Kein Strand, kein Meer, keine anderen Sprachen oder kulinarischen Überraschungen. Auch der zweite Sommer der Pandemie wird wieder die Urlaubswünsche vieler durcheinanderwürfeln zugunsten eines „sichereren“ Aufenthalts in der Heimat. „’Weh mir! Endlich wieder reisen!’ Das ist der Ausruf dieser Tage“, heißt es dazu frei nach Odysseus im Ausstellungskatalog.
Die Aktualität des Themas „Sehnsucht Ferne“ sei in dieser Form ungeplant gewesen, meinte der Kurator Marcel Chahrour dazu im ORF.at-Gespräch. Ganze drei Jahre Vorbereitungszeit sind in die diesmal auf 13 Räume reduzierte Schau geflossen, die sich auf die Spuren von historischen Entdeckungsreisenden, ihren Motivationen und ihrer Sammelwut begibt.
An aktuellen Bezügen mit zumindest am Rande angeschnittenen Debatten rund um Restitutionsfragen und die Klimakrise mangelt es jedenfalls nicht. Außerdem mit im Gepäck: ganz vieles, in der ständigen Gratwanderung zwischen distanziert kritischer Betrachtung und einem lustvollen Beschwören des Entdeckerleidenschaft in jedem von uns.
Unterwegs mit dem Entdeckerrucksack
Breitenwirksame Themenvermittlung, das ist seit jeher das Ziel der Schallaburg-Ausstellungen, runterbrechen und mit viel Spaß an der Sache vermitteln. Und so werden diesmal Jugendliche gleich mit einem „Entdeckerrucksack“ auf den Weg geschickt, mit einem Kompass, einem Seil zum Knotenlernen und einem Um-die-Ecke-Gucker.
Im Sinn des „Ausstellungserlebnisses“ startet der Parcours auch in einer „Entdeckerstube, in der sich der Entdecker und die Entdeckerin auf die Reise vorbereiten“, wie es Chahrour nannte. Im schummrigen Licht präsentiert man ein mit Teakholztischen, Büchern und Sammlerstücken vollgepacktes Zimmer, das der berühmten Lithografie von Alexander von Humboldt in seiner Bibliothek (1856) nachempfunden ist, die gleich rechts an der Wand hängt.
Das fiktive Arbeitszimmer in der Schallaburg entpuppt sich jedoch weniger als Ort der Aufarbeitung umfangreicher Vorbereitungsaufgaben, die für den Aufbruch ins Unbekannte notwendig waren. Mit Fragen zur Motivation, zur österreichischen Beteiligung am Kolonialismus und einer Reihe an Anekdoten zu einzelnen Reisenden wird das Themenfass weit aufgemacht.
Spulwurm aus dem eigenen Gedärm
Vom niederösterreichischen Maler Ferdinand Lukas Bauer hängen etwa feine Bleistiftzeichnungen von Käfern mit Zahlencodes an der Wand. Die Geschichte dahinter: Bauer, der 1801 mit dem britischen Forschungsreisenden Matthew Flinders als einer der Ersten Australien naturgeografisch erfasste, kam mit dem Kolorieren der Tierskizzen nicht nach und behalf sich deswegen mit Nummerierungen. Ein frühes Malen nach Zahlen.
Als „Zeichen eines weitreichenden Forschergeists“ fungiert gleich daneben ein eingelegter Spulwurm des österreichischen Brasilien-Reisenden Johann Natterer. Von seiner Expedition 1817 hatte er nicht nur über 1.000 Eingeweidewürmer von Tieren mitgebracht, sondern auch den Wurm, der ihn selbst befallen hatte.
Die Riesen von Patagonien
Die große Stärke der Ausstellung ist es, anhand von spannenden Exemplaren solche Geschichten zu erzählen. Nachdem man Räume zu James Cooks Australien-Expedition und der Weltumseglung der k. u. k. Flotte „Novara“ passiert hat, wo man gleich selbst das Steuer in die Hand nehmen kann, stößt man auf eine Vitrine mit einem riesigen Elefantenoberschenkelknochen, der Menschen in Patagonien zugeschrieben worden war.
Im „Stille Post“-Prinzip hatte sich ab dem 14. Jahrhundert die Nachricht verbreitet, dass die Menschen im Süden Südamerikas besonders groß sind, bis man dort riesenhaften Kreaturen vermutete. Ein Lehrstück in Sachen falscher Bilder. In dem Abschnitt, der „fantasievolles Kartieren“ zum Thema hat, zeigt man außerdem eine opulente Landkarte des Schlaraffenlandes aus dem 18. Jahrhundert sowie Reproduktionen von gemalten Meeresungetümen aus dem Mittelalter: Die imaginierten Schreckgespenster ließen Seefahrer lieber entlang der Küste fahren, statt aufs offene Meer aufzubrechen.
Munterer Sprung durch Zeiten und Gegenden
Der muntere Sprung durch Zeiten und Gegenden wird vor allem im „düsteren Teil“ der Ausstellung zur Schwachstelle. Von der Auslöschung der Azteken im 16. Jahrhundert – besiegelt durch die goldgierige Gefolgschaft des spanischen Konquistadors Hernan Cortes und die Pockenkrankheit, die man aus Europa mitgebracht hatte – geht es flott weiter zum Themenraum über die Ägyptomanie des 19. Jahrhunderts. Auf Mumienpartys habe „Europas feine Gesellschaft“ damals die menschlichen Überreste „ausgewickelt“, heißt es. Zerriebenes Mumienpulver galt als Heilmittel.
Ausstellungshinweis
„Sehnsucht Ferne – Aufbruch in neue Welten“, von 20. März bis 7. November 2021, Schallaburg, montags bis freitags 9.00 bis 17.00 Uhr, samstags und sonntags 9.00 bis 18.00 Uhr. Zur Ausstellung ist ein Katalog (256 Seiten, 19 Euro) erschienen.
„Darf man das?“, steht auf einem mit Tüchern behangenen Holzcontainer geschrieben. Unklar bleibt, ob die Frage der Zurschaustellung der Mumie gilt, die nun im Inneren der Box zu sehen ist. Daneben zeigt man ein Video zur aktuellen Restitutionsdebatte zu menschlichen Überresten, um im nächsten Raum die europäischen Afrikabilder zu verhandeln.
Hier steht man vor vergleichsweise leeren Vitrinen, denen der Beigeschmack des Beliebigen anhaftet: „Nackte Wilde“-Porzellanfiguren mit Baströckchen aus Anzengruber-Manufaktur der 1950er Jahre, Fotos zu den Arbeitsbedingungen der Träger auf Forschungsreisen und ein exotisierender Reisebericht aus dem 18. Jahrhundert können die Wirkmächtigkeit und Gewalttätigkeit von Rassismus nur ansatzweise vermitteln.
Trojanow-Reflexion zum heutigen Fernweh
Das Wunderkammerprinzip, die unhierarchische Versammlung nach dem Grundsatz „Finde, was du kannst“, das die Schau insgesamt kennzeichnet, sorgt auch im Kapitel „Sammelwut“ für wenig Klarheit: Neben Speeren, Tierpräparaten und medizinischen Wirkstoffen aus dem 18. und 19. Jahrhundert trifft man hier auch auf die Forscherinnenbiografie von Ida Pfeiffer und die erst 1994 vom ehemaligen Direktor des Phonogrammarchivs Rudolf M. Brandl erworbene Sammlung an chinesischen Nuo-Ritualmasken.
Mit dem vielgereisten Schriftsteller Ilija Trojanow gibt es zum Abschluss noch eine gelungene hörbare Reflexion eines heutigen Umgangs mit der „Sehnsucht Ferne“. Ein stärkerer Fokus jedenfalls hätte gutgetan. So werden der Papagei und der Tukan, die den Eingangsbereich wie freundliche Türsteher flankieren, zur Metapher für den ganzen Parcours: etwas beliebig, mit einer gewissen Portion Exotik und vor allem sehr bunt.