Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) bei einer Video-Konferenz mit EU-Ländern
Reuters/John Thys
EU-Impfstoffverteilung

Viel Kritik an Österreich

Der Streit über die Impfstoffverteilung in der EU ist mit Ach und Krach gelöst – der Disput über die Solidarität unter den Mitgliedsstaaten hingegen nicht. Tschechien fühlt sich weiterhin benachteiligt, erhält aber nun 30.000 Dosen aus Wien. Österreich wird nach seinen Manövern jedoch von EU-Diplomaten und internationalen Medien gescholten. Auch die heimische Opposition kritisiert Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) scharf.

Das Ergebnis, das nun bei der Impfstoffverteilung erreicht wurde, sei solide, hieß es am Donnerstag aus dem Wiener Bundeskanzleramt. Österreich erhalte knapp 199.000 zusätzliche Dosen von Biontech und Pfizer, und nicht wie in einem Erstvorschlag vorgesehen 139.000 Impfdosen.

Am Abend hatte man eine Lösung des Streits erreicht, bei dem es um zehn Millionen Impfdosen ging. Diese können unvorhergesehenerweise schon im zweiten Quartal ausgeliefert werden. An dem nun erzielten Solidaritätsausgleich vom Donnerstag beteiligen sich 19 EU-Staaten, um ins Hintertreffen geratene Staaten zu unterstützen. Österreich, Slowenien und Tschechien sind hingegen nicht dabei und erhalten nun den Anteil gemäß ihrer Bevölkerungszahl. Mehr bekommen Bulgarien, Estland, Kroatien, Lettland und die Slowakei – insgesamt 2,85 Millionen Dosen mehr, als ihnen normalerweise zustünden.

Zuvor hatte die EU-Ratspräsidentschaft einen Verteilungsschlüssel vorgeschlagen, bei dem Österreich 139.170 Dosen erhalten hätte – rund 60.000 wären in den Topf für andere Länder gegangen. Österreich, Tschechien und Slowenien waren damit nicht einverstanden. Daher beteiligen sich die drei Länder nicht an der Solidaritätsaktion, bei der manch andere Länder auf rund 30 Prozent ihrer Impfdosen zugunsten anderer verzichten.

Wien „verlor Streit, Wohlwollen und Freunde“

Nun ist der Ärger groß, dass Österreich sich nicht beteiligt, nachdem es selbst Vorwürfe der mangelnden Solidarität aufgebracht hatte. Ein EU-Diplomat sagte laut Nachrichtenagenturen: „Kurz hat sich unsolidarisch verhalten und Bulgarien, Estland, Kroatien, Lettland und die Slowakei im Stich gelassen. Für Österreich ist schwerer europäischer Flurschaden entstanden.“ Ein anderer wurde am Freitag in der „Financial Times“ zitiert: „Wien verlor durch diese Kapriolen den Streit, das Wohlwollen und Freunde.“

Diese Episode und der „unverhohlene Mangel an Solidarität aus Wien wird nicht so schnell vergessen werden“. Das Portal Politico zitierte einen EU-Beamten mit den Worten, Kurz’ Idee von „Solidarität a la carte erwies sich für viele von uns nicht als hinnehmbar“. Er habe eine Kampagne begonnen, „in der er um mehr Solidarität bat, und beendete sie, indem er den anderen die Solidarität verweigerte. Ich glaube, das sagt alles.“

Politico schrieb zudem, für Kurz markiere der Impfstoffstreit in der EU „ein Scheitern an mehreren Fronten. Er war nicht in der Lage, zusätzliche Impfdosen für sein Land zu sichern; er hat die bedürftigen Länder verraten, die ursprünglich seine Bemühungen unterstützten; und er hat seine eigenen Bestrebungen untergraben, ein Anführer der in Europa dominierenden politischen Mitte-rechts-Familie zu werden.“

„Scherben werden noch lange knirschen“

Ein weiterer ungenannter Diplomat sagte der dpa: „In dem Robin-Hood-Kostüm von Kurz und seinen beiden Freunden steckte dann doch nur wieder der finstere Sheriff von Nottingham. Sie nehmen Impfstoffe, teilen aber keine Impfstoffe.“

Auch in Österreich sind die Medienstimmen kritisch: Eine Schieflage bei der Impfstoffverteilung ausgleichen zu wollen sei ein berechtigtes Anliegen, kommentierte am Freitag der „Kurier“ etwa. Doch hätte Kurz alles „viel einfacher haben können. Diplomatisches Verhandlungs-Porzellan hätte nicht zerschlagen werden müssen, dessen Scherben noch lange unter österreichischen Sohlen knirschen werden.“

Vorwurf der intransparenten Verteilung

Schon zuvor hatten die Manöver aus Wien für Unverständnis bei den EU-Partnern gesorgt. Kurz hatte der EU vorgeworfen, den Impfstoff intransparent zu verteilen. Auch warf er dem mittlerweile abgesetzten Koordinator Clemens Martin Auer vor, auf dem Brüsseler „Basar“ eigenmächtig zusätzliche Impfdosen abgelehnt zu haben, ohne die Regierung darüber zu informieren. Angeführt von Österreich, hatten in der Folge Tschechien, Slowenien, Bulgarien, Kroatien und Lettland mehr Dosen im Rahmen eines „Korrekturmechanismus“ gefordert. Sie beriefen sich dabei auf die Solidarität, die in der EU herrschen solle. Kurz hatte die Erwartung geäußert, „dass wir Hunderttausende Dosen mehr bekommen“ – von an die 400.000 Dosen war die Rede.

Einigung auf Impfstoffverteilung

Die EU-Staaten haben im Streit um die Verteilung von Impfdosen eine Einigung erzielt. Österreich erhält knapp 200.000 zusätzliche Dosen, macht aber beim Solidaritätsausgleich unter den Staaten nicht mit.

Österreich liegt derzeit bei den Impfzahlen über dem EU-Schnitt. Allerdings dürfte Österreich bis Ende Juni in Rückstand geraten, weil es sein Kontingent des Impfstoffs von Johnson & Johnson nicht ausgeschöpft hat, das ab Mitte April geliefert werden soll. Die EU hatte sich auch gegen Kurz’ Vorwürfe gewehrt, die Verteilung sei nicht nachvollziehbar verlaufen. Die Staaten, die beim Impfen zurückgefallen waren, hätten sich selbst verspekuliert, etwa indem sie auf AstraZeneca gesetzt hätten, weil das Unternehmen sein Vakzin billiger angeboten hat. AstraZeneca aber musste schon mehrmals seine Lieferzusagen nach unten korrigieren, weshalb einige EU-Länder nun zu wenig Impfstoff zur Verfügung haben.

Schwierigere Suche nach Allianzen

Der Politologe Peter Filzmaier sieht in dem EU-Impfstoffstreit eine gewisse Ablenkung von der Debatte, warum Österreich zu wenig Impfstoffe bestellt habe und wer davon wann gewusst habe. „Es überlagert die Ausgangsdebatte“, sagte Filzmaier am Freitag zur APA. In der innerösterreichischen Öffentlichkeit mache der Streit mit der EU keinen zusätzlichen Unterschied.

Grafik zur Impfstoffverteilung in der EU
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: Rat der Europäischen Union

Dabei sei der EU-Impfstoffstreit weniger „eine selbst gezündete Ablenkungsnebelgranate“ als ein anderes Thema, welches in der politischen Kommunikation genutzt werde, sagte Filzmaier. Die eigentliche Frage sei, ob Österreich bei der Bestellung etwas falsch oder zu spät gemacht habe. Auch Kurz müsse sich diesbezüglich fragen, ob er nicht früher davon wissen hätte müssen. Auf inhaltlicher Ebene werde es nunmehr für Österreich schwieriger werden, Allianzen zu finden, meint Filzmaier. Dass Kurz sich bei der Impfstoffverteilung als „Gerechtigkeitskämpfer für Bulgarien und Tschechien“ in Szene setze, werde von diesen Ländern gar nicht gewollt und nütze ihm zudem in Österreich wenig.

SPÖ und NEOS sehen Österreich im Abseits

Scharfe Kritik kam am Freitag von SPÖ und NEOS. Der stellvertretende SPÖ-Klubvorsitzende Jörg Leichtfried sah ein „völlig undiplomatischen Vorgehen“. Dessen Ergebnis sei, dass Österreich keine einzige Dosis mehr als vorgesehen bekomme. Dass sich Österreich nun auch nicht einmal mehr am Solidaritätsmechanismus beteilige, zeige, „wie plan- und ziellos Kurz auch in der EU agiere“, so Leichtfried.

Nach Einschätzung von SPÖ-Delegationsleiter Andres Schieder „wurde an allen Fronten das Schlechteste erreicht: Österreich bekommt nicht mehr Impfstoff als ohnehin vorgesehen, und die EU-PartnerInnen sind brüskiert. Das türkis-grüne Impfchaos setzt sich auf allen Ebenen fort.“

„Wir haben uns vollkommen ins Aus manövriert. Bravo!“, schrieb auch die NEOS-Europaabgeordnete Claudia Gamon auf Twitter. Sie kritisierte, dass Österreich die bedürftigen Länder nicht mit eigenen Impfdosen unterstützt habe: „Österreich nimmt an dieser solidarischen Verteilung gar nicht teil. Das offizielle Österreich lässt andere EU-Staaten im Stich.“

Wien gibt Prag 30.000 Dosen ab

Österreich will aber zumindest Tschechien unterstützen. Am Freitag wurde bekannt, dass Österreich Tschechien auf bilateralem Weg 30.000 Impfdosen zur Verfügung stellen will. „Tschechien ist besonders hart getroffen mit zahlreichen Todesfällen und noch immer hohen Ansteckungsfällen, hat aber trotzdem als einziges Land bei der europäischen Impfstoffverteilung keine zusätzlichen Impfdosen bekommen. Gerade Tschechien nicht zu unterstützen empfinden wir als unfair und unsolidarisch“, so Kurz. Man sehe „es sehr positiv, dass wir auch aus anderen europäischen Ländern Bereitschaft dazu vernommen haben“, hieß es am Freitag. Das würde bedeuten, dass Österreich von den zugesagten knapp 199.000 zusätzlichen Dosen doch nur rund 169.000 geliefert bekommt.

Tschechiens Regierungschef Andrej Babis dankte Kurz: „Wir sind sehr dankbar für diese großzügige Hilfe, ganz besonders von Freunden, die auch mehr Impfstoffe brauchen, die aber verstehen, wie schwierig unsere Situation ist. Das ist echte Solidarität“, schrieb Babis auf Twitter.

Tschechien empört

Er kritisierte am Freitag auch die EU-Beschlüsse scharf. Im Gespräch mit dem Ö1-„Mittagsjournal“ nannte Babis die nunmehrige Verteilung einen „Skandal“, die EU habe „alle Regeln gebrochen“, weil es nicht zu einem Konsens gekommen sei.

Die EU zeige ihr wahres Gesicht, nur die großen Staaten hätten das Sagen. Die Lösung vom Donnerstag ist durch ein Schweigeverfahren zustande gekommen, weil auch nach zweitägigen Verhandlungen keine gemeinsame Linie gefunden worden war. Bis 19.00 Uhr wurde von keinem Land Einspruch erhoben, daher wurde die Lösung angenommen. Konsens herrscht aber weiterhin nicht.

Gegenüber der Nachrichtenagentur CTK sagte Babis, er verstehe nicht, wie der portugiesische EU-Vorsitz einen „Kompromiss“ ankündigen könne, wenn damit Tschechien, Österreich und Slowenien nicht einverstanden seien. Bei den Verhandlungen habe sich der Wunsch durchgesetzt, Kanzler Kurz dafür zu bestrafen, dass er gegen die unausgewogene Verteilung von Impfstoffen innerhalb der EU protestiert habe. Die tschechische Opposition attestierte Babis im EU-Impfstoffstreit „völliges Versagen“ und eine „skandalöse Niederlage“: Man wäre wohl mit dem portugiesischen Vorschlag besser gefahren und hätte rund 310.000 Impfdosen bekommen können, statt jetzt rund 239.000