Borissow droht schwierige Regierungsbildung in Bulgarien

Bei der Parlamentswahl in Bulgarien ist die Partei des konservativen Regierungschefs Boiko Borissow offenbar erneut stärkste Kraft geworden. Borissows Partei GERB (Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens) erzielte nach Schließung der Wahllokale gestern veröffentlichten Nachwahlbefragungen etwa 25 Prozent der Stimmen.

Demnach hätte die Regierungspartei rund neun Prozentpunkte im Vergleich zur Wahl im Jahr 2017 verloren. Für verbreitete Unzufriedenheit der Wähler sprach auch, dass die neue populistische Protestpartei des Sängers und Fernsehmoderators Slawi Trifonow deutlich besser abschnitt als vorausgesagt.

ORF-Korrespondent Gelegs analysiert Wahl in Bulgarien

Aus Bulgarien berichtet ORF-Korrespondent Ernst Gelegs, was am Sonntagabend bereits über den Wahlausgang bekannt ist und warum eine Regierungsbildung als äußerst schwierig eingeschätzt wird.

Borissow wohl auf Koalitionspartner angewiesen

Laut den Nachwahlbefragungen kam Trifonows Formation namens „Es gibt ein solches Land“ auf 17 Prozent und lieferte sich damit ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit den oppositionellen Sozialisten. Die Bewegung für Rechte und Freiheit der türkischen Minderheit in Bulgarien, die häufig Königsmacherin im Parlament ist, belegte mit elf Prozent der Stimmen den Rang hinter den beiden Partien.

Die GERB dürfte somit jedenfalls die absolute Mehrheit verfehlen und wäre damit zum Regieren auf einen Koalitionspartner angewiesen. Angesichts der Kräfteverteilung zeichnet sich eine schwierige Regierungsbildung ab. Die Parteien, die die Vierprozenthürde für den Einzug ins Parlament voraussichtlich überwunden haben, haben sehr unterschiedliche Prioritäten. Den einen ist die von Borissow angestrebte Einführung des Euro zum 1. Jänner 2024 besonders wichtig, die Sozialisten setzen derweil vor allem auf eine engere Zusammenarbeit mit Russland. ITN hat mit Forderungen nach einem Systemwechsel um Wählerstimmen geworben.

Die Wahlbeteiligung war offenbar wegen der Coronavirus-Pandemie geringer als bei den Wahlen im Jahr 2017. Insgesamt 6,7 Millionen Stimmberechtigte waren aufgerufen, 240 Abgeordnete für die Volksversammlung in Sofia zu wählen. Angetreten waren knapp 7.000 Kandidatinnen und Kandidaten.

Wahl für Sozialisten-Chefin „entscheidend“

Sozialisten-Chefin Kornelia Ninowa bezeichnete die Wahl als „entscheidend“: „Ich habe für Wandel und Stabilität gestimmt“, sagte sie. Auch die regierungskritische Koalition Demokratisches Bulgarien (DB) hatte die Bulgarinnen und Bulgaren aufgerufen, wählen zu gehen. „Wir sollten hinausgehen und für einen Wandel stimmen“, sagte der DB-Mitvorsitzende Hristo Iwanow. Seine Koalition war Teil der Sommerproteste im vergangenen Jahr mit Korruptionsvorwürfen gegen das bürgerlich-nationalistische Koalitionskabinett von Regierungschef Borissow.

Gegen die Koalitionsregierung der GERB, die im EU-Parlament zur Europäischen Volkspartei (EVP) gehört, mit den Nationalisten der VMRO als Juniorpartner, hatte es im vergangenen Sommer Straßenproteste gegeben wegen Korruptionsvorwürfen. Borissow ist seit 2009 fast durchgängig an der Macht. Präsident Rumen Radew sagte, er habe „gegen die Zerstörung der Rechtsstaatlichkeit gestimmt“. Das Staatsoberhaupt hatte die regierungskritischen Proteste im vergangenen Jahr unterstützt und ist selbst ein vehementer Kritiker Borissows.

Die Bekanntgabe des offiziellen Wahlergebnisses könnte sich mehrere Tage hinziehen. Spätestens am Donnerstag soll es von der Wahlkommission verkündet werden.