mich schon darauf“, heißt es in einer Mail Anfang November aus der ÖBB-Zentrale.

Hohe Vertragsstrafe für Wirecard

Doch lange währte die Freude nicht. Die Systeme von Wirecard erwiesen sich als weit nicht so zuverlässig wie versprochen. Jene Managerin, der Marsalek den Plüschpanda nach Wien nachgeschickt hatte, beschwerte sich schon wenig später in einer Mail an den Wirecard-Vorstand, dass „die vertraglich geschuldeten Leistungen bis dato nicht bzw. nur mangelhaft erbracht wurden“. Gleich im ersten Jahr wurde eine hohe Vertragsstrafe fällig. Bis 2019 blieb die Zusammenarbeit durchwachsen.

Verweis auf korrekte Abwicklung

Dass aber auch auf dem Weg zur Zusammenarbeit nicht alles mit rechten Dingen zuging, bestreiten alle Beteiligten. Die Firma des Beraters, der Marsalek und Lauber zusammengebracht hatte, ließ per Anwalt ausrichten, sie sei „in keiner Weise und zu keinem Zeitpunkt in das Vergabeverfahren der ÖBB an Wirecard involviert gewesen“. Auch ein Provisionsvertrag, von dem in Wirecard-internen Mails die Rede ist, sei nie abgeschlossen worden.

Die Ausschreibung sei korrekt abgewickelt worden, von einem Beratervertrag habe man nichts gewusst, hieß es auch seitens der ÖBB. Die „Wirecard Bank AG ist unter dem neuen Eigentümer für die ÖBB tätig. Die Zahlungsabwicklung für unsere Kundinnen und Kunden im Ticketing läuft klaglos“, so das Unternehmen. Auch der damalige ÖBB-Manager Lauber meinte, er könne für sich „ausschließen, dass dieser Prozess nicht objektiv bzw. den rechtlichen Vorgaben entsprechend durchgeführt wurde“.

Der damalige ÖBB-Chef Christian Kern, gab an, als CEO nicht in solche Entscheidungen eingebunden gewesen zu sein. Er sei "im Rahmen des Projekts zum neuen Ticketsystem über das Ergebnis informiert worden. Braun habe er mehrmals getroffen, Marsalek nie. „Wenn man jetzt aber so tut, als ob bei Wirecard nur Gauner und Betrüger tätig waren, wird man diesem Unternehmen nicht gerecht“, sagte Kern. Der „Umstand, dass die Chefs möglicherweise Gauner waren, heißt nicht, dass das Produkt nicht gut war“, so der ehemalige ÖBB-Chef und spätere Bundeskanzler.

Unabhängige Prüfung beantragt

Aus dem zuständigen Verkehrsministerium hieß es am Samstag, man habe unmittelbar nach Bekanntwerden der Informationen reagiert und im Wege des Aufsichtsrats einen unabhängigen Bericht durch einen Wirtschaftsprüfer beauftragt. „Dieser soll alle Ereignisse und Vorgänge nochmals extern umfassend überprüfen“, hieß es in der schriftlichen Stellungnahme gegenüber der APA.

Für ÖVP und FPÖ war das Grund für Reaktionen: Der ÖVP-Vertreter Wolfgang Gerstl forderte in einer Aussendung, dass Kern dem „Ibiza“-U-Ausschuss „Rede und Antwort stehen“ müsse. Aus Sicht von FPÖ-Chef Norbert Hofer war es „die ÖVP, die hier im Hintergrund die Strippen gezogen hat“. Bei dem angeblich kontaktvermittelnden PR-Mann handle es sich nach FPÖ-Informationen nämlich um einen langjährigen Mitarbeiter der Ex-Innenminister Ernst Strasser und Liese Prokop (beide ÖVP), der dann zum Funkunternehmen Alcatel wechselte – das die umstrittene Blaulichtfunk-Ausschreibung gewonnen habe.