Reinhold Mittlerlehner beim „Ibiza“-U-Ausschuss
ORF.at/Peter Pfeiffer
„Ohr des Politikers“

Ex-ÖVP-Chef Mitterlehner beschrieb „Biotop“

Fast vier Jahre nach seinem Rückzug aus der aktiven Politik ist am Dienstag der frühere ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner im „Ibiza“-Untersuchungsausschuss befragt worden. Zu Beginn zeigte sich der Ex-Vizekanzler zwar überrascht, dass er überhaupt geladen ist. Doch gleichzeitig erzählte er ausführlich, wie er 2017 den Übergang zur „ÖVP neu“ erlebt hatte und welche Rolle das „Ohr des Politikers“ spielt.

Mitterlehner war von 2014 bis zu seinem Rücktritt im Mai 2017 Obmann der ÖVP. Dass der nunmehrige Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) die Partei übernehmen werde, sei schon klar gewesen, als Mitterlehners Vorgänger Michael Spindelegger seine Funktion 2014 zurücklegte. Allerdings, so die Auskunftsperson, habe Kurz noch nicht übernehmen wollen und deshalb Mitterlehner gebeten, auf dem Chefsessel Platz zu nehmen. Es sei zu Beginn gut gelaufen, auch 2015 sei die Zusammenarbeit „voll in Ordnung“ gewesen, wie die Auskunftsperson sagte.

2016 wurde es laut dem früheren ÖVP-Politiker dann anders. Christian Kern übernahm die SPÖ von Werner Faymann, und Kurz habe gesehen, dass die Parteien gut zusammenarbeiten. „Dann hat er wohl gemerkt, dass das noch länger dauern könnte“, sagte Mitterlehner und verwies auf Gespräche von Kurz mit Parteien und auf „Roadshows“, um Spenden aufzutreiben. Das alles sei neben seiner Obmannschaft passiert. Damit habe er heute aber abgeschlossen. Wahrnehmungen zum Untersuchungsgegenstand, also zu der „mutmaßlichen Käuflichkeit der türkis-blauen Bundesregierung“, habe er keine.

„So blöd ist ja niemand“

Deshalb stand auch die Übernahme der ÖVP durch Kurz im Fokus der Befragung. So sei etwa 2016 die Frage der Parteifinanzierung aufgekommen, so Mitterlehner. Aber er glaube nicht daran, dass Gesetze „gekauft“ worden sein könnten. Ohnehin: „Beweisen Sie einmal jemandem, dass er ein Gesetz kauft. So blöd ist ja in Europa niemand und auch nicht in anderen Staaten“, so der frühere ÖVP-Chef. Selbst wenn bei den Events Spenden gesammelt wurden, gehe es im Wesentlichen darum, auf der einen Seite „das Ohr des Politikers zu erreichen“ und auf der anderen „ein Biotop aus Qualifizierten“ entstehen zu lassen.

Reinhold Mittlerlehner beim „Ibiza“-U-Ausschuss
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Mitterlehner trat im Mai 2017 von allen politischen Ämtern zurück

Für viele Wirtschaftstreibende sei etwa die Beibehaltung des Status quo in Sachen Vermögenssteuer stets ein wichtiges Anliegen gewesen. Auch zu seiner Zeit als Wirtschaftsminister sei die Verhinderung einer neuen Steuer der „gemeinsame Nenner“ der Unternehmer gewesen. Durch Treffen und Spendensammeln erzeuge man „ein Biotop“ und eine Kultur, in der Politiker und Politikerinnen „ein offenes Ohr“ für Anliegen hätten. Das sei auch das Ziel von vielen Unternehmen, sagte Mitterlehner. Man wolle, dass die Politik zuhört.

Das „Biotop“, so deutete der Ex-Politiker indirekt an, zeige sich auch an der Postenbesetzung. Womöglich seien es auch nur „Zufälle“, wenn auf Listen („Projekt Ballhausplatz“, Anm.) „Vertraute“ auftauchen, wie Mitterlehner betonte. Als Privatperson habe er sich wohl Gedanken über die kolportierten Postenbesetzungen gemacht, aber da er nicht mehr in der Politik sei, habe er keinen Einblick.

Auf die Frage der FPÖ-Abgeordneten Susanne Fürst, ob sich ein System des „Quidproquo“ etabliert habe, antwortete Mitterlehner, dass man es so allgemein nicht sagen könne. Es gehe um Vorteile für beide Seiten, aber „eine bewusste Käuflichkeit sehe ich nicht“.

„Kein Cent“ unter Mitterlehner

Veranstaltet wurden die Events von unterschiedlichen Gastgebern und Unternehmen, darunter auch eine Bank. Er wolle diese Personen aber nicht an die Medienöffentlichkeit ziehen, zumal er sich auch nicht genau erinnern könne, so Mitterlehner: „Und Laptop habe ich auch keinen, ich bin schon über 60.“ Zu seiner Zeit als Parteiobmann sei es ohnehin auch auf der Hand gelegen, dass man ihn in Vorbereitungen auf einen Chefwechsel bzw. eine Kursänderung nicht einweiht.

Reinhold Mittlerlehner beim „Ibiza“-U-Ausschuss
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Gespannt warteten die Abgeordneten auf die Befragung von Mitterlehner (Bilder aus dem Lokal müssen vor der Befragung entstehen)

Die auf Listen verzeichneten Personen (ÖVP-Vertreter bestätigten die Echtheit der Liste nicht, Anm.), die gespendet haben sollen und auch mitunter in Aufsichtsräten von staatsnahen Unternehmen sitzen, seien nie an ihn herangetreten. Mit Immobilientycoon Rene Benko habe Mitterlehner als Vizekanzler 2015 über die Strategie zu Bundesimmobilien gesprochen.

Dabei sei es auch um „eine mögliche Unterstützung für unsere Aktivitäten“ gegangen, sagte die Auskunftsperson. Aber zu einer Spende sei es unter seine Obmannschaft nie gekommen, er sei auch nie an Benko herangetreten. Es habe aber „Hunderte Gespräche mit Unternehmen“ gegeben, so Mitterlehner.

Unter ihm sei bis Juli 2017 kein Cent offiziell bei der Partei eingegangen. „Es hat mich auch nicht mehr interessiert.“ Das lasse aus seiner Sicht „drei Alternativen“ zu. Eine davon sei, dass die Spender angesprochen wurden, aber nicht bezahlt haben. Eine zweite, dass sie zu einem späteren Zeitpunkt bezahlt haben. Die dritte Möglichkeit sei, dass die Spenden auf eine Plattform außerhalb des Parteigefüges gegangen seien, so Mitterlehner, der keine Frage der ÖVP beantworten musste. Die ÖVP ging nämlich davon aus, dass Mitterlehner „weiterhin keine Wahrnehmungen zum Untersuchungsgegenstand“ haben werde.

Kein Einblick in ÖVP-Finanzen

Über Spenden an die Junge ÖVP oder an das ÖVP-nahe Alois-Mock-Institut habe er keine Wahrnehmungen. Unter seiner Obmannschaft sei das nie ein Thema gewesen, auch habe man weder Veranstaltungen organisiert noch betreut, wie Mitterlehner dem Ausschuss mitteilte. Bei den Kurz-„Roadshows“ sei es seiner Meinung nach aber nicht darum gegangen, dass man ihn, Mitterlehner, „abmontieren“ will, sondern „eher immer um das eine: dass sich jemand positionieren wollte“.

Reinhold Mittlerlehner beim „Ibiza“-U-Ausschuss
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Der Ex-ÖVP-Chef plauderte zwar aus dem Nähkästchen, zum Untersuchungszeitraum (2017 bis 2019) habe er aber keine Wahrnehmungen, sagte Mitterlehner

Auf eine Frage nach der damaligen ÖVP-Budgetsituation antwortete der Ex-Parteichef, dass alle Parteien mit den Finanzen zu kämpfen hätten. Zunächst sei eine Wahl im Jahr 2017 ja nicht angestanden, aber man wollte im Wahlkampf trotzdem voll ausschöpfen. Die Opposition und die Grünen mutmaßen, dass die ÖVP ab 2017 vermehrt Spenden lukrieren musste, weil die Partei finanziell tief im Minus war – und jede Spende sei an Begehrlichkeiten geknüpft, „die ÖVP ist abhängig von Großspendern“, sagte etwa SPÖ-Fraktionsführer Kai Jan Krainer.

Für Ex-Vizekanzler Mitterlehner sei aber die Überschreitung der Wahlkampfobergrenze nichts Außergewöhnliches gewesen. Mehrmals sagte er, dass er über Interna der ÖVP nach seinem Abgang nichts wisse. „Da müssen sogar Sie schmunzeln“, sagte die Auskunftsperson Richtung der grünen Mandatarin Nina Tomaselli, die eben auch mehr über die ÖVP-Finanzen wissen wollte. Wesentlich sei, so Mitterlehner, dass das Christlich-Soziale der ÖVP unter Kurz in den Hintergrund geraten sei. Heute stehe eine „Politik der Besitzenden“ im Vordergrund. Das wollte der ehemalige ÖVP-Chef aber nicht werten.