Vivienne Westwood im Jahr 2016 am Rand einer Fashion Show in traditionellem Gewand
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Westwood 80

Englands andere „Iron Lady“

Wenn Vivienne Westwood nun ihren 80. Geburtstag feiert, dann werden alle widersinnigen Zuschreibungen verbraucht sein, auch der Ausdruck „Queen of Punk“. Wer Punk sei und wer nicht, interessierte schon in den 1970ern eigentlich niemanden. Westwood wusste dagegen: Wer Dinge bewegen will, muss eingefahrene Stereotypen attackieren. Sie fing bei sich an und hängte ihr Leben als biedere Mutter und Lehrerin an den Nagel. Und mischte sich just in einer Zeit in die breitere Öffentlichkeit, als eine andere kontroversielle Frau die Bühne betreten hatte: Margaret Thatcher.

Es gibt zwei Figuren der britischen Zeit- und Kulturgeschichte, die in ihren gesellschaftspolitischen Ausrichtungen nicht widersprüchlicher sein könnten. Und die in ihrer Entwicklung doch auch irgendwie zusammengehören. Es sind Vivienne Westwood und Margaret Thatcher, beide auf ihre Art „iron ladies“ (ein Attribut, das nicht zuletzt Thatcher dank ihres „I want my money back“-Handtaschenauftritts vor der EU für immer für sich reklamieren kann).

„Anglomania“ heißt eines der Labels von Westwood, das bei allem Ikonoklasmus ganz eng an die Sprache englischer Tradition und Muster (das Karo zwischen Schottenrock und Sherwood Forest) anknüpft. Westwood rebellierte gegen die Gesellschaft, der sie entsprang – und griff doch auf die Attribute wie den Reichsapfel zurück, den sie für ihr Logo mit einem Ring des Saturn umspannte. Die Englishness der Mode Westwoods, der Sonderweg, für den sie steht, ist auch nur aus der auf dem Kontinent nicht zu entschlüsselnden Spannung aus dominanter Monarchie und dem Hang zur Rebellion gegen diese zu erklären. Am Ende dieses Prozesses lässt man sich doch auch als Punk-Ausstatterin als „Dame“ nobilitieren.

Westwood mit ihrem Ehemann Andreas Kronthaler 2015
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Oft im Paarlauf: Vivienne Westwood mit ihrem österreichischen Mann, Andreas Kronthaler

Die Abkehr vom britischen Nachkriegskonsens

Als Thatcher und Westwood in den gesellschaftspolitischen Ring stiegen, tobten die Punks, die Mods, hatten die Teds ausgetanzt, stieg der britische Wave auf – und löste Frankie Goes to Hollywood Mitte der 80er genau das aus, was Kunst im Sinne von Westwood und Malcolm McLaren sein wollte: ein Provokationsakt, der, und hier träfe sich McLaren mit dem Thatcherismus, am Ende vor allem eine gut geölte Verwertungsmaschinerie samt angeschlossener Merchandise-Abteilung war. Frankie-Erfinder Trevor Horn brachte das zu Ende, worin McLaren immer halb stecken geblieben war. Trendsetter zu sein – und am Ende kräftig abzucashen (Horns Projekt The Art of Noise griff nicht umsonst auf Sound-Patterns aus der Solo-Zeit von McLaren zurück).

TV-Hinweis

ORF2 sendet am Sonntag um 23.05 Uhr die Dokumentation „Westwood – Punk. Ikone. Aktivistin“.

Das England von Thatcher wirkte wie ein Brandbeschleuniger für Kunst als permanenter Aufstand – ein Umstand, von dem die Banksys der Gegenwart noch heute zehren. Und auch die Anglomania eines Boris Johnson erzählt eine Geschichte zu Ende, die in den gesellschaftlichen Umstürzen der 1970er und 80er Jahren angelegt war. Die Abkehr vom sogenannten „Post war consensus“ und einer im Wesentlichen auf dem Keynesianismus angelegten Wohlstandspolitik des Interessenausgleichs begann bereits Mitte der 1970er Jahren mit dem Antritt des Labour-Premiers James Callaghan. Harold Wilson (Labour) und auch der konservative Edward Heath hatten im Wesentlichen die im Krieg geborene Gestaltung der Wirtschaftsentwicklung mit staatlichen Eingriffen mitgetragen.

Neue Zeiten

Unter Callaghan, der sich als Labour-Mann vom Keynesianismus abgewandt hatte („Wir dachten immer, wir kämen aus der Rezession raus und könnten die Beschäftigung steigern, indem wir die Steuern kürzen und die Staatsausgaben erhöhen. Ich muss euch ganz offen sagen: Diese Möglichkeit wird es nicht mehr geben“), radikalisierten sich die Auseinandersetzungen zwischen Regierung und Gewerkschaft, die nach dem „Winter of Discontent“ und den Wahlen 1979 in dem radikalen Systemwandel der Ära Thatcher mündeten. Thatcher hatte bereits Mitte der 1970er Jahre Heath an der Spitze der Torys abgelöst und leitete eine Wirtschaftspolitik ein, die bis Mitte der 1990er Jahre dominant bleiben sollte.

Margret Thachter am Kampfpanzer Challanger während eines Deutschland-Besuches in der Lüneburger Heide 1986
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Ikone Thatcher: 1986 in Deutschland auf dem Kampfpanzer „Challenger“. Man konnte Thatcher viel vorwerfen. Sicher aber nicht, dass sie kein Bewusstsein für wirksame Auftritte hatte.

Westwood konnte in ihrem frühen Erwachsenenleben noch an einem sozialen Aufstieg teilhaben, der später auch unter einem New-Labour-Premier Tony Blair nicht mehr möglich war. Das Arbeiterkind vom Stadtrand von Manchester, das nach dem Umzug der Eltern in den Großraum Londons zunächst ihre eigene Entwicklung für eine bürgerliche Biografie zurücksteckte: früh Mutter, früh verheiratet – Lehrerin in einem Umfeld ihrer eigenen sozialen Arbeiterherkunft.

Westwoods Selbstemanzipation

Gegen die scheinbare Vorbestimmung ihres weiteren gesellschaftlichen Wegs schafft es Westwood, sich selbst aus dem Sumpf vorbestimmter Kleinbürgerlichkeit zu befreien. Und landete beim nächsten Mann und ähnlichen Mustern. Nur sollte sich im Fall der Ehe von Westwood und Malcolm McLaren bald herausstellen, dass die Frau der größere Kreativmotor in der Beziehung war – ein Umstand, den das filmische Westwood-Porträt von Lorna Tucker aus dem Jahr 2018 („Westwood: Punk, Icon, Activist“) gebührend ausleuchtet. Der Rest in der Biografie Westwoods ist seit der Gründung des ersten Ladens in der Londoner King’s Road hinlänglich bekannt.

Westwood als Thatcher auf dem Tatler-Cover
Tatler
Diese Frau war einst ein Punk, las man auf dem Cover des „Tatler“

Westwoods erste professionelle Modekollektion präsentierte sie 1981 und legte damit den Grundstein für zahlreiche Stilanstöße. Ihr erstes Thema Piraten und Seefahrer traf sich mit der Post-Punk- und Wave-Attitüde eines Adam Ant, im Jahr darauf folgte mit „Nostalgia of the Mud“ die Dekonstruktion des Land- und Countryhouse-Stils. Westwood legte den Finger auf die Materialität von Mode und förderte von Anfang an ein Hinterfragen aller Stilkategorien: Sichtbare Nähte, Kapuzenpullover über voluminösen Röcken, als Oberbekleidung getragene Büstenhalter, Fell, Stickereien und übergroße Buffalo-Hüte erregten Aufsehen. Die für Westwood wichtige Trennung von McLaren brachte die Professionalisierung ihrer Mode: den charakteristischen Schriftzug, aber auch eine zwischenzeitliche Kooperation mit Giorgio Armani, die vor allem für den Vertrieb der Mode aus dem Hause Westwood sorgen sollte.

Westwood und das Sprengen aller Grenzen

Westwood dachte so manchen Stilmix in der Mode als Erste. Immer wieder wagte sie den Spagat zwischen traditionellen Elementen und dem Überschreiten aller Grenzen. Die spätere Mode eines Jean-Paul Gaultier wäre ohne Westwood kaum denkbar gewesen. Politisch blieb Westwood die Aktivistin, als die sie in den 1970er Jahren angefangen hatte, und rieb sich unermüdlich an der Politik Thatchers. Das mündete auch in eine direkte, provokante Auseinandersetzung mit der Ikone Thatcher, die sich zwischenzeitlich ja auch als Heerführerin profiliert hatte. Im Jahr 1989 findet man auf dem Cover der Zeitschrift „Tatler“ einen Auftritt der Eisernen Lady. Nur steckte nicht Thatcher, sondern Westwood drunter, die sich für das Shooting sogar den Zweiteiler von Thatchers Lieblingsmarke besorgt hatte.

Modedesignerin Vivienne Westwood auf einem weißen Panzer
APA/AFP/Leon Neal
2015 besuchte Westwood den damaligen Tory-Premier David Cameron auf dessen Landsitz: in einem Panzer

Zur London Fashion Week wurde dieses Cover mit einiger Begleitaufregung in einer Blow-up-Version gezeigt. „Sie ist zweifelsohne eine Frau ihrer Zeit und eine Frau unserer Zeit“, notiert Westwood über Thatcher. Thatcher habe den gesamten Finanzwahnsinn der Gegenwart aus dem Käfig gelassen. An ihrer Stelle hätte sie, Westwood, die Einkünfte, etwa aus dem Nordseeöl, in die Bildung gesteckt. „Du brauchst ein Herz und einen Kopf, um eine Vision zu haben“ – das habe Thatcher vermissen lassen, weswegen sie die „Eiserne Lady“ als Heuchlerin bezeichne, die immer den Falschen in der Gesellschaft die Benefits zukommen habe lassen.

Und dennoch weiß die Modeikone Westwood um die Macht der Bilder. Als sie 2015 gegen die Beteiligung der Briten am Fracking protestieren wollte, fuhr sie mit einem weißen Panzer vor den Landsitz des damaligen Tory-Premiers David Cameron. Das Bild einer Frau auf dem Panzer befand sich damals schon tief eingebrannt im britischen Kollektivgedächtnis. Es war Thatcher, die sich bei einem Deutschland-Besuch 1986 auf den Gefechtsturm des Kampfpanzers „Challenger“ setzte und mithalf, das Bild der kampferprobten Anführerin zu bedienen.