Eine Frau hängt im Camp Oncupinar (Türkei) vor einem Zaun mit Stacheldraht und einem Wachturm im Hintergrund Wäsche auf
AP/Emrah Gurel
Fünf Jahre EU-Türkei-Deal

Flüchtlingspakt mit hohem Preis

Vor fünf Jahren haben die EU und die Türkei den damals heftig diskutierten Flüchtlingspakt geschlossen. Ankara verpflichtete sich mit dem Abkommen, neu auf den griechischen Inseln ankommende Menschen zurückzunehmen und gegen Schlepper vorzugehen. Für die EU war der Deal Ausweg aus einer heftigen politischen Krise, doch der Preis erwies sich als hoch.

Das Abkommen war am 18. März 2016 abgeschlossen worden, nachdem in den Monaten zuvor Hunderttausende Menschen aus Kriegs- und Krisengebieten in die EU gekommen waren. Auch in besagtem Frühjahr war die Lage noch prekär, insbesondere auf den vollkommen überforderten griechischen Inseln. Zudem riskierten damals nach wie vor zahlreiche Menschen mit der gefährlichen Seeüberfahrt ihre Leben.

Die EU stand unter enormem Druck, konnte sich intern auf keinen Kurs einigen und entschied sich schließlich für Zugeständnisse an das wichtige Transitland Türkei. Ankara verpflichtete sich, „alle erforderlichen Maßnahmen“ zu ergreifen, um neue See- und Landrouten für illegale Migration von der Türkei in die EU zu verhindern. Das nach wie vor geltende Abkommen sieht zudem vor, dass die EU Flüchtlinge und Migranten, die illegal über die Türkei auf die griechischen Inseln kommen, zurückschicken kann. Im Gegenzug sollte die EU Syrer und Syrerinnen aus der Türkei aufnehmen.

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan
AP/Emrah Gurel
Das Abkommen verkomplizierte die Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei

Probates Druckmittel

Vor allem aber sagte die EU der Türkei sechs Milliarden Euro für die Versorgung der Menschen zu, die in Flüchtlingsprojekte fließen sollten. Auch politische Zugeständnisse stellte Brüssel dem langjährigen EU-Anwärterstaat in Aussicht: etwa beschleunigte Verhandlungen über die Abschaffung des Visumszwangs für türkische Bürgerinnen und Bürger, den EU-Beitritt sowie Gespräche über eine Ausweitung der Zollunion.

Gleichzeitig erwies sich der Pakt für die Türkei als probates Druckmittel, das oft und gerne eingesetzt wurde – zuletzt im Februar des Vorjahres, wo die Türkei die Grenze für geöffnet erklärte und griechische Exekutiveinheiten teils mit Tränengas die Menschen zurückdrängte. Doch auch davor drohte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan viele Male damit, die Grenzen Richtung EU für Flüchtlinge, Migranten und Migrantinnen zu öffnen, und kam auf diese Weise mit zahlreichen Provokationen und kontroversen politischen Maßnahmen durch.

Für die EU wurde dieser Hebel vor allem nach dem gescheiterten Putschversuch von 2016 in der Türkei zum Problem, nach welchem Erdogan auf einen noch härteren Kurs einschwenkte. Seither erhöhte Erdogan nach einem Verfassungsreferendum seine Machtfülle und modellierte die Türkei weiter Richtung Präsidialsystem, zahlreiche demokratische und rechtsstaatliche Mechanismen wurden hingegen geschwächt.

Ankünfte drastisch gesunken

Die EU musste sich bei diesen Entwicklungen oft zurückhalten, denn innere Einigkeit in der Asylfrage gibt es bis heute nicht – und das Abkommen erfüllt seinen Zweck. Die Ankunftszahlen in Griechenland sind extrem gesunken. In den Jahren 2017 bis 2020 kamen im Schnitt 96 Prozent weniger Menschen über die Ägäis nach Griechenland. Weniger effizient verlief die Rücknahme. Laut EU-Kommission wurden seit März 2016 insgesamt 2.140 Personen in die Türkei zurückgebracht. Ankara setzte im Sommer vergangenen Jahres die Rücknahme aus. Die türkische Regierung begründet das damit, dass die EU ihre Zusagen aus dem Pakt nicht erfülle.

Ein Bub auf einem Fahrrad fährt durch das türkische Flüchtlingslager Öncüpınar
AP/Lefteris Pitarakis
Kinder im Flüchtlingscamp in Öncüpinar nahe der syrischen Grenze

Seit August nimmt die EU allerdings wieder Menschen aus Syrien auf. „Aber die Türkei hat die Rückführungen von den griechischen Inseln nicht wieder aufgenommen. Und das ist, was wir von ihnen erwarten“, sagte EU-Innenkommissarin Ylva Johansson jüngst.

Mittlerweile liegt die Zahl der syrischen Flüchtlinge in der Türkei bei 3,6 Millionen. Die meisten von ihnen arbeiten illegal, 2019 etwa hatten nur knapp über 30.000 der syrischen Geflüchteten eine Arbeitserlaubnis in der Türkei, viele leben seit Jahren in Flüchtlingscamps.

Daneben gibt es laut dem türkischen Migrationsforscher Murat Erdogan zusätzlich zu den offiziell 3,6 Millionen syrischen Flüchtlingen etwa zwei Millionen nicht registrierte Migranten und Migrantinnen aus anderen Ländern. Im Gegensatz zu den Syrern im Land, von denen sich die Mehrheit in der Türkei niedergelassen habe, würden einige von ihnen versuchen, in die EU zu gelangen. Die Alternative sei Abschiebung, „sie haben keine andere Option“, so Erdogan.

Türkei will Deal „überdenken“ und ausweiten

Beide Seiten müssten sich auf eine nachhaltige Lösung einigen. Sonst sei der Deal in seiner jetzigen Form zum Scheitern verurteilt, „da die Last unkontrollierter Migranten die Gefahr birgt, politische und soziale Umwälzungen in Europa und der Türkei auszulösen“. Die Türkei forderte daher nicht nur eine Verlängerung, sondern auch eine Reform und Ausweitung des Deals. Das Abkommen von 2016 müsse „in seiner Gesamtheit überdacht werden“, sagte der türkische Vizeaußenminister Faruk Kaymakci der Nachrichtenagentur AFP.

Er forderte mehr Geld für die Flüchtlingsversorgung in der Türkei und eine Unterstützung der freiwilligen Rückkehr von Syrerinnen und Syrern in ihre Heimat. Zudem müssten die bisherigen Zusagen eingehalten werden. Denn letztlich scheiterten doch einige der EU-Versprechen an der Politik der Türkei. Die Abschaffung der Visumspflicht für türkische Staatsbürger etwa war an 72 Bedingungen geknüpft, von denen nicht alle erfüllt wurden. Insbesondere spießt es sich an Verschärfungen der Anti-Terror-Gesetze, die nach dem Putschversuch erlassen wurden. Auch ein Ausbau der Zollunion scheiterte bisher an der ungeklärten Zypern-Frage. Etwaige Beitrittsverhandlungen liegen ebenfalls de facto auf Eis.

Eine Verlängerung des Abkommens scheint also beidseitig naheliegend, denn auch fünf Jahre nach 2015 gibt es in der EU keine gemeinsame Richtung in der Flüchtlingspolitik. Das zeigte sich zuletzt am Umgang mit Griechenland, wo die Verhältnisse in den Lagern nach wie vor desaströs sind. Die Türkei wiederum steckt tief in einer Wirtschaftskrise. Beim Gipfel Ende März dürfte die EU über die künftigen Beziehungen beraten.