Christian Kern im „Ibiza“-Untersuchungsausschuss
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Kern im U-Ausschuss

„Ibiza“-Anwalt für „Wichtigtuer“ gehalten

Mit Christian Kern (SPÖ) ist im „Ibiza“-U-Ausschuss am Donnerstag ein ehemaliger Bundeskanzler geladen gewesen. Rede und Antwort musste er – wie bereits der Ex-Pressesprecher von Ex-SPÖ-Kanzler Werner Faymann vor ihm – auf Betreiben der ÖVP stehen. Während Opposition und Grüne kaum Erkenntnisgewinne sahen, versuchte die ÖVP Kerns mögliche Berührungspunkte mit dem „Ibiza-Video“ herauszuarbeiten.

Einleitend gab Kern dazu an, dass er im Frühjahr 2018 vom Ex-SPÖ-Mitarbeiter Nikolaus P. über die Existenz von belastendem Material zum damaligen FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache informiert worden sei. In der Folge habe er den damaligen Kanzleramtsminister Thomas Drozda angewiesen, die Infos zu sondieren. Das sei im Zuge eines Treffens mit dem „Ibiza“-Anwalt Ramin M. geschehen. Das sei eine „reichlich dubiose, reichlich schmierige Angelegenheit“ gewesen.

Weil Drozda entsprechende Eindrücke geschildert habe, verlieh man dem „Desinteresse“ an dem Material Ausdruck. Die SPÖ habe in den Monaten davor so viel erlebt, man habe daher Distanz halten wollen – Drozda und er, Kern, hätten vor dem Treffen den Parteianwalt eingeschaltet, er sei dann auch dabei gewesen. Eine Anzeige habe man folglich nicht erstattet bzw. auch nicht erwogen, weil man ja nur „Informationsschnipsel“ gehabt habe. Drozda und der Parteianwalt hätten lediglich Fotos gesehen, keine Bewegtbilder, so Kern.

Christian Kern vor Medienvertretern im „Ibiza“-Untersuchungsausschuss
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Größerer Medienandrang: Kern bei der Ankunft vor dem Ausschusslokal

Generell verwies der Ex-Kanzler drauf, dass er im Zuge seiner Polittätigkeit regelmäßig mit Gerüchten konfrontiert worden sei, für ihn sei das völlig abstrus gewesen. Das habe auch dazu geführt, dass man dem Material nicht besonders viel Bedeutung beigemessen habe – mit dem Wissen von heute hätte man wahrscheinlich anders entschieden, damals habe man gedacht, das sei ein „Wichtigtuer“. Die SPÖ sei nicht bereit gewesen, auch nur einen Cent für das Material zu zahlen.

„Auf dem Holzweg“

Was bereits am Vorfeld der Befragung erwartet wurde, trat ein – zwischen der ÖVP (in Person von Christian Stocker) und Kern ging es ruppiger zu. Stocker wollte etwa wissen, in welcher Funktion Kern den SPÖ-Anwalt rund um die Kontaktaufnahme mit M. beauftragt habe. „Als SPÖ-Vorsitzender“, so Kern. Die Frage nach der Entbindung des Anwalts entgegnete Kern per Gratulation: Stocker arbeite hier bestimmt zur „allergrößten Zufriedenheit“ seines Parteichefs.

Christian Stocker (ÖVP) im „Ibiza“-Untersuchungsausschuss
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Stocker gegen Kern hieß das „Duell“ im Zuge der Befragung

Er wolle Stocker nichts unterstellen, wiewohl es für dessen Partei allen Grund gebe, auf „Nebenschauplätze“ zu lenken, „aber wenn Sie der SPÖ da etwas in die Schuhe schieben wollen, dann sind Sie auf dem Holzweg“, so Kern. Stocker verteidigte darauf seine Frage, der Verfahrensrichter schlichtete später jedoch – man bewege sich da schon am äußersten Rande des Untersuchungsgegenstands.

Später erkundigte sich Stocker, was Hinweisgeber P. Kern genau gesagt habe in Sachen „politischer Bombe“. Der Ex-Kanzler verwies auf Unkenntnis, weil er ja Drozda mit der Sache befasst habe. Der SPÖ-Anwalt habe angegeben, kurze Sequenzen des Videos gesehen zu haben, „halbseiden, ein Machwerk“, das möglicherweise gefälscht sei. Von Sporttaschen mit Geld bzw. von Spesen sei die Rede gewesen, so Kern, der auf Nachfrage angab, von einem Kaufpreis von sechs Mio. Euro gehört zu haben.

Einvernahmeprotokoll „herausgespielt“

Von den Grünen und NEOS nach seinen Erfahrungen mit den Beamten der „SoKo Ibiza“ befragt, gab Kern an, dass diese „höflich“ und „ruhig“ gewesen seien – er habe sich dann aber gewundert, dass seine Einvernahme so schnell den Weg in die Boulevardmedien gefunden habe. Den beiden Polizisten wolle er das nicht in die Schuhe schieben („Ich würde diese beiden Herren nicht verdächtigen wollen“), so Kern. Klar sei aber, dass das Einvernahmeprotokoll „herausgespielt worden“ sei.

Dass „bestimmte politische Richtungen“ in Ministerien eine parteiliche „Vorfeldorganisation“ sehen würden, sei „bedauerlich“, sagte Kern dazu – zu erkennen sei ein „Zusammenhang“ mit dem Innenministerium: Proteste aus den Reihen der ÖVP waren die Folge, Kern solle doch zurücknehmen, dass das Einvernahmeprotokoll vom Ministerium herausgespielt worden sei. Das habe er so direkt nicht gesagt, so Kern („Spitzfindigkeiten“), doch sei klar: Er sei von der Polizei einvernommen worden, die ressortiere nun einmal im Innenministerium, und am Ende sei das Einvernahmeprotokoll in den Medien gelandet.

Christian Kern betritt das „Ibiza“-Untersuchungsausschusslokal
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Zur Aufklärung konnte Kern bei seiner Befragung nichts beitragen

Fragen zu „Schredder“-Praktiken

Im Zusammenhang mit der Schredderaffäre wurde Kern gefragt, wie nach seinem Ausscheiden aus dem Bundeskanzleramt mit den Unterlagen und Termineinträgen aus seiner Amtszeit umgegangen wurde. Der Ex-Kanzler verwies auf die Verpflichtung, relevante Akten an das Staatsarchiv zu übertragen, was auch unter der Aufsicht von Beamten passiert sei. Einen Anlass für das Schreddern von Datenträgern unter falschem Namen, wie dies am Ende der ersten Amtszeit von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) passierte, habe es aber nicht gegeben.

„Kenne keine roten Idioten“

Zum Ende der Befragung zitierte FPÖ-Fraktionschef Christian Hafenecker aus einem Protokoll des deutschen Wirecard-U-Ausschusses, wonach der mutmaßliche (und kürzlich nach Österreich ausgelieferte und nun in U-Haft befindliche) Julian H. dort ausgesagt habe, dass es noch andere Videos gebe. Da gehe es um Hinterzimmer von Clubs, Drogen und Politiker, so Hafenecker sinngemäß. Kern konnte dazu nichts sagen, ÖVP-Mandatar Stocker fragte Kern dann noch nach einem Zitat, in dem es um „rote Idioten“ ging und wer denn damit gemeint gewesen sein könnte. „Ich kenne keine roten Idioten“, so Kern.

Sehr kurze Befragung von Faymanns Ex-Sprecher

Vor Kern wurde Ex-Faymann-Sprecher Thomas L. befragt – nach gut einer Stunde durfte er wieder gehen, nachdem er sich zuvor über die Ladung ratlos gezeigt hatte. Hintergrund der Ladung: L. wurde von der „SoKo Ibiza“ nach der Veröffentlichung des „Ibiza-Videos“ im Mai 2019 einvernommen. Grund dafür dürfte die Wette eines Bekannten sein. Dieser Bekannte hatte vor dem Bekanntwerden des Videos gewettet, dass es eine Neuwahl geben werde.

Unternehmer Thomas L. im „Ibiza“-Untersuchungsausschuss
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Die Befragung des früheren Faymann-Sprechers war recht rasch wieder vorbei

Offenbar gab es wegen dieser Wette sogar vier Hausdurchsuchungen und eine Lauschaktion der SoKo-Beamten. Das Ermittlungsverfahren sei aber ergebnislos eingestellt, der Bekannte seines Wissens nach nie einvernommen worden, gab L. an. Selbst habe er – wie auch sein Bekannter – vom Video erst aus Medien am Tag der Veröffentlichung erfahren. Auch Gerüchte, dass der „Ibiza“-Anwalt an Funktionäre der SPÖ herantrat und ihnen ein Kaufangebot unterbreitete, habe er erst danach erfahren.

Während die Oppositionsparteien SPÖ, FPÖ und NEOS sowie die Grünen auf ihre Fragezeit großteils verzichteten, wollte die ÖVP mehr darüber wissen, ob L. mit SPÖ-Funktionären über die Einvernahme gesprochen habe. Kai Jan Krainer (SPÖ) hinterfragte den Bezug zum Untersuchungsgegenstand „mutmaßliche Käuflichkeit der türkis-blauen Bundesregierung“. Laut ÖVP-Fraktionschef Wolfgang Gerstl stünden die Ermittlungen zum „Ibiza-Video“ im Vordergrund.