Leere Ampullen
Reuters/Luisa Gonzalez
ÖVP vs. Gesundheitsministerium

Impfstoffstreit belastet Koalition

Die Kritik von Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) an der Impfstoffverteilung in der EU mündet zunehmend in einen Schlagabtausch zwischen der ÖVP und dem vom grünen Koalitionspartner geführten Gesundheitsministerium. Indes dementierten mehrere EU-Länder wie die Niederlande und Malta die Vorwürfe aus Wien, sich nicht an die EU-Absprachen gehalten zu haben.

Kurz hatte am Freitag die Verteilungspolitik in der EU scharf kritisiert. Es würde nicht wie vereinbart nach dem Bevölkerungsschlüssel vorgegangen. Zudem gebe es „Hinweise“, dass es zusätzliche Absprachen auf einem „Basar“ zwischen einzelnen Mitgliedsländern und der Pharmaindustrie gegeben habe.

Diesem Zugang widersprach Ines Stilling, Generalsekretärin im Gesundheitsministerium, Samstagfrüh im Ö1-Morgenjournal. Die Verhandlungen über die Verteilung in der EU seien „ausgewogen und transparent“ gelaufen. Alle Mitgliedsstaaten, also auch Österreich, hätten die Möglichkeit gehabt, freie Vakzinkontingente zu kaufen. Es gebe keine Basarmethoden, stellte Stilling fest.

Bundeskanzler Sebastian Kurz
APA/Roland Schlager
Kurz nahm am Freitag die Impfstoffverteilung in der EU ins Visier und setzte am Samstag mit Kritik am Gesundheitsministerium fort

ÖVP will Suspendierungen im Gesundheitsministerium

Die Impfstoffverteilung sei zudem laufend Thema im Ministerrat, sodass auch das Bundeskanzleramt laufend informiert sei. Seit Jänner gebe es in Österreich sogar einen eigenen Steuerungsausschuss zu Beschaffung und Lieferplänen unter Einbeziehung des Bundeskanzleramts, ergänzte Stilling. Nach ihrem Interview hatte man sich im Gesundheitsministerium noch um eine Glättung der Wogen bemüht. Es sei „unser gemeinsames Ziel“, möglichst rasch und im europäischen Gleichklang zu impfen. Die Impfkampagne sei von Anfang an ein gemeinsames Projekt der Bundesregierung gewesen.

Dennoch wurde zunächst ÖVP-Gesundheitssprecherin Gaby Schwarz aktiv, dann Kurz. Schwarz verlangte die Suspendierung Stillings und des schwarzen Spitzenbeamten Clemens Martin Auer. Dieser ist CoV-Sonderbeauftragter im Gesundheitsministerium und stellvertretender Vorsitzender im EU-Lenkungsgremium für die Impfstoffbeschaffung (EU-Steering-Board). Es sei aber laut in der EU für das Thema Zuständige auszuschließen, dass ein hoher Beamter wie Auer von sich aus ein Impfstoffgeschäft in dieser Größenordnung tätige, berichtete der „Standard“ am Samstag.

Covid-Sonderbeauftragter Clemens Martin Auer und Gesundheitsminister Rudolf Anschober
APA/Robert Jäger
Die ÖVP fordert die Suspendierung des hochrangigen Beamten Auer (li.) im grün geführten Gesundheitsministerium

Kurz fordert Offenlegung aller Verträge

Es stelle sich insbesondere die Frage, so Schwarz, wie man Verträge habe abschließen können, die dazu geführt hätten, dass andere EU-Länder mehr Impfstoff bekommen hätten, und warum die Vereinbarung der EU-Staats- und -Regierungschefs gebrochen worden sei. „Es ist kaum vorstellbar, dass (Gesundheitsminister Rudolf, Grüne Anm.) Anschober darüber im Detail Bescheid wusste. Es gilt aufzuklären, ob er von den zuständigen Beamten des Gesundheitsministeriums getäuscht wurde.“ Anschober ist derzeit krankheitsbedingt nicht im Einsatz. Er will Anfang kommender Woche seine Arbeit wieder voll aufnehmen.

Nach Schwarz nahm Kurz via „Österreich“ selbst Stellung und forderte auch auf nationaler Ebene volle Transparenz über Vereinbarungen. „Ich fordere das Ministerium auf, jetzt zu prüfen, wie das passieren konnte. Ich hoffe sehr, dass sich die Beamten an die Vorgaben der Politik gehalten haben.“ Das Gesundheitsministerium müsse die Verträge und alle getätigten Bestellungen offenlegen, damit Klarheit besteht, „ob wir hier wirklich mehr Impfstoff hätten bestellen können“.

Impfstreit: ÖVP für Entlassungen im Gesundheitsressort

Kanzler Kurz kritisierte eine möglicherweise ungerechte Verteilung von Impfstoff innerhalb der EU. Aus dem Gesundheitsministerium kam Widerspruch – und den quittierte die ÖVP sofort mit der Forderung nach Suspendierung der betreffenden Spitzenbeamten.

Gesundheitsministerium: „Kontingent voll ausgeschöpft“

Das Gesundheitsministerium ließ wiederum via Aussendung wissen, dass für Österreich inzwischen 31 Millionen Impfdosen bestellt worden seien. Es sei ein wichtiger Schritt gewesen, dass es EU-weit die Einigung gegeben habe, dass alle Mitgliedsstaaten gleichzeitig mit den gleichen Impfstoffmengen, relativ zur Anzahl der Bevölkerung, beliefert werden. „Zum Zeitpunkt der Vertragserstellung mit den damals sechs Herstellern gab es noch kein klares Bild zur Frage der Zulassung, zum genauen Zeitpunkt der Zulassung und zu den frühestmöglichen Lieferzeitpunkten. Nach damaligem Kenntnisstand galten AstraZeneca und Moderna als aussichtsreichste Kandidaten (…)“, so das Gesundheitsministerium.

Deshalb sei von den Fachleuten des Gesundheitsministeriums wie von vielen anderen EU-Mitgliedsstaaten vorrangig dieses „Kontingent voll ausgeschöpft worden und bei Biontech/Pfizer nahezu ebenso – alles unter Einhaltung des damals von Nationalrat und Ministerrat verankerten Budgets für die Impfkampagne von 200 Millionen Euro“. Die Liefermengen seien zudem in mehreren Ministerratsvorträgen verankert worden.

Opposition zeigt sich irritiert

Die Opposition sparte nicht mit Kritik an der ÖVP – der Kanzler würde nur nach Sündenböcken suchen. SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch: „Jetzt sind es die eigenen Regierungsbeamten, die dafür herhalten müssen, dass Kurz sich nicht um verfügbare zusätzliche Kontingente bemüht hat.“ Der Kanzler selbst trage aber die politische Verantwortung. Dass er sich an den Beamten des Gesundheitsministeriums abputze, während mit Anschober deren Chef erkrankt sei und nicht Stellung nehmen könne, sei „besonders schäbig“.

Auch NEOS-Gesundheitssprecher Gerald Loacker zeigte sich irritiert. „Die Politik darf sich nicht an den Beamten abputzen. Schon gar nicht, wenn sie diese zuvor selbst bestellt, ihnen ein Verhandlungspouvoir erteilt und ein klares Budget gegeben hat“, erklärte er. Kurz habe die Schuld der EU entdeckt, sagte FPÖ-Klubchef Herbert Kickl: „Diese Botschaft ist dem Kanzler so wichtig, dass er dafür sogar bereit ist, seinen eigenen ÖVP-Parteikollegen, den Sonderbeauftragten für Gesundheit Clemens Martin Auer, schwer zu beschädigen.“

EU-Gipfel zur Impfstoffverteilung gefordert

In einem gemeinsamen Brief mit vier Amtskollegen – aus Bulgarien, Slowenien, Tschechien und Lettland – forderte Kurz einen EU-Gipfel zum Thema Impfstoffverteilung. Am Samstag schloss sich Kroatien nach anfänglicher Zurückhaltung an. In dem Brief warnen die Regierungschefs vor Ungleichheiten unter den Mitgliedsstaaten beim Impffortschritt: „Aus unserer Sicht widerspricht das nicht nur unserer Vereinbarung, sondern auch dem Geist der europäischen Solidarität.“

Laut Kurz hätten Staaten wie beispielsweise Dänemark und die Niederlande Zugang zu wesentlich mehr Impfstoff pro Kopf als Länder wie Bulgarien und Kroatien.

ZIB-Korrespondent Peter Fritz aus Brüssel

Welche Möglichkeiten hat die EU, um an die zugesagten Impfstoffmengen zu kommen? Und wird es dazu einen EU-Gipfel geben, wie von Bundeskanzler Sebastian Kurz gefordert? Peter Fritz berichtet.

Niederlande: „Halten uns an Absprachen“

Die Niederlande und Malta wiesen indes die Vorwürfe aus Wien vehement zurück. Maltas Gesundheitsminister Chris Fearne sagte, die Impfstoffe für Malta seien über den EU-Mechanismus beschafft worden. Das niederländische Gesundheitsministerium erklärte: „Wir halten uns an die Absprachen.“ Die Niederlande nutzten den Spielraum aber „maximal“ aus und übernähmen ein Kontingent, wenn ein anderes Land darauf verzichte. Die Niederlande hatten als letztes EU-Land die Impfkampagne begonnen, holen aber inzwischen auf.

Deutschland ließ zu Kurz’ Kritik wissen, dass vereinbart sei, die Impfstoffkontingente zwischen Mitgliedstaaten grundsätzlich nach dem Bevölkerungsanteil zu verteilen: „Für den Fall, dass Mitgliedsstaaten die ihnen zustehenden Mengen nicht vollumfänglich abnehmen, wurde ein Verfahren etabliert, das anderen Mitgliedsstaaten den ‚Aufkauf‘ dieser nicht abgenommenen Dosen ermöglicht“, so ein Regierungssprecher in Berlin. Auch dabei würden die Bestellungen nach demselben Verfahren verteilt. „Wenn ein Mitgliedsstaat dabei keine Dosen bestellt, erhält er auch nichts.“

Brüssel reagierte zurückhaltend auf den Vorstoß der sechs Länder. Ein EU-Vertreter bestätigte am Samstag den Eingang des Briefes und erklärte: „Wir beobachten die Lage genau.“ Er verwies zudem auf den Plan für einen EU-Gipfel am 25. und 26. März. Bei dieser Gipfelkonferenz werde auch die Koordinierung der Strategie gegen die Pandemie zur Sprache kommen. Samstagabend teilte die EU-Kommission mit, es wäre Sache der Mitgliedsstaaten, eine Einigung zu erzielen, wenn sie zur anteilsmäßigen Grundlage zurückkehren wollten.

Nicht bei der Verteilung, aber bei den Bestellungen räumte EU-Kommissionsvize Frans Timmermans Fehler ein. „Sowohl in Brüssel als auch in den Mitgliedsstaaten“ seien Fehler gemacht worden, sagte er dem „Tagesspiegel am Sonntag“. Am Ende der Pandemie könne man Bilanz ziehen, um zu sehen, „was wir falsch und was wir richtig gemacht haben“. Vorerst gehe es aber erst einmal darum, „dass ganz Europa Impfstoff bekommt“. Ein europäisches Vorgehen sei „auch im Interesse der reicheren Staaten“ erfolgt, ergänzte der Stellvertreter von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mit Blick auf die gemeinschaftliche Impfstoffbestellung.