Hygiene Austria FFP2-Masken
ORF.at/Peter Pfeiffer
Neue Vorwürfe

Maskenaffäre „Imageproblem“ für Lenzing

Der Faserkonzern Lenzing ist in einen veritablen Skandal verwickelt: Gegen die Maskentochter Hygiene Austria, ein Gemeinschaftsprojekt mit dem Wäschehersteller Palmers, wird wegen schweren gewerbsmäßigen Betrugs und Schwarzarbeit ermittelt. Viel wusste Lenzing offenbar nicht, erläuterte die Konzernführung bei einem Pressegespräch. Man stehe aber vor einem „gewaltigen Imageproblem“. Und mit neuen Vorwürfen wird dieses sicherlich nicht kleiner.

„Am 3. März haben wir erstmalig von der Hausdurchsuchung bei Hygiene Austria und vermuteten Gesetzesverstößen erfahren“, sagte Technikvorstand Stephan Sielaff am Donnerstag. Sielaff ist bei Lenzing nun dafür zuständig, die Vorfälle aufzuarbeiten, nachdem Stephan Trubrich als Geschäftsführer des Joint Ventures abberufen wurde.

Von zugekauften Masken in China und Schwarzarbeit habe man nichts gewusst. Zahlreiche Journalistenfragen ließ der Manager unbeantwortet. „Lassen Sie uns bitte erst die Arbeit machen, und dann werden wir in aller Klarheit über die Konsequenzen sprechen. Ich arbeite mit all meiner Energie rund um die Uhr daran“, sagte Sielaff mehrfach.

Aktien unter Druck

Auch Lenzing-Chef Stefan Doboczky wusste laut Aussagen von Donnerstag von nichts. „Das Bild, das sich in den letzten Tagen gezeigt hat, empfinde ich zutiefst verstörend“, sagte Doboczky. „Lenzing ist nicht Hygiene Austria. Aber Lenzing ist selbstverständlich gefordert, in der Aufarbeitung einen Beitrag zu leisten, und das werden wir auch tun“, sagte der CEO.

Der Weltkonzern mit mehr als 7.000 Mitarbeitern habe nun ein „gewaltiges Imageproblem“, räumte Sielaff ein. Die Aktien von Lenzing waren an der Wiener Börse zuletzt stark unter Druck geraten. Anleger reagierten verschreckt auf den Maskenskandal und schickten die Aktie auf Talfahrt.

Kein Zugang zu Palmers-Räumlichkeiten

Mehrfach tauchte bei dem Pressegespräch die Frage auf, wie es sein kann, dass Lenzing von den Vorgängen nichts gewusst habe. Dazu müsse man das Konstrukt kennen, sagte Sielaff. Wichtige Prozesse seien bei Palmers gewesen, Daten in deren Räumen, zu denen Lenzing keinen Zugang gehabt habe. Lenzing habe sofort, nachdem man von den Hausdurchsuchungen erfahren habe, ein Team dorthin geschickt.

Das Unternehmen hatte zuvor noch die Absicht gehabt, die Maskenfirma ganz zu übernehmen. „Aber innerhalb weniger Tage wurde klar, dass die Situation vor Ort aufgrund mangelnder Dokumentation nicht erlaubt hätte, die Firma zu übernehmen“, so Sielaff. Lenzing hält mit 50,1 Prozent die Mehrheit an der Hygiene Austria. Bereits zu Wochenbeginn kündigte das Unternehmen an, einen Wirtschaftstreuhänder mit der Verwaltung der Hygiene-Austria-Anteile zu betrauen.

Wirtschaftlicher Faktor für Lenzing gering

Die wirtschaftliche Bedeutung der Hygiene Austria hält sich für einen Milliardenkonzern wie Lenzing in Grenzen. Der Faserhersteller hat die Hygiene Austria per Jahresende 2020 mit einem Wert von 4,5 Mio. Euro in den Büchern. Im Geschäftsjahr 2020 hat die Maskentochter laut Geschäftsbericht ein langfristiges, ungesichertes Darlehen in Höhe von zwei Mio. Euro von Lenzing erhalten. Außerdem gibt es eine Garantie gegenüber einem Lieferanten bis maximal einer Mio. Euro. Außer Spesen ist für Lenzing derzeit nichts gewesen. „Bis zum heutigen Zeitpunkt gibt es keine Gewinnausschüttung der Hygiene Austria in Richtung Lenzing“, sagte Sielaff.

Auch Mund-Nasen-Schutz umetikettiert?

Die Affäre um die Umetikettierung von Masken könnte sich noch ausweiten. Die Ermittlungsbehörden gehen derzeit auch der Frage nach, ob der Teileigentümer Palmers oder die Hygiene Austria nicht nur chinesische FFP2-Masken, sondern davor auch Mund-Nasen-Schutz (MNS) als „made in Austria“ verkauft haben.

Laut Informationen, die Ö1 zugespielt wurden, dürfte Palmers im Oktober 20 Millionen MNS aus China erhalten haben. Damals habe es auch eine Rechnung an eine Liechtensteiner Firma gegeben. Palmers-Chef Tino Wieser bestritt derartige Vorwürfe allerdings zuvor.

Zwei Lieferungen mit elf und neun Millionen MNS sollen im Oktober an die Palmers Textil AG gegangen sein, wie die Unterlagen nahelegen. Unter Berufung auf einen Informanten hatte der „Kurier“ schon Details darüber berichtet. Die Ware habe sich deshalb gut zum Umpacken geeignet, weil die chinesischen Beipackzettel nicht eingeschweißt gewesen seien, sondern nur beigelegt.

Wieser hatte vor zwei Tagen auf die Frage, ob er MNS aus China geliefert bekommen habe, gesagt: „Nein, das entspricht nicht den Tatsachen.“ Hygiene Austria habe niemals MNS zugekauft, so Wieser damals.

Rechnung nach Liechtenstein

Tatsächlich soll es – den Unterlagen zufolge – nicht um Lieferungen an die Hygiene Austria, sondern an Wiesers Palmers AG gegangen sein. Eine Rechnung soll auf Wiesers Wunsch zunächst nach Liechtenstein geschickt worden sein – den Unterlagen zufolge.

Wieser sagte dazu, dass jedenfalls keine Rechnung an die Stiftung des Palmers-Miteigentümers Matvei Hutman in Liechtenstein ergangen sei. Laut Ö1 könnte die Rechnung an eine Aktiengesellschaft in Liechtenstein namens CFA gegangen sein. Die residiert an derselben Adresse wie der Palmers-Shop in Vaduz.

Entscheidend aus Konsumentensicht wäre nun, ob die 20 Millionen Masken dann in Österreich als „made in Austria“ verkauft oder aber ins Ausland geliefert wurden. Den Lieferfirmen der Masken war im Oktober die Ukraine als Zielland genannt worden. Wieser war am Mittwoch nicht für eine neuerliche Stellungnahme für Ö1 erreichbar.

Ermittlungen wegen Schwarzarbeit

Indes ermittelt die Staatsanwaltschaft nicht nur wegen des Verdachts des schweren gewerbsmäßigen Betrugs, sondern auch der Schwarzarbeit. Nur wenige Beschäftigte sollen fix beim Unternehmen beschäftigt gewesen sein, der Rest bei vier Leiharbeitsfirmen. Ehemalige Leiharbeiter fühlen sich um den Lohn geprellt und haben sich an die Arbeiterkammern Wien und Niederösterreich gewandt.

Weitere Vorwürfe gegen Hygiene Austria

Mitarbeiter der Hygiene Austria sollen sich – zum Teil verängstigt, wie es heißt – an die AK gewandt haben. Ihre Unterlagen würden außerdem zeigen, dass sie nur teilweise bezahlt wurden und wenn, dann unter dem geltenden Kollektivvertrag, sagt die AK. Die Hygiene Austria bestreitet diese Vorwürfe.

„Die Leute waren bei unterschiedlichen Leiharbeitsfirmen beschäftigt und waren bei der Sozialversicherung entweder nicht gemeldet oder sie sind zum Teil nicht oder zu wenig bezahlt worden“, sagte Arbeitsrechtsexpertin Andrea Ebner-Pfeifer von der Arbeiterkammer Wien zum „Kurier“. „Zum Teil haben sie Lohnabrechnungen, die einen Lohn unter dem Kollektivvertrag ausweisen. Es liegt also Lohndumping vor.“

Dubiose Leiharbeitsfirmen

Der „Kurier“ zitierte einen Arbeiter damit, sechs Euro netto pro Stunde bekommen zu haben, später hätte er zehn Euro erhalten sollen. Doch nach 14 Tagen Arbeit sei Schluss gewesen. „Ich habe keinen Cent und keinen Arbeitsvertrag erhalten“, zitierte die Zeitung den Arbeiter.

Die hohe Zahl an Leiharbeitern gegenüber Angestellten hätte schon viel früher ins Auge springen müssen, so die AK. Zwei der vier Leiharbeiterfirmen, mit denen Hygiene Austria gearbeitet hatte, stehen auf der Liste der Scheinfirmen im Finanzministerium. Eine dritte wird von der Gewerkschaft Pro-Ge als „äußerst dubios“ bezeichnet.

Klagen wegen „Made in Austria“-Behauptung

Zudem drohen wegen der „Made in Austria“-Behauptungen etliche Klagen. Der Verein für Konsumenteninformation (VKI) erwägt, gerichtlich feststellen zu lassen, ob diese Herkunftsangaben zulässig waren. Auch seitens des Landes Niederösterreich droht eine Klage, dort wurden Millionen Masken der Firma angekauft.

VKI-Chefjurist Thomas Hirmke sagte am Mittwoch im ORF-Radio, eine Klage würde auf Unterlassung derartiger Werbung in der Zukunft gerichtet sein, und das Gericht müsse dann sagen, ob die Herkunftsangaben zulässig waren oder nicht.

Irreführende Werbung?

Derzeit gehe man davon aus, dass Konsumenten getäuscht worden seien. Jedoch gebe es hier, anders als etwa für Lebensmittel, keine klaren rechtlichen Vorgaben, sondern lediglich eine Judikatur, etwa im Zusammenhang mit irreführender Werbung. Darauf verwies auch Wieser in einem Interview: „‚Made in Austria‘ ist nicht klar geregelt. Hätte ich gewusst, was dabei rauskommt, hätte ich es mir gespart.“

Das Land Niederösterreich, die Landesgesundheitsagentur (LGA) und die Nö. Wirtschaftskammer (WKNÖ) sollen rund fünf Millionen FFP2-Masken von Hygiene Austria bezogen haben, schreiben die „Niederösterreichischen Nachrichten“ („NÖN“). Laut „Kurier“ (Mittwoch-Ausgabe) behält sich neben dem Land auch die LGA rechtliche Schritte vor – ebenso wie diverse Supermarktketten wie REWE, Hofer und Spar, die die Masken vertrieben haben.