Gesundheitspersonal befüllt eine Spritze mit AstraZeneca Impfstoff.
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„Nutzen-Risiko-Relation“

Österreich hält an AstraZeneca fest

Deutschland hat am Dienstag beschlossen, dass der Impfstoff von AstraZeneca Menschen unter 60 Jahren nur noch in Einzelfällen geimpft wird. Österreich hält hingegen am Impfplan mit AstraZeneca fest. Würde man der deutschen Empfehlung folgen, könnte die Gruppe der 18- bis 55-Jährigen nicht genügend versorgt werden, so die Leiterin des heimischen Impfgremiums. Es gebe zu wenig alternativen Impfstoff.

Es sei richtig, dass die Impfung mit AstraZeneca in Einzelfällen „sehr dramatische, wenngleich aber sehr, sehr seltene Ereignisse“ auslösen könne, sagte Ursula Wiedermann-Schmid, Leiterin des Nationalen Impfgremiums, Dienstagabend in der ZIB2. Man müsse aber die gesamte Situation betrachten, so die Medizinerin. Natürlich sei es „sehr bedenklich, wenn solche Situationen mit einem Impfstoff auftauchen, aber dem gegenüber steht die Situation vonseiten der Dramatik der Erkrankung, in der wir uns befinden“, sagte Wiedermann-Schmidt.

Impfstoffexpertin über AstraZeneca

Ursula Wiedermann-Schmidt, Mitglied des Nationalen Impfgremiums, über die Auswirkungen des deutschen Beschlusses, AstraZeneca nur noch bei Personen ab 60 Jahren einzusetzen, auf die Impfstrategie in Österreich.

Sie wies darauf hin, dass es bei 100.000 Geimpften bei einem, zwei zu schweren Gerinnungsstörungen komme, „die höchstwahrscheinlich schon mit der Impfung assoziiert sind“. Blutplättchen würden geschädigt und dann zu einem Blutgerinnsel führen. Noch sei aber unklar, ob es diese Reaktion nur bei AstraZeneca geben könne. Dem stehe aber „die Situation vonseiten der Dramatik der Erkrankung, in der wir uns befinden“, gegenüber. Bei der Gruppe der unter 55-Jährigen träten in Österreich zurzeit vier bis sechs CoV-Todesfälle pro Woche auf, so Wiedermann-Schmidt.

„Was ist die Alternative?“

„Die Frage, dich sich uns stellt, ist: Was ist die Alternative?“, so die Medizinerin. Österreich habe zurzeit nicht genügend alternative Impfstoffe. Würde man hierzulande der deutschen Empfehlung folgen, könnte „die Gruppe der 18- bis 55-Jährigen bis auf Weiteres nicht genügend versorgt werden“, sagte die Leiterin des heimischen Impfgremiums.

Sie setzt daher darauf, dass Patientinnen und Patienten sowie Ärztinnen und Ärzte über das Risiko informiert werden und man bei Eintreten der jeweiligen Symptome möglichst früh aktiv werden könne. Die Fälle würden gleich verlaufen. Laut Wiedermann-Schmidt kommt es nach vier bis zehn Tagen zu diesen thrombotischen Ereignissen mit „typischen Symptomen“. Dazu gehörten „Übelkeit, plötzliches Fieber, erneute Kopfschmerzen, Bauchschmerzen“.

Deutsche Entscheidung beschleunigt Impfung für Ältere

In Deutschland will man dieses Risiko zurzeit nicht eingehen. Die Gesundheitsministerkonferenz der Länder beschloss am Dienstag auf eine entsprechende Empfehlung der Ständigen Impfkommission (STIKO) hin, dass der Impfstoff ab Mittwoch grundsätzlich nur bei Menschen verwendet wird, die das 60. Lebensjahr vollendet haben. Jüngere Menschen in den Impfprioritätsgruppen eins und zwei können „gemeinsam mit dem impfenden Arzt bzw. der impfenden Ärztin nach ärztlichem Ermessen und bei individueller Risikoanalyse nach sorgfältiger Aufklärung entscheiden, mit AstraZeneca geimpft werden zu wollen“. Diese Impfungen sollten „grundsätzlich in den Praxen der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte erfolgen“.

Deutschland schränkt Impfen von AstraZeneca ein

Die deutsche Impfkommission empfiehlt, AstraZeneca nicht mehr an Menschen unter 60 zu verimpfen. Als Grund wird angegeben, dass sich Fälle von schweren Thrombosen – vor allem bei jüngeren Frauen – mehren.

Zugleich kann das Produkt von AstraZeneca ab sofort bereits bei Menschen zwischen 60 und 70 Jahren eingesetzt werden, obwohl diese in der Regel erst in der dritten Impfgruppe sind. „Den Ländern steht es frei, bereits jetzt auch die 60- bis 69-Jährigen für diesen Impfstoff mit in ihre Impfkampagne einzubeziehen“, heißt es in dem Beschluss. „Dies gibt die Möglichkeit, diese besonders gefährdete und zahlenmäßig große Altersgruppe angesichts der wachsenden dritten Welle nun schneller zu impfen.“

Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel rechtfertigte die neuen Altersbeschränkungen mit Blick auf das Vertrauen in die Impfungen. „Vertrauen entsteht aus dem Wissen, dass jedem Verdacht, jedem Einzelfall nachgegangen wird“, sagte Merkel am Dienstagabend in Berlin nach Beratungen mit den Ministerpräsidenten der deutschen Bundesländer. Auch nach einer entsprechenden Einschätzung der Ständigen Impfkommission seien die Meldungen über Auffälligkeiten sehr selten, aber nicht zu ignorieren. Dass verschiedene Impfstoffe zur Verfügung stünden, sei ein großes Glück, sagte Merkel.

Thrombosen bei jüngeren Frauen

Die STIKO hatte kurz zuvor eine neue Empfehlung zu AstraZeneca herausgegeben, wonach der Impfstoff nur noch für Menschen ab 60 verwendet werden soll. Sie entschied sich dafür nach eigenen Angaben „auf Basis der derzeit verfügbaren Daten zum Auftreten seltener, aber sehr schwerer thromboembolischer Nebenwirkungen“ bei jüngeren Geimpften. In zeitlichem Zusammenhang mit AstraZeneca-Impfungen waren mehrmals Blutgerinnsel im Gehirn, Sinusvenenthrombosen, aufgetreten, vor allem bei jüngeren Frauen.

Impfung
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Deutschland will den AstraZeneca-Impfstoff in Deutschland vor allem bei älteren Hochrisikopatientinnen und -patienten einsetzen

Laut dem österreichischen Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) kann bei den in Europa registrierten Fällen von Sinusvenenthrombosen ein kausaler Zusammenhang mit der Impfung derzeit nicht belegt, aber auch noch nicht sicher ausgeschlossen werden. Bei Frauen unter 55 Jahren bestehe laut der Behörde nach der Impfung gegen Covid-19 ein Signal für ein sehr geringes Risiko (geringer als 1:100.000) für eine seltene Form von Gerinnungsstörungen mit Blutgerinnsel, worauf vor der Impfung hingewiesen werden soll.

Dem BASG wurden bis zum 29. März zwei Fälle von Sinusvenenthrombosen in zeitlicher Nähe zu einer Impfung mit dem Impfstoff von AstraZeneca gemeldet, die letzte erst in den vergangenen drei Tagen. Bis dato gebe es laut BASG noch keine gesicherten Hinweise auf einen Zusammenhang mit der Impfung.

Einschränkungen in weiteren Ländern

Nicht nur in Deutschland sorgt AstraZeneca für heftige Debatten: Erst am Montag gab Kanada bekannt, die Impfkampagne mit AstraZeneca auszusetzen – für Menschen im Alter unter 55 Jahren. Das zuständige Komitee habe Sicherheitsbedenken und wolle Berichte über seltene Blutgerinnsel bei einigen immunisierten Patienten näher untersuchen, hieß es. Medienberichten zufolge war das Mittel in der Altersgruppe unter 55 bisher aber nicht großflächig eingesetzt worden.

Deutschland – und zahlreiche andere Staaten – hatten erst vor zwei Wochen die Impfung mit dem AstraZeneca-Stoff vorübergehend ausgesetzt, weil mehrere Fälle mit Thrombosen in den Hirnvenen in zeitlichem Zusammenhang zur Impfung gemeldet wurden. Die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) bekräftigte daraufhin die Sicherheit des Vakzins, auch die STIKO in Deutschland hatte sich für eine weiteren Einsatz den Mittels ausgesprochen.

EMA sieht derzeit kein altersspezifisches Risiko

Die EMA erklärte, dass sie die derzeit keine altersspezifischen Risiken bei dem AstraZeneca-Vakzin sehe. Eine Prüfung habe keine spezifischen Risikofaktoren wie etwa Alter und Geschlecht für Blutgerinnsel nach einer AstraZeneca-Impfung ergeben, teilte die EMA am Mittwoch in Amsterdam mit. Die Prüfungen würden aber fortgesetzt.

In einigen Ländern wurde aber die Nutzung des Impfstoffs weiter eingeschränkt. So riet Frankreich dazu, den Impfstoff erst bei Menschen über 55 einzusetzen. Auch in skandinavischen Ländern gab man sich eher zurückhaltend: Finnland impft seit vergangener Woche nur mehr über 65-Jährige mit AstraZeneca. Auch in Schweden erhalten nur noch Menschen über 65 den Impfstoff. In Dänemark bleibt die Aussetzung überhaupt für alle Altersgruppen aufrecht.

Spanien will den Einsatz des Impfstoffs für Menschen über 65 erlauben. „Angesichts der neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse (…) wird die Altersgrenze angehoben“, teilte das Gesundheitsministerium in Madrid am Dienstagabend mit. Das gelte für bestimmte Gruppen wie Gesundheitspersonal und Lehrer. Zuletzt war der Einsatz des Vakzins in Spanien nur für Menschen im Alter von 55 bis 65 Jahren erlaubt.

AstraZeneca benannte Impfstoff um

Der Pharmakonzern AstraZeneca hat unterdessen den Namen seines Vakzins geändert. In einem auf der Website der EMA veröffentlichten Dokument findet sich der Hinweis, dass der Name der Impfung bereits am 25. März geändert wurde, wie auch der „Kurier“ berichtete. Der Impfstoff heißt künftig Vaxzevria, bisher wurde der generische Name „COVID-19 Vaccine AstraZeneca“ verwendet.

Auf Anfrage von ORF.at bestätigte AstraZeneca die Namensänderung – die EMA habe die Verwendung des Markennamens Vaxzevria genehmigt. Diese Umstellung auf einen Handelsnamen sei üblich und schon seit vielen Monaten geplant gewesen, so das Unternehmen. Unklar ist, inwieweit der Name in der Praxis zur Anwendung kommen wird – auch der Impfstoff von Biontech und Pfizer hat einen eigenen Namen: Comirnaty. In der Berichterstattung findet sich dieser aber relativ selten.