Historische Globen
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Schallaburg

Auf den Spuren großer Entdecker

Die neue große Schallaburg-Ausstellung lädt heuer zum „Aufbruch in neue Welten“. Die Wahl der Destination fiel offenkundig schwer: Auf den Spuren historischer Entdeckungsreisender geht es im Wunderkammerprinzip um Azteken, Ägyptomanie und Massentourismus, rassistische Bilderwelten, Weltumsegelungen und Restitutionsdebatten. Die spannenden Geschichten bleiben leider etwas auf der Strecke.

Kein Strand, kein Meer, keine anderen Sprachen oder kulinarischen Überraschungen. Auch der zweite Sommer der Pandemie wird wieder die Urlaubswünsche vieler durcheinanderwürfeln zugunsten eines „sichereren“ Aufenthalts in der Heimat. „’Weh mir! Endlich wieder reisen!’ Das ist der Ausruf dieser Tage“, heißt es dazu frei nach Odysseus im Ausstellungskatalog.

Die Aktualität des Themas „Sehnsucht Ferne“ sei in dieser Form ungeplant gewesen, meinte der Kurator Marcel Chahrour dazu im ORF.at-Gespräch. Ganze drei Jahre Vorbereitungszeit sind in die diesmal auf 13 Räume reduzierte Schau geflossen, die sich auf die Spuren von historischen Entdeckungsreisenden, ihren Motivationen und ihrer Sammelwut begibt.

Fotostrecke mit 17 Bildern

Eingangsbereich der Ausstellung „Sehnsucht Ferne“ auf der Schallaburg
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Ein Papagei und ein Tukan sind die freundlichen Türsteher von „Sehnsucht Ferne“
Raumübersicht zeigt verschiedene Exponate
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Eine „Entdeckerstube“ wirft einen Blick auf die Motivationen der Reisenden und die k. u. k. Beteiligung am Kolonialismus
Ausstellungsansicht zeigt Gemälde und Exponate
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Auf den Spuren des britischen Seefahrers James Cook (1728–-1779), der für Europa erstmals Ozeanien erschloss …
Eindruck aus der Ausstellung „Sehnsucht Ferne“ auf der Schallaburg
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… ergänzt um eine Fototapete der Fresken „Vier Kontinente“ (1763) von Johann Bergl aus dem Stift Melk
Installation zeigt 2D-Schiffsmodell und Exponate
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Die Weltumsegelung der k. u. k. Fregatte „Novara“ in den Jahren 1857 bis 1859 wird mit einer interaktiven Karte erschlossen.
Interaktive Installation zur Weltumseglung der SMS Novara
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Hands-on für Kinder und Jugendliche: Selber Segeln mit der „SMS Novara“
Zeichnung aus dem 18. Jahrhundert zeigt riesenhafte Patagonier
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Die Legende von den riesenhaften Patagoniern verbreitete sich bis ins 18. Jahrhundert hinein
Schriftzug „Wir und die anderen“ an die Wand eines Ausstellungsraum projiziert
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Im Kapitel „Wir und die anderen“ wirft man einen Blick auf österreichische Afrikabilder
Historische Fotos zeigen Expedition in Afrika
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Die Hintergründe der Forschungsreisen: Träger, die in Ketten gelegt bei 40 Grad im Schatten Schwerstarbeit verrichten
Afrikanische Maske
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Afrikanische Masken: In den Herkunftsländern rituelle Gegenstände, in Europa begehrte Sammlerware
Frauenfiguren
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In den 50er Jahren brachte Keramikfiguren von Leopold Anzengruber kolonialrassistische Stereotype in die Wohnzimmer.
Mumie in Glasvitrine
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Zeigen oder nicht zeigen? In „Sehnsucht Ferne“ präsentiert man eine menschliche Mumie aus dem 7. Jh. v. Chr im Holzcontainer
Verziertes Goldgefäß
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„Gold gegen Viren“ heißt das Kapitel, das Hernan Cortes’ Eroberung des Aztekenreich gewidmet ist
Masken
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1994 erwarb Rudolf M. Brandl Nuo-Ritualmasken, den einzigen kompletten Satz außerhalb Chinas
Ausgestopfter Dodo
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Der ausgestorbene Vogel Dodo steht hier stellvertretend für einen rücksichtslosen Umgang mit der Natur
„Escape-Room“ im Zuge der Ausstellung „Sehnsucht Ferne“ auf der Schallaburg
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Als immersives Zusatzerlebnis lädt die Schallaburg heuer in einen „Escape Room“…
„Escape-Room“ im Zuge der Ausstellung „Sehnsucht Ferne“ auf der Schallaburg
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… die Rätselralley begibt sich auf die Spuren der k. u. k. Nordpolexpedition der „Admiral Tegetthoff“ 1872

An aktuellen Bezügen mit zumindest am Rande angeschnittenen Debatten rund um Restitutionsfragen und die Klimakrise mangelt es jedenfalls nicht. Außerdem mit im Gepäck: ganz vieles, in der ständigen Gratwanderung zwischen distanziert kritischer Betrachtung und einem lustvollen Beschwören des Entdeckerleidenschaft in jedem von uns.

Unterwegs mit dem Entdeckerrucksack

Breitenwirksame Themenvermittlung, das ist seit jeher das Ziel der Schallaburg-Ausstellungen, runterbrechen und mit viel Spaß an der Sache vermitteln. Und so werden diesmal Jugendliche gleich mit einem „Entdeckerrucksack“ auf den Weg geschickt, mit einem Kompass, einem Seil zum Knotenlernen und einem Um-die-Ecke-Gucker.

Im Sinn des „Ausstellungserlebnisses“ startet der Parcours auch in einer „Entdeckerstube, in der sich der Entdecker und die Entdeckerin auf die Reise vorbereiten“, wie es Chahrour nannte. Im schummrigen Licht präsentiert man ein mit Teakholztischen, Büchern und Sammlerstücken vollgepacktes Zimmer, das der berühmten Lithografie von Alexander von Humboldt in seiner Bibliothek (1856) nachempfunden ist, die gleich rechts an der Wand hängt.

Segelschiffmodell
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Seemannsmodell der „Novara“, gefertigt von einem Matrosen, 19. Jahrhundert, Sammlung Heeresgeschichtliches Museum

Das fiktive Arbeitszimmer in der Schallaburg entpuppt sich jedoch weniger als Ort der Aufarbeitung umfangreicher Vorbereitungsaufgaben, die für den Aufbruch ins Unbekannte notwendig waren. Mit Fragen zur Motivation, zur österreichischen Beteiligung am Kolonialismus und einer Reihe an Anekdoten zu einzelnen Reisenden wird das Themenfass weit aufgemacht.

Spulwurm aus dem eigenen Gedärm

Vom niederösterreichischen Maler Ferdinand Lukas Bauer hängen etwa feine Bleistiftzeichnungen von Käfern mit Zahlencodes an der Wand. Die Geschichte dahinter: Bauer, der 1801 mit dem britischen Forschungsreisenden Matthew Flinders als einer der Ersten Australien naturgeografisch erfasste, kam mit dem Kolorieren der Tierskizzen nicht nach und behalf sich deswegen mit Nummerierungen. Ein frühes Malen nach Zahlen.

Fotowand mit Kamel und Pyramiden
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Mitmachstationen wie diese Selfie-Fototapeten laden zum fiktiven Reisespaß

Als „Zeichen eines weitreichenden Forschergeists“ fungiert gleich daneben ein eingelegter Spulwurm des österreichischen Brasilien-Reisenden Johann Natterer. Von seiner Expedition 1817 hatte er nicht nur über 1.000 Eingeweidewürmer von Tieren mitgebracht, sondern auch den Wurm, der ihn selbst befallen hatte.

Die Riesen von Patagonien

Die große Stärke der Ausstellung ist es, anhand von spannenden Exemplaren solche Geschichten zu erzählen. Nachdem man Räume zu James Cooks Australien-Expedition und der Weltumseglung der k. u. k. Flotte „Novara“ passiert hat, wo man gleich selbst das Steuer in die Hand nehmen kann, stößt man auf eine Vitrine mit einem riesigen Elefantenoberschenkelknochen, der Menschen in Patagonien zugeschrieben worden war.

Schriftzug „Wir und die anderen“ an die Wand eines Ausstellungsraum projiziert
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Im Kapitel „Wir und die anderen“ wirft man einen Blick auf österreichische Afrikabilder

Im „Stille Post“-Prinzip hatte sich ab dem 14. Jahrhundert die Nachricht verbreitet, dass die Menschen im Süden Südamerikas besonders groß sind, bis man dort riesenhaften Kreaturen vermutete. Ein Lehrstück in Sachen falscher Bilder. In dem Abschnitt, der „fantasievolles Kartieren“ zum Thema hat, zeigt man außerdem eine opulente Landkarte des Schlaraffenlandes aus dem 18. Jahrhundert sowie Reproduktionen von gemalten Meeresungetümen aus dem Mittelalter: Die imaginierten Schreckgespenster ließen Seefahrer lieber entlang der Küste fahren, statt aufs offene Meer aufzubrechen.

Munterer Sprung durch Zeiten und Gegenden

Der muntere Sprung durch Zeiten und Gegenden wird vor allem im „düsteren Teil“ der Ausstellung zur Schwachstelle. Von der Auslöschung der Azteken im 16. Jahrhundert – besiegelt durch die goldgierige Gefolgschaft des spanischen Konquistadors Hernan Cortes und die Pockenkrankheit, die man aus Europa mitgebracht hatte – geht es flott weiter zum Themenraum über die Ägyptomanie des 19. Jahrhunderts. Auf Mumienpartys habe „Europas feine Gesellschaft“ damals die menschlichen Überreste „ausgewickelt“, heißt es. Zerriebenes Mumienpulver galt als Heilmittel.

Ausstellungshinweis

„Sehnsucht Ferne – Aufbruch in neue Welten“, von 20. März bis 7. November 2021, Schallaburg, montags bis freitags 9.00 bis 17.00 Uhr, samstags und sonntags 9.00 bis 18.00 Uhr. Zur Ausstellung ist ein Katalog (256 Seiten, 19 Euro) erschienen.

„Darf man das?“, steht auf einem mit Tüchern behangenen Holzcontainer geschrieben. Unklar bleibt, ob die Frage der Zurschaustellung der Mumie gilt, die nun im Inneren der Box zu sehen ist. Daneben zeigt man ein Video zur aktuellen Restitutionsdebatte zu menschlichen Überresten, um im nächsten Raum die europäischen Afrikabilder zu verhandeln.

Hier steht man vor vergleichsweise leeren Vitrinen, denen der Beigeschmack des Beliebigen anhaftet: „Nackte Wilde“-Porzellanfiguren mit Baströckchen aus Anzengruber-Manufaktur der 1950er Jahre, Fotos zu den Arbeitsbedingungen der Träger auf Forschungsreisen und ein exotisierender Reisebericht aus dem 18. Jahrhundert können die Wirkmächtigkeit und Gewalttätigkeit von Rassismus nur ansatzweise vermitteln.

Trojanow-Reflexion zum heutigen Fernweh

Das Wunderkammerprinzip, die unhierarchische Versammlung nach dem Grundsatz „Finde, was du kannst“, das die Schau insgesamt kennzeichnet, sorgt auch im Kapitel „Sammelwut“ für wenig Klarheit: Neben Speeren, Tierpräparaten und medizinischen Wirkstoffen aus dem 18. und 19. Jahrhundert trifft man hier auch auf die Forscherinnenbiografie von Ida Pfeiffer und die erst 1994 vom ehemaligen Direktor des Phonogrammarchivs Rudolf M. Brandl erworbene Sammlung an chinesischen Nuo-Ritualmasken.

Mit dem vielgereisten Schriftsteller Ilija Trojanow gibt es zum Abschluss noch eine gelungene hörbare Reflexion eines heutigen Umgangs mit der „Sehnsucht Ferne“. Ein stärkerer Fokus jedenfalls hätte gutgetan. So werden der Papagei und der Tukan, die den Eingangsbereich wie freundliche Türsteher flankieren, zur Metapher für den ganzen Parcours: etwas beliebig, mit einer gewissen Portion Exotik und vor allem sehr bunt.