Eine Ärztin trägt eine Imfpung in einen Impfpass ein
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Kritik der Ärztekammer

Spitalsärzte in Praxen als „Lückenbüßer“

Gerade in der Pandemie offenbart sich der Mangel an niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten: Besonders am Land bleiben Hausarztpraxen oft unbesetzt. Nun helfen angestellte Spitalsmediziner vermehrt in den Ordinationen aus – eine Lösung, die keinesfalls einreißen soll, so die Ärztekammer am Sonntag. Alternativen sind allerdings nicht in Sicht.

Das Problem ist bekannt: Besonders in ländlichen Regionen ist die Suche nach Hausärztinnen und -ärzten oft aussichtslos. Zudem geht in den kommenden Jahren die Mehrheit der jetzt ordinierenden Ärzte in Pension: jede und jeder vierte in fünf Jahren und jeder und jede zweite in zehn Jahren. Noch schlechter ist die Lage bei den Kassenärzten.

Derzeit gibt es mehrere Pilotprojekte, bei denen angestellte Spitalsmedizinerinnen und -mediziner aushelfen. Weitere Projekte sind in Planung. Gemeinden, die über zwölf Monate keinen Allgemeinmediziner auf Kasse mehr haben, sollen einerseits mit Geld und andererseits mit einem Mediziner aus den Landeskliniken unterstützt werden.

In Niederösterreich ist das bereits der Fall, auch das Burgenland plant nun in diese Richtung. Das Land und die Burgenländische Krankenanstalten GmbH (KRAGES) führen Gespräche mit der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) über eine dislozierte Ambulanz des Spitals Oberpullendorf. Dem Pilotprojekt könnte eine weitere in Gattendorf folgen.

Kammer glaubt nicht an Übergangslösung

Harald Mayer, Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer, sprach sich am Sonntag im Radiosender Ö1 strikt gegen diese Lösung aus. Freiwilligkeit sehe anders aus: „Vielleicht gäbe es auch Spitalsärzte, die in ihrer Freizeit gerne freiberuflich dort arbeiten würden. Das ist für mich ganz was anderes, als wenn Spitalsärzte in ihrem Angestelltenverhältnis dazu mehr oder weniger gezwungen werden, in Ordinationen Lückenbüßer zu sein“, so Mayer. Auch dass es sich nur um eine Übergangslösung handle, glaubte Mayer nicht. „Eine notfallmäßige Übergangslösung, das ist etwas anderes, als ein Pilotprojekt“, sagte Mayer, der auch Bundeskurienobmann der angestellten Ärzte ist.

Bereits vor wenigen Tagen machte Mayer darauf aufmerksam, dass die Spitalsärztinnen und -ärzte „am Limit arbeiten“ – und das auch unabhängig von der Pandemie. „Die enge Personalplanung ist grundsätzlich ein Thema, das den Spitälern zusetzt.“ Sie sei ein Bremsklotz, auch für die Ausbildung: „Ärzte in Ausbildung werden als volle Arbeitskraft geplant, obwohl sie ja noch lernen sollen, das ist fatal.“ Die Betroffenen seien schon an der Grenze ihrer Belastbarkeit und müssten entlastet und nicht weiter belastet werden.

Forderung an die Politik

Er verwies auf das Regierungsprogramm, wo die finanzielle Absicherung der Gesundheitsversorgung, eine bedarfsorientierte Ausbildung von Ärzten sowie ein niederschwelliger Zugang zur bestmöglichen medizinischen Versorgung verankert seien. „Die Patienten bestmöglich zu versorgen heißt, die Ressourcen sinnvoll einzusetzen, also ressourcenschonend die Spitäler vor jenen Patientenfällen zu entlasten, die ebenso im niedergelassenen Bereich bestmöglich behandelt werden könnten“, argumentierte Mayer.

Patientenanwalt Gerald Bachinger sagte gegenüber Ö1, eine Alternative zur jetzigen Lösung, um die niedergelassenen Praxen zu besetzen, sei gar nicht in Sicht. „Vor der Tür steht ein riesiges Versorgungsproblem, und ich möchte auch wirklich sehr darauf hinweisen, dass die Primärversorgung, die Grundversorgung, deswegen so wichtig ist, weil sie das Fundament der Gesundheitsversorgung ist“, so Bachinger.

Fast 1.000 Stellen pro Jahr

Schon im Vorjahr hatte die Ärztekammer zu einem „nationalen Schulterschluss“ von Politik und Sozialversicherungen aufgerufen. Gerade in der Coronavirus-Krise seien die niedergelassenen Ärzte erste Ansprechpartner. Der ärztlichen Bestandssicherung und Nachwuchsförderung sei höchste Priorität einzuräumen. Die Kammer hatte einen altersbedingten jährlichen Nachbesetzungsbedarf von 969 Ärztinnen und Ärzten errechnet, allein um die pensionsbedingten Abgänge in niedergelassenen Bereich kompensieren zu können. Dabei war der zusätzliche Bedarf durch eine größer und älter werdende Gesellschaft noch gar nicht berücksichtigt.