Sportler mit Fitnessuhr
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Fitnesstracking

Selbstoptimierung als Pandemietrend

Dass immer mehr Menschen gerade in Pandemiezeiten ihre Körperfunktionen überwachen, lässt sich in Zahlen messen: Der Verkauf von Fitnessuhren, die ständig den Herzschlag messen und Schritte zählen, ist um 14,5 Prozent gestiegen. Gesundheitsversicherungen freut das – Datenschützer weniger. Und selbst Covid-19 kann laut einer Studie so schneller erkannt werden. Nicht wenigen gilt die andauernde Nabelschau als stoische Welthaltung.

Fitnesstracker haben sich vom teuren Accessoire für Sportbegeisterte zum Massenphänomen entwickelt. 2020 wurden weltweit insgesamt etwa 400 Millionen „Wearables“ verkauft (2019 noch 345 Millionen), also Technikprodukte, die am Körper getragen werden. Ein Anstieg, der zum Großteil auf Smartwatches zurückzuführen ist und hier besonders auf jene, die den Körper überwachen und dem Geist Druck machen. So wird man etwa bei zu langer Inaktivität gewarnt.

Einer, dessen Leben sich ganz um Körperdaten dreht – die eigenen und die seiner Kundschaft –, ist der Personal Coach Nick Haasmann. Er ist überzeugt davon, dass Steigerungen bei Fitness und Wohlbefinden am besten auf Basis gemessener Zahlen möglich sind. Luft nach oben gebe es bei so gut wie jedem Menschen: „Keiner hat zu viel Energie, keiner fühlt sich zu fit, keiner schläft zu gut.“

Fitnesstracking als Trend in Pandemiezeiten

Der Verkauf von Fitnesstrackern steigt seit Beginn der Pandemie rasant an. Die Selbstoptimierung mit Schrittzählern und Co. steht hoch im Kurs.

„In Kommunikation mit mir selbst“

Haasmann selbst trägt statt eines Armbands einen smarten Ring am Finger: „Der nutzt im Unterschied zu den meisten Geräten kein grünes Licht bei der Messung des Herzschlags. Davon wacht man nämlich auf in der Nacht.“

Dass Fitnesstracker tatsächlich zur Verbesserung des allgemeinen Gesundheitszustands und Wohlbefindens beitragen können, bestätigt Sportsoziologe Otmar Weiß im Interview auf dem fast leeren Sportplatz des Universitätssportzentrums auf der Wiener Schmelz: „Mit solchen Geräten kann ich in Kommunikation mit mir selbst treten oder in Wettbewerb mit anderen. Genau das ist während der Pandemie so schwierig geworden.“

Fitness-Coach Nick Haasmann
ORF/Gerd Fellner
Fitnesscoach Nick Haasmann: Wohlbefinden auf Basis von Zahlen

Weil es die Menschen zu mehr Bewegung animiert, sei das eine sinnvolle Sache. Das Teilen der Daten betrachtet er als unverzichtbaren Aspekt des Sportgedankens an sich. „Sportliche Ergebnisse müssen transparent und sichtbar sein, das macht es nachvollziehbar und vergleichbar, und das braucht man auch nicht verheimlichen.“ Er selbst trägt keine solche Fitnessuhr – das sei aber lediglich eine persönliche Geschmacks- und Generationenfrage, meint er.

Ermächtigt und bevormundet

Digitalisierungsexperten setzen sich mit dem aktuellen Trend zur Selbstvermessung kritisch auseinander. Es sei immer eine Frage der Abwägung zwischen Schutz und Nutzung der eigenen Gesundheitsdaten, meint etwa Christopher Frauenberger, Forscher am Institute for Human-Computer-Interaction in Salzburg. Die immer beliebteren „Wearables“ sind fester Bestandteil dessen, was in der wissenschaftlichen Debatte als entstehender Überwachungskapitalismus diskutiert wird, der immer mehr Bereiche des Lebens erfasst.

Smartwatch
ORF/Gerd Fellner
Von Puls bis Schlafqualität: Ureigenste Informationen über den Körper in Form von „shareable“ Daten

Gesundheitsdaten seien besonders anfällig für Verkauf und Missbrauch. Konsumentinnen und Konsumenten sollten hinterfragen: Was sind die Geschäftsmodelle der Hersteller – und was genau geschieht mit ihren Daten? Häufig kann nur genaueres Studium der Nutzungs- und Geschäftsbedingungen hierüber Aufschluss geben. Zudem besteht die Gefahr, dass „die Technik uns nicht ermächtigt, gesünder zu leben, sondern uns bevormundet“.

Versicherungen üben bereits Einsatz

Versicherungsgesellschaften in den USA belohnen den gesunden Lifestyle ihrer Kundinnen und Kunden längst mit vergünstigten Prämien – und bestrafen im Umkehrschluss solche, die die ärztlichen Empfehlungen nicht einhalten. Überprüft wird das per Smartwatch. In Österreich steckt dieser Trend noch in den Kinderschuhen. So bietet etwa die Generali Versicherung – die in einer Stellungnahme gegenüber dem ORF betont, keine Gesundheitsdaten ihrer Kundinnen und Kunden zu sammeln – „ein auf Freiwilligkeit basierendes Gesundheitsprogramm mit einer Vielzahl von präventiven Angeboten“ an.

Teil dieses Versicherungsprodukts ist eine App, in der „Nutzer freiwillig Nachweise ihres gesunden Lebensstils hochladen, zum Beispiel von ihrer Fitnessuhr“. Kundinnen und Kunden können selbst entscheiden, welche Daten sie ins System hochladen. Höchste Datenschutzbestimmungen würden eingehalten. Als Belohnung erhalten die Versicherten Punkte, mit denen sie ihren „Vitality-Status“ – von Bronze über Silber bis Gold und Platin – erhöhen könnten. Als Belohnungen winken Gutscheine oder Vergünstigungen. „Das Mitglied wird ausschließlich belohnt und positiv motiviert“, betont die Generali.

Smartwatches im Sportfachgeschäft
ORF/Gerd Fellner
Armbanduhren mit Fitnesstracking gibt es in verschiedensten Preisklassen

Die Diskussion über Smartwatches und die sinnvolle Nutzung der Gesundheitsdaten dürfte gerade erst so richtig Fahrt aufnehmen. Eine neue Studie besagt, dass sich mit Hilfe von Smartwatches sogar Covid-19-Erkrankungen frühzeitig erkennen lassen, und zwar schon Tage bevor Schnelltests das Virus feststellen können. Die Forscher hinter der Studie bremsen allzu vorschnelle Erwartungen mit Hinweis auf die noch nötige Entwicklungsarbeit. Die Studie zeigt das Spannungsfeld, auf das sich die Gesellschaft in Zeiten der Pandemie noch schneller zubewegt: Auf der einen Seite sich selbst und sein Leben zu optimieren, auf der anderen Seite Firmen, die hervorragende Geschäfte mit persönlichen Daten machen wollen.

Die Philosophie des „Ichs“

Der Gedanke ist in aktuellen Pandemiezeiten naheliegend, aber nicht neu. In den USA berufen sich nicht wenige Vertreter der Selbstoptimierungscommunity direkt auf die altgriechischen Stoiker. Deren Philosophie wird recht brutal auf folgenden Kern heruntergebrochen: Wir sollten uns nicht um das kümmern (also „stoisch“ bleiben), was wir sowieso nicht beeinflussen können („die Welt“), sondern uns ganz auf das konzentrieren, was wir beeinflussen können – und das sind vor allem wir selbst. Das passt besonders in Pandemiezeiten gut, nach dem Motto: Vergiss die schlechte Welt da draußen, kauf dir einen Fitnesstracker.

Skeptisch sieht diese Art von Selbstoptimierung der Philosoph Richard David Precht. Im ersten Band seiner dreiteiligen Philosophiegeschichte („Erkenne die Welt“) reitet er furios gegen diese Art von besorgtem Narzissmus aus. Zuvor hatte er das bereits in Interviews getan, etwa mit Deutschlandfunk Kultur: „… diese ausschließliche Konzentration auf sich selbst – also, nicht Gutes zu tun, um Gutes in die Welt zu bringen, sondern Gutes zu tun, um sich gut zu fühlen –, das hat ganz viel wieder damit zu tun, was das Ziel der heutigen Selbstoptimierung ist. Nämlich nicht die Gesellschaft zu verbessern, sondern das Ultimative aus sich selbst herauszuholen.“