Menschen bei der Stimmabgabe in Amsterdam
AP/Peter Dejong
Niederlande

Wahl auf CoV-Situation abgestimmt

Die Wahl zum neuen niederländischen Parlament geht am Mittwoch in die heiße Phase. Etwa 13 Millionen Bürgerinnen und Bürger sind aufgerufen, die 150 Abgeordneten der Zweiten Kammer zu wählen. Wegen der CoV-Pandemie findet die Parlamentswahl zum ersten Mal an insgesamt drei Tagen statt. Am Dienstag sollten, wie bereits am Montag, vorwiegend diejenigen ihre Stimme abgeben, die wegen einer CoV-Infektion besonders gefährdet sind. Hauptwahltag ist der Mittwoch.

Bis dahin sind erst knapp 20 Prozent der Wahllokale geöffnet. Erstmals war auch Briefwahl für im Land wohnende Bürger und Bürgerinnen ab 70 Jahren gestattet. In allen Wahllokalen gelten strenge Schutzbestimmungen. So werden Tische, Kabinen und andere Objekte regelmäßig desinfiziert. In einigen Kommunen bekommt jeder Wähler und jede Wählerin einen eigenen Rotstift – damit machen die niederländischen Wähler traditionell ihr Kreuz auf dem Wahlzettel.

Die Wahl war notwendig geworden, da Ministerpräsident Mark Rutte Anfang des Jahres wegen eines Regierungsskandals um Kinderbeihilfen seinen Rücktritt erklärt hatte. Rutte war aber geschäftsführend im Amt geblieben. Es ist seit elf Jahren im Amt und gehört damit zu den altgedienten Regierungschefs in Europa.

Mann mit Fahrrad vor seiner Stimmabgabe
AP/Peter Dejong
Auch mit dem Fahrrad darf man ins Wahllokal, wie dieses Bild von Montag zeigt

Probleme bei Briefwahl

Am zweiten Tag der Parlamentswahl wurden große Probleme mit der dort für viele Menschen ungewohnten Briefwahl bekannt. Viele Leute über 70 hätten Fehler gemacht, dennoch sollten ihre Stimmen gezählt werden. Das Verfahren bei der Auszählung der Briefwahlstimmen werde geändert, damit das Wahlgeheimnis garantiert bleibe, teilte Innenministerin Kajsa Ollongren am Dienstag in den Haag mit.

Beim Sortieren der Umschläge war deutlich geworden, dass viele alte Leute den Wahlschein und den ausgefüllten Wahlzettel in denselben Umschlag gesteckt hatten. Damit kann aber die Identität des Wählers an die Stimme gekoppelt werden. Nach Angaben des Ministeriums geht es um fünf bis zehn Prozent der Stimmen. Nach dem neuen Verfahren dürfen die Umschläge mit dem Wahlzettel geöffnet werden, um den Wahlschein herauszuholen. Dann werden die geschlossenen Umschläge in eine Urne geworfen.

Auch Wahlkampf von CoV dominiert

37 Parteien stellen sich der Wahl – ein neuer Rekord. Insgesamt werden 150 Sitze vergeben. In den Umfragen liegt die rechtsliberale VVD von Rutte unangefochten auf Platz eins mit etwa 24 Prozent, gefolgt von der PVV des Rechtspopulisten Geert Wilders mit etwa zwölf Prozent. Unsicher ist, ob die bisherige Koalition – VVD, christdemokratische CDA, linksliberale D66 und ChristenUnie – erneut eine Mehrheit erzielen wird. Ergebnisse werden am späten Mittwochabend erwartet.

Der Wahlkampf war von der Pandemie dominiert. Die Wahl gilt auch als Abstimmung über die CoV-Politik der Regierung und ist gleichzeitig die erste große Abstimmung über die Krisenpolitik einer europäischen Regierung. Die CoV-Krise ließ wenig Raum für andere politische Themen.

Autofahrer im Drive-Through für die Stimmabgabe
AP/Peter Dejong
Auch aus dem Auto heraus kann man in den Niederlanden wählen

Chance für Rechtsaußen auch ohne Kernthemen

Die CoV-Restriktionen schränkten auch den Wahlkampf stark ein. Die meisten Parteien versuchten die Wählerschaft über TV-Debatten und über Onlinenetzwerke zu erreichen. Die einzige Partei, die große Wahlkampfveranstaltungen abhielt, war das populistische Forum für Demokratie (FVD) des Rechtsaußen Thierry Baudet, der einen CoV-skeptischen Ton anschlug und einen Lockdown ablehnt. Das FVD hat zurzeit zwei Sitze im Parlament, es wurde bei der Provinzialwahl 2019 stärkste Kraft im Lande. Es gilt als eine Alternative für diejenigen rechten Wähler, die die Hetze von Wilders gegen Muslime zu grob fanden.

Der Islamgegner und erklärte EU-Feind Wilders positionierte sich als Herausforderer von Rutte – als ginge es um einen Zweikampf. Die rechten Parteien wittern auch ohne ihre Kernthemen eine Chance, hieß es von Fachleuten. Es gebe noch viel zu gewinnen, so der Meinungsforscher Peter Kanne vom Institut I&O Research. „Auf der rechtspopulistischen Seite wird sich noch etwas verschieben. Da sind 20 bis 25 Prozent der Wähler, da gibt es also etwas zu holen“, so Kanne.

Politologe: In Krise wollen Wähler keine Experimente

„Bei dieser Wahl geht es natürlich sehr stark um Covid-19 und die dadurch hervorgerufene Wirtschaftskrise“, so Andre Krouwel, der an der Vrije Universiteit Amsterdam Politikwissenschaft lehrt. Das sei der Unterschied zu vorangegangenen Wahlen, „als es eher um Einwanderung und europäische Integration ging“. Der rechtsliberale Rutte präsentiere sich als beinahe schon überparteilicher Krisenmanager, als „Staatsmann“, sagte der Amsterdamer Politologe Armen Hakhverdian: „In dieser Krise wollen Wähler keine Experimente.“

Zu Beginn der Pandemie hatten die Niederlande monatelang eine weniger strikte CoV-Politik verfolgt als die Nachbarländer. Mit der zweiten Welle wurden die Maßnahmen jedoch drastisch verschärft. Seit Ende Jänner gilt in den Niederlanden ein strenger Lockdown, unter anderem mit einer nächtlichen Ausgangssperre zwischen 21.00 und 4.30 Uhr. Nachdem diese verhängt wurde, kam es tagelang zu Ausschreitungen.

Kurz vor der Parlamentswahl führte auch eine Protestaktion gegen die CoV-Maßnahmen in Den Haag wieder zu Unruhen. Etwa 20 Personen seien festgenommen worden, teilte die niederländische Polizei am Sonntagabend mit. Die Demonstration war zuvor von der Polizei beendet worden, da Teilnehmer Abstandsregeln und Aufrufe zur Auflösung der Kundgebung missachtet hatten. Dabei waren auch Wasserwerfer, Schlagstöcke und Hunde eingesetzt worden.