Beatmungsgerät einer Intensivstation
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Appell von Intensivmediziner

„Kraftanstrengung“ nötig

Angesichts der hohen Zahl von Covid-19-Patientinnen und -Patienten in Wien hat der Intensivmediziner Klaus Markstaller die Bevölkerung zum Durchhalten aufgerufen. Bis zur Impfung großer Teile der Bevölkerung brauche es eine „Kraftanstrengung“, sagte Markstaller. Die Bundeshauptstadt dürfte unterdessen vor einer Verlängerung des Lockdowns stehen.

611 Menschen mussten am Montag österreichweit wegen einer Infektion mit dem Coronavirus auf der Intensivstation behandelt werden, das waren doppelt so viele wie noch Anfang März. 245 waren es in Wien – ein neuer Höchststand. Allein im Wiener AKH würden derzeit 25 Menschen wegen eines schweren Covid-19-Verlaufs an der Herz-Lungen-Maschine behandelt, sagte Markstaller, Leiter der Universitätsklinik für Intensivmedizin, am Montag dem Ö1-Morgenjournal.

Bei den Covid-19-Patientinnen und -Patienten betrage die Sterblichkeit bei Behandlung an der Herz-Lungen-Maschine aktuell etwa 30 bis 35 Prozent, so Markstaller: „Das heißt, zwei Drittel überleben, obwohl sie komplett kaputte Lungen haben. Das ist weltweit ein Spitzenwert.“

Allerdings bedeute das eine unglaubliche Belastung für „Personal, Belegung und Patienten“, so der Intensivmediziner. Kleinere Eingriffe müssten angesichts der Lage bereits verschoben werden, alle wichtigen Eingriffe wie Tumoroperationen hätten bisher aber durchgeführt werden können, sagte Markstaller.

Neuer Höchststand auch in Niederösterreich

Auch in Niederösterreich wurde am Montag ein neuer Höchststand an Covid-19-Intensivpatientinnen und -patienten verzeichnet. Insgesamt mussten 132 Personen behandelt werden, der bisherige Spitzenwert war bei 126 gelegen. Im Burgenland befinden sich aktuell 22 Covid-19-Kranke auf den Intensivstationen, eine Person weniger als am Vortag.

Schlechte Prognosen, langfristig „Land in Sicht“

Die Prognosen für die kommenden Wochen zeigten nicht in Richtung Entspannung, sagte Markstaller. „Wenn man diesen Daten glaubt, dürfte es eine Stabilisierung auf diesem sehr hohen Niveau geben.“ Das sei ein Problem. Das System sei durch die hohe Belegung bereits so „gestört“, dass es nicht mehr normal funktionieren könne.

Die in Österreich mittlerweile dominierende CoV-Variante B.1.1.7 ist nicht nur ansteckender, sondern zieht auch öfter schwere Krankheitsverläufe nach sich. Aus diesem Grund müssten Patientinnen und Patienten, die aktuell auf die Intensivstation kommen, über einen sehr langen Zeitraum behandelt werden.

Markstaller appellierte einmal mehr an die Bevölkerung, auf Abstand, Maske und Hygiene zu achten. Die Impfung sei „tatsächlich die Lösung. Alle Daten zeigen das“, sagte der Mediziner und frühere Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI). Bis die berufstätige Bevölkerung großflächig geimpft sei, brauche es eine „gemeinsame Kraftanstrengung“, um diese Zeit zu überbrücken. „Land ist in Sicht.“

„Schleichender“ Systemkollaps

Die ÖGARI plädierte am Montag erneut für eine engmaschige Beobachtung der Entwicklung auf den Intensivstationen. Der Weg vom Normalbetrieb zur totalen Systemüberlastung gehe in Schritten und schleichend vor sich, sagte der aktuelle Präsident der Fachgesellschaft, Walter Hasibeder (Krankenhaus St. Vinzenz, Zams). Die Intensivstationen seien regelmäßig, ganz ohne zusätzliche Belastungen wie die Pandemie und zum Beispiel Katastrophen und Großunfälle, zu 75 bis 90 Prozent belegt. „Alles andere wäre auch ein suboptimaler Einsatz einer besonders wertvollen Spitalsressource“, so Hasibeder.

Wenn zehn bis maximal 15 Prozent aller Intensivbetten einer Region (österreichweit sind es etwa 2.000) durch eine zusätzliche Belastung wie derzeit Covid-19 belegt seien, sei das kein Problem, und ein weitgehend unveränderter Normalbetrieb bleibe gewährleistet, sagte der ÖGARI-Präsident.

„Bei bis zu 30 Prozent zusätzlicher Belegung durch Covid-19-Patientinnen und -Patienten müssen Maßnahmen zur Ressourcenentlastung ergriffen werden, zum Beispiel Überstunden oder das Verschieben bestimmter zwar wichtiger, aber nicht dringender Eingriffe. Das ist organisierbar, ohne dass medizinische Nachteile für Patientinnen und Patienten entstehen.“

Bei 30 bis 50 Prozent „Zusatzbelegung“ kommt es zur Selektion: Es müssen auch wichtige Eingriffe verschoben werden, die nicht akut lebensnotwendig sind, zum Beispiel onkologische Operationen. Oder Vorsorgeangebote in der Kardiologie oder anderen Bereichen können nicht mehr voll gewährleistet werden. „Das alles kann zu möglichen Prognoseverschlechterungen für Betroffene führen“, so Hasibeder. „Ab einer 50-prozentigen Belegung der Intensivkapazitäten durch Covid-19-Patientinnen und -Patienten oder andere Zusatzbelastungen kommt es schließlich zur viel zitierten Triage und einem Kollaps des Systems, wie wir das aus der frühen Pandemiephase zum Beispiel aus Bergamo kennen.“

Wien vor Lockdown-Verlängerung

In Wien berät Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) am Montag mit Intensivmedizinerinnen und -medizinern über die Lage in den Spitälern. Angesichts der angespannten Situation dürfte der seit 1. April geltende Lockdown verlängert werden. Wie mehrere Medien übereinstimmend berichteten, könnte Ludwig bereits am Montag eine Verlängerung bekanntgeben, ziemlich sicher aber schon vor dem Regierungsgipfel am Freitag – mehr dazu in wien.ORF.at.