Die amerikanische Schriftstellerin und Lyrikerin Amanda Gorman.
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Nach Debatte

Gormans „Den Hügel hinauf“ übersetzt

Seit der Verlesung ihres Gedichts „The Hill We Climb“ ist Amanda Gorman auf dem besten Weg zur Ikone. Über die Wahl der angemessenen Übersetzerin oder des Übersetzers für ihr Gedicht ist in den Niederlanden und Spanien eine Diskussion entbrannt. Für die deutsche Übersetzung stellte man ein Übersetzerinnenteam zusammen, das unterschiedliche Blickwinkel bündelt. Die Arbeit sei so „spannend wie anstrengend“ verlaufen.

Sie war der heimliche Star der Amtseinführung Joe Bidens als 46. Präsident des Vereinigten Staaten: die 22 Jahre alte schwarze Dichterin Amanda Gorman. Ihr Gedicht „The Hill We Climb“ wurde einhellig gelobt, zwei ihrer für den Herbst angekündigten Gedichtbände schafften es über Vorbestellungen in die Bestsellerlisten.

Gorman selbst ist inzwischen auf dem besten Weg, eine Ikone zu werden – für Lyrikerinnen eine seltene Karriere. Die internationalen Verlage überboten sich, um die Übersetzungsrechte für „The Hill We Climb“ zu ergattern. Am Dienstag erscheinen weltweit Übersetzungen.

Identitätspolitische Kontroverse

Ganz reibungslos war der Weg zu den jeweiligen Übersetzungen des momentan wohl berühmtesten Gedichts der Welt nicht. In den Niederlanden wurde die Übersetzung Marieke Lucas Rijneveld angeboten, jener Autorin nicht binärer Geschlechtsidentität, die mit ihrem Debütroman „De avond is ongemak“ (deutsch: „Was man sät“, 2019) den International Booker Prize gewann.

Nach Kritik der schwarzen Aktivistin Janice Deul, die es als „zumindest vergebene Gelegenheit“ ansah, Gormans Gedicht nicht von einer jungen schwarzen Dichterin übersetzen zu lassen, zog sich Rijneveld zurück. In der Folge wurde auch der katalanische Übersetzer Victor Obiols von seinem Verlag abgezogen. Nach eigenen Angaben erst, nachdem er die Übersetzung abgeliefert hatte.

„Sie haben mir gesagt, ich wäre nicht passend, das Gedicht zu übersetzen. Sie wollten nicht meine Fähigkeiten infrage stellen, aber suchten nach jemandem mit einem anderen Profil, vorzugsweise eine junge, aktivistische und schwarze Frau“, zitierten mehrere Medien ein Statement von Obiols gegenüber der Nachrichtenagentur AFP. Obiols zeigte sich irritiert: „Wenn ich eine Dichterin nicht übersetzen kann, weil sie eine junge, schwarze Frau ist, eine Amerikanerin des 21. Jahrhunderts, kann ich Homer auch nicht übersetzen, weil ich kein Grieche des 8. Jahrhunderts vor Christus bin.“

Übersetzung und Symbolkraft

In der Debatte, deren Grundfrage lautet, wer für wen sprechen dürfe, vermengen sich zumindest zwei Ebenen, jene der Übersetzung mit jener der Symbolkraft von Gormans Gedicht, das es aufgrund der Beauftragung durch Jill Biden und dem Rahmen seiner Präsentation erhalten hat. Grundsätzlich sind Übersetzerinnen und Übersetzer spezialisierte Kulturvermittler, die darin geübt sind, fremde Erfahrungshorizonte zu erschließen und diese in der Übersetzung zu transportieren.

Doch ist die Wahl von Gorman als Vortragender eines Gedichts im Rahmen der Präsidentschaftsangelobung genauso wie die Wahl des Themas „Vereintes Amerika“, das Jill Biden anregte, ein Symbol für die Beilegung der Unruhen, die durch Donald Trumps Regierungsarbeit in den USA entstanden. Nicht zuletzt ist mit dem titelgebenden „Hill“ auch das am 6. Jänner erstürmte Kapitol gemeint.

Gorman steht seit ihrer Lesung in einer Reihe mit der schwarzen Autorin und Bürgerrechtlerin Maya Angelou, die 1993 bei der Angelobung Bill Clintons das Gedicht „On the Pulse of Morning“ las. In „The Hill We Climb“ nimmt Gorman mehrmals Bezug auf Angelou. Zudem trug sie bei der Verlesung einen Ring in Form eines Vogelkäfigs – eine Anspielung auf Angelous berühmte Autobiografie „I Know Why the Caged Bird Sings“ (deutsch: "Ich weiß, warum der gefangene Vogel singt).

Bei der deutschen Übersetzung „Den Hügel hinauf“ hat man sich für ein Übersetzerinnenteam entschieden, das sowohl der symbolischen als auch der literarischen Dimension von Gormans Gedicht gerecht werden sollte.

Übersetzungsarbeit „so spannend wie anstrengend“

Neben der arrivierten Übersetzerin Uda Strätling arbeiteten Hadija Haruna-Oelker und Kübra Gümüsay an der zweisprachigen Ausgabe. Strätling kann man spätestens seit ihrer gelungenen Übersetzung der Essays „Vertraute Dinge, fremde Dinge“ des nigerianisch-amerikanischen Autors Teju Cole eine hohe Sensibilität für die Thematik bescheinigen. Mehrere Texte darin handeln von den Herausforderungen schwarzer Identität und von Rassismus.

Bild zeigt Amanda Gromans Buch „The Hill We Climb“ (Den Hügel hinauf) .
Hoffmann und Campe
Amanda Gorman: The Hill We Climb – Den Hügel hinauf. Zweisprachige Ausgabe. Übersetzt und kommentiert von Uda Strätling, Hadija Haruna-Oelker und Kübra Gümüsay. Hoffmann und Campe, 63 Seiten, 10,95 Euro.

In der „Süddeutschen Zeitung“ meldete sich Strätling während der Arbeit im Namen der drei Übersetzerinnen zu Wort: Die neue Herangehensweise sei „so spannend wie anstrengend. Halbe Nächte haben wir unter hohem Zeit- und Erwartungsdruck debattiert, uns hier und da wechselweise die Augen geöffnet, uns angeregt, ergänzt und bereichert, wir haben (bis zum gelegentlichen Patt) darum gerungen, Politik und Poesie so auszutarieren, dass der Kunstfertigkeit, mit der bei Amanda Gorman Sprache, Musik und Bilder ineinandergreifen, genügt werde.“

Der Versuch, Grenzen „zu verrücken, neue Wege zu suchen, neue Arbeitsweisen zu entwickeln und einzuüben hat gewiss seine Berechtigung – und seinen Reiz. Es wird solche Kooperationen in Zukunft sicher vermehrt geben. Zur Sensibilisierung, zur Neubewertung, zur Erweiterung der Wahrnehmung tragen sie fraglos bei.“

Hinführen zum Original

Liest man die Übertragung, zeigt sich, wie die Perspektiven der Politikwissenschaftlerin, Kolumnistin und Expertin für „diversitätssensiblen Sprachgebrauch“, Harun-Oelker, und der feministischen Aktivistin und Autorin Gümüsay sich im Text niedergeschlagen haben. Einerseits findet sich darin der Versuch, der literarischen Stimme Gormans gerecht zu werden, beispielsweise durch die Übernahme der im Original häufigen Binnenreime – Reimwörterpaare innerhalb einer Verszeile.

Andererseits wurde – nach einmaliger Übersetzung von „Americans“ mit „Bürger*innen Amerikas“ – weitgehend geschlechtsneutral fortgefahren, und es zeigt sich ein spürbarer Versuch, die schwarze Identität Gormans adäquat zu transportieren. Diese Bemühungen schlagen sich aber hauptsächlich in den Kommentaren zur Übersetzung nieder. Etwa wird Gormans ironische Selbstbeschreibung „a skinny girl“ mit „dünnes Schwarzes (sic!) Mädchen“ übersetzt. Im Kommentar zur Stelle findet sich eine ausführliche Erörterung der Selbstbezeichnungen Schwarzer auf Englisch und Deutsch und deren politischer Implikationen.

Insgesamt zeugt die Übersetzung von viel Reflexionsarbeit. Dennoch wird wohl kaum eine Leserin oder ein Leser alleine die deutsche Übertragung lesen, die sich oft in der Stilebene nach oben schraubt, wo Gorman in der Alltagssprache bleibt, oder Metaphern nicht übersetzt, diese im Kommentar dann aber genau erklärt. Alles an dieser Übersetzung weist in Richtung des Originals und versucht das Rüstzeug bereitzustellen, um dieses besser zu verstehen – auch das kann man, bei einem symbolträchtigen Text wie diesem, als sinnvolle Übersetzungsstrategie werten.