Frau mit Kind nach der Überquerung des Rio Grande
Reuters/Adrees Latif
Einwanderungsreform

Andrang an Grenze als Probe für Biden

US-Präsident Joe Biden will die Einwanderungspolitik der USA wieder humaner machen. Diese Wende nach der Regierung Donald Trumps schlägt sich offenbar an der Grenze zu Mexiko nieder: Derzeit versuchen so viele Menschen in die USA einzuwandern wie seit fünf Jahren nicht mehr. Das Weiße Haus bringt das unter Handlungsdruck.

Die US-Grenzschutzbehörde hatte zuletzt für Februar mit nahezu 100.500 Fällen eine neue Höchstzahl an versuchten Grenzübertritten zwischen den USA und Mexiko verzeichnet. Das ist fast ein Drittel mehr als im Jänner, gegenüber dem Vorjahr gar eine Verdreifachung. Bei fast 30.000 Fällen handelte es sich um Familien und unbegleitete Minderjährige. Nach wie vor wird die Mehrheit der Erwachsenen aufgrund von Coronavirus-Einreisebestimmung abgewiesen.

Nichtsdestoweniger finden sich immer mehr Menschen an der Grenze ein und halten sich dort unter anderem in Zeltcamps auf. Zusätzlich staut sich die Bearbeitung bestehender Asylanträge. Unter Bidens Vorgänger Trump war im Jänner 2019 ein Programm in Kraft getreten, dem zufolge Migrantinnen und Migranten außerhalb der USA auf eine Entscheidung zu ihrem Aufenthaltsstatus warten mussten. Die Biden-Regierung hatte bereits im Februar angekündigt, das Programm zu kippen und die Menschen sukzessive in den USA auf die Entscheidung zu ihrem Aufenthaltsstatus warten zu lassen.

Camp in El Chaparral in Tijuana
APA/AFP/Guillermo Arias
In Zeltcamps an der Grenze wird auf eine Einreise gewartet

Die US-Regierung schickte angesichts der wachsenden Zahl an Menschen zuletzt Behördenvertreter an die Grenze, um die Situation zu evaluieren. Am Freitag wandte sich das Weiße Haus dann direkt an Einwanderungswillige und rief sie dazu auf, sich derzeit nicht auf den Weg Richtung USA zu machen. „Die Grenze ist nicht offen“, betonte Sprecherin Jen Psaki. Es sei „nicht die Zeit zu kommen“. Die für die US-Südgrenze zuständige Koordinatorin Roberta Jacobson begründete die wachsende Zahl an Ankünften mit Bidens Reformpolitik: Die Hoffnung für eine humanere Politik mobilisiere mehr Menschen.

Zudem würden Schmuggler die Situation ausnutzen und Falschinformationen über eine sofort mögliche Einreise verbreiten. Sie rief dazu auf, die gefährliche Reise zur US-Grenze zu unterlassen. Die Grenzschutzbehörde selbst führte den Anstieg der Zahlen auch auf anhaltende Gewalt, Naturkatastrophen und Armut in zentralamerikanischen Staaten zurück. Auch die verschärfte Lage durch die Coronavirus-Pandemie dürfte ihren Teil beitragen.

Menschen überqueren Rio Grande
Reuters/Adrees Latif
Der Weg zur Grenze ist oft mit Gefahren verbunden

Kinder in umstrittenen Unterkünften

Besorgniserregend sei laut US-Medien vor allem die Zunahme bei unbegleiteten Minderjährigen, so Jacobson. Biden hatte die unter Trump erlassene Regelung abgeschwächt, wonach Migranten und Migrantinnen wegen der Pandemie umgehend abgewiesen werden können. Unter Biden gilt diese Regelung für Minderjährige nicht mehr. Nun verdreifachte sich deren Zahl laut der US-Grenzschutzbehörde im Jahresvergleich ebenfalls – und zwar von rund 3.500 auf 9.500.

Wie NPR berichtete, kommt die US-Regierung aufgrund des starken Anstiegs und der Pandemie nicht damit nach, Kinder und Jugendliche wie vorgesehen in spezielle Einrichtungen oder zu Familienmitgliedern in den USA zu bringen. Stattdessen würden derzeit rund 3.400 Minderjährige in ungeeigneten, „lagerhausartigen“ Gebäuden der Grenzschutzbehörde untergebracht. Dort müssten sie unter anderem auf dem Boden schlafen. Laut NPR vorliegenden Dokumenten verbringen Minderjährige vor ihrer Verteilung durchschnittlich 107 Stunden in diesen ungeeigneten Einrichtungen – weit mehr, als die 72 Stunden, die das Gesetz erlaubt.

Menschen protestieren für Asyl in den USA
Reuters/Jorge Duenes
Zahlreiche Menschen hoffen auf Bidens Politik

Das Weiße Haus teilte mit, man suche nach Möglichkeiten, Kinder und Jugendliche von der gefährlichen Reise abzuhalten und bereits angekommene schneller in würdigen Verhältnissen unterzubringen. Man erkenne die Problematik an, allerdings sei die zugrunde liegende Maßnahme „der humanitäre Ansatz“ gewesen. Die Regierungsvertreterinnen betonten, von diesem nicht abrücken zu wollen. Auch das Wort „Krise“ wollte Jacobson auf Nachfrage nicht verwenden.

Kritik von beiden Seiten

Von einer solchen hatten zuvor die Republikaner gesprochen. Der texanische Gouverneur Greg Abbott hatte die Regierung Bidens dahingehend scharf angegriffen. „Die Krise an unserer südlichen Grenze eskaliert weiter, weil die Regierung Bidens sich weigert, die Grenzen zu sichern, und zu illegaler Einwanderung einlädt“, so Abbott. „Texas unterstützt legale Migration, aber wird kein Komplize zugunsten einer Politik der offenen Grenzen, die eine humanitäre Krise in unserem Staat statt verhindern nur verstärken und die Leben von Texanern gefährden könnte.“ Man werde dieser Krise mit mehr Ressourcen und Behördenpersonal entgegentreten.

Grenzmauer zwischen Mexiko und USA
Reuters/Mike Blake
Ein Grenzabschnitt nahe Tijuana

Umgekehrt kommt aus dem Lager von Bidens Demokraten Kritik, dass die Regierung heftig kritisierte Notunterkünfte aus Trumps Amtszeit wieder nutzt. Diese wurden wieder geöffnet, um Platz für minderjährige Migranten und Migrantinnen zu schaffen. Das Weiße Haus sprach auch hier von „temporären Maßnahmen“, die getroffen werden mussten, um Minderjährige nicht auszuweisen und die Coronavirus-Empfehlungen zu Social Distancing einhalten zu können. Nichtsdestoweniger kam scharfe Kritik aus dem progressiven Lager der Demokraten. Die Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez sprach von einer Maßnahme, die „nicht in Ordnung ist, nie in Ordnung war, und nie in Ordnung sein wird – ungeachtet der Regierung oder Partei“.

Biden will umfassende Reform

Biden hat bereits eine umfassende Abkehr von Trumps hartem Kurs in der Einwanderungspolitik eingeleitet. Gleich nach seinem Amtsantritt am 20. Jänner ordnete er einen sofortigen Stopp des Mauerbaus an der Grenze zu Mexiko an, gründete eine Arbeitsgruppe zur Zusammenführung an der Grenze getrennter Familien und hob ein Einreiseverbot für Menschen aus mehrheitlich muslimischen Ländern auf.

Zudem hob er einen von seinem Vorgänger angeordneten Stopp legaler Einwanderung auf, den Trump mit der hohen Arbeitslosigkeit infolge der Pandemie und dem Schutz der amerikanischen Arbeitnehmer vor der Konkurrenz aus dem Ausland begründet hatte. Weiters will Biden den Weg zur Einbürgerung für elf Millionen Migranten und Migrantinnen ohne gültige Aufenthaltsgenehmigung ebnen. Auch für „Dreamer“ (Träumer), die als Kinder mit ihren Eltern illegal in die USA eingereist sind, soll es eine beschleunigte Einbürgerung geben.

Biden kündigte an, zur Bekämpfung von irregulärer Einwanderung die Fluchtursachen – vor allem in mittelamerikanischen Ländern – zu bekämpfen. Allerdings handelt es sich um einen politischen Drahtseilakt. Größere Flüchtlings- oder Migrationsbewegungen und die Bildung von Trecks, zu der es in den vergangenen Jahren wiederholt kam, könnten Bidens Reformpolitik zusetzen. Das auch angesichts der nächsten Wahl, die bereits absehbar ist: Bereits Ende 2022 müssen die Demokraten ihre Mehrheit im Repräsentantenhaus verteidigen.