Bildschirm zeigt das Youtube-Video von Rolling-Stones-Sänger Mick Jagger zu „Eazy Sleazy“
YouTube/ORF.at
Musik

Wenn die Impfung zum Hit wird

Die Impfung gegen Covid-19 ist seit Beginn der Pandemie in aller Munde – und allmählich auch in aller Ohren. Denn die Musikwelt befindet sich angesichts an Fahrt aufnehmender Immunisierungskampagnen im Impffieber: So werden alte Klassiker vakzingerecht umgetextet, neue Songs mit Covid-19-Referenzen gefüllt und Musikstreamingdienste mit Impfplaylists geflutet.

Mal geht es bei den Impfsongs um Vorfreude, mal um Ungeduld, mal um Verschwörungstheorien. Rolling-Stones-Sänger Mick Jagger scheut in seiner neuen Single „Eazy Sleazy“, die er gemeinsam mit Foo-Fighters-Frontmann Dave Grohl aufnahm, nicht davor zurück, Verschwörungstheoretiker durch den Kakao zu ziehen. „Shooting the vaccine/Bill Gates is in my bloodstream/It’s mind control“, singt Jagger. Also: „Verabreiche die Impfung/Bill Gates befindet sich in meinem Kreislauf/Das ist Gedankenkontrolle.“

Im Interview mit dem „Rolling Stone“-Magazin bezeichnete er den Vers als „Verarsche von Verschwörungstheorien“. So steht etwa der Microsoft-Gründer Gates, dessen Stiftung die Impfstoffforschung fördert, immer wieder im Zentrum von Verschwörungstheorien. In späteren Zeilen äußert Jagger Hoffnung für die Zeit nach der Pandemie: „Alles wird wirklich verrückt sein“, singt Jagger und freut sich auf einen „Garten weltlicher Vergnügen“.

Boomer nach der Impfung

Die Gruppe rund um die US-Schauspielerin und Komikerin Maya Rudolph griff das allgegenwärtige Thema für ein Musikvideo, das Ende März in „Saturday Night Live“ gezeigt worden war, mit Humor, grauen Perücken und viel Make-up auf. Im Video zum Parodiesong „Boomers Got the Vax“ widmet sie jedem Babyboomer vom Typ „nervenraubend“ einen Part.

Da wäre der maskenverweigernde Boomer, der verschwörungstheorieglaubende Anhänger von Ex-Präsident Donald Trump oder auch die Dame, die über die Buchung ihres nächsten Urlaubs sinniert. Allesamt prahlen sie mit ihrem Geimpftenstatus.

„Got all the money, now we got the vaccination“, heißt es in Anspielung auf den Wohlstand, den viele Babyboomer genießen. Also: „Wir haben all das Geld, jetzt haben wir die Impfung.“ Ein anderer freut sich, dass er die Wahl zwischen Moderna sowie Biontech und Pfizer hat und singt hämisch: „I get what I want but you get what’s left bitch, Johnson and Johnson.“ Übersetzt: „Ich bekomme, was ich will, und du bekommst, was über ist, Miststück, Johnson und Johnson.“ Vakzine von Johnsen & Johnson (J&J) – oder auch AstraZeneca – haben aufgrund von PR-Pannen und Meldungen über sehr seltene Nebenwirkungen mit Imageproblemen zu kämpfen.

„Impf mich!“

Die Liste an Vakzinsongs endet da aber noch nicht: Veröffentlicht wurden in den letzten Wochen und Monaten etwa Songs wie „Antibodies (Do You Have The)“ von Schauspieler Nicolaus Braun („Succession“) und „Supergen“ der deutschen Rockband Fehlfarben. Jede Strophe von „Supergen“ beginnt mit der Aufforderung „Impf mich“. „Impf mich gegen Zweifel“, „Impf mich gegen Ski Alpin“, „Impf mich gegen dich“.

Der Sänger sehnt sich darin nach Immunität und nach dem titelgebenden Supergen, behandelt werden in der Single zugleich auch die gesellschaftlichen Folgen der Pandemie. Der Mensch sei ein „hilfloses Wesen in endlosen Diskursen zwischen ZeroCovid, Impfstoffverboten und der Hoffnung auf einen baldigen mRNA-Impftermin“, wird die Band vom Magazin „Rolling Stones“ zitiert.

„Moderna Love Story“: Impfplaylists boomen

Dass die Sehnsucht nach dem erlösenden Stich groß ist, zeigen nicht zuletzt Daten des Streamingriesen Spotify vom 9. April. Seit Anfang des Jahres wurden mehr als 7.700 Vakzin-Playlists von Spotify-Nutzerinnen und -Nutzern weltweit erstellt. In den letzten 90 Tagen habe sich die Anzahl jener Playlists mit Namen wie „Pfizer Warmth and Serotonin“ und „Moderna Love Story“ beinahe vervierfacht.

Zu finden sind da vielfach Hits, die an Impfungen oder Heilung erinnernde Wörter im Titel haben. Etwa: „Hit Me With Your Best Shot“ von Pat Benatar, „Big Shot“ von Billy Joel oder „The Cure“ von Lady Gaga. Auch Songs wie „Euer Fritze mit der Spritze“ von Boris Bukowski, „Dosis“ von Blumfeld oder „Stayin’ Alive“ von den Bee Gees würden in derartige Pandemie-Playlists passen. Auf YouTube wird „Stayin’ Alive“ (1973) seit Ausbruch der Pandemie ohnehin mit Kommentaren zu ebenjener geflutet. „Das sollte die Welthymne sein, wenn wir uns von der Pandemie erholen“, schreibt ein User.

Parton erobert mit „Vaccine“ statt „Jolene“ das Netz

Zu neuem Ruhm verhalf die Pandemie überdies dem Klassiker „Jolene“ der US-Country-Ikone Dolly Parton. Grund dafür war ein Video, das Parton im März bei der Impfung zeigt. In dem Video stimmte sie eine umgedichtete Version ihres Hits „Jolene“ zu „Vaccine“ (Impfung) an. Parton hatte im vorigen Jahr die Forschung des Pharmakonzerns Moderna für den Impfstoff mit einer Millionenspende unterstützt. Das Video wurde allein auf Twitter über vier Millionen Mal angesehen.

Der britische „Guardian“ machte sich daraufhin auf die Suche nach Klassikern, die sich ähnlich elegant impftauglich texten lassen. Aus „Jamming“ von Bob Marley und The Wailers wurde „We’re jabbing, we’re jabbing, we’re jabbing … I hope you like jabbing too“ (Wir impfen, wir impfen, wir impfen … Ich hoffe, du magst impfen auch.). Den Ramones-Hit „I Wanna Be Sedated“ arbeitete die Zeitung in „Nothing to do, nowhere to go, oh, I wanna be vaccinated“ (Nichts zu tun, nirgends, wo man hingehen kann, oh, ich möchte geimpft sein) um.

Berliner Chor besingt Sehnsucht nach dem Stich

Ähnlich ging der Berliner Chor The Happy Disharmonists vor, der mit seinem Song „Ich wollt’, ich wär’ immun“ (gefolgt von „ich könnte alles tun. All das, was gar verboten war, wegen Coro-o-na“) das kollektive Verlangen nach der freiheitsbringenden Impfung zum Ausdruck bringt. Grundlage des Lieds ist das Evergreen „Ich wollt’ ich wär ein Huhn“ aus dem Jahr 1936.

„I got the anti-body-yody-yody-yody“

Nicht zuletzt hielten Impfsongs – oder zumindest Songschnipsel – Einzug auf der Kurzvideoplattform TikTok. Geimpfte der Generation Y und Z zelebrieren ihre Immunisierung mit Hilfe des beliebtesten Vakzinsongs der Plattform – dabei handelt es sich um eine umgearbeitete Version von „Body“ der Rapperin Megan Thee Stallion.

@amanderss__

Reply to @jessica9550 I THINK I DID IT!!!!! Plz use my sound

♬ I got antiBODY YODY YODY YODY - Amanders

Ausgelöst wurde der Hype von der 24-jährigen Medizinstudentin Amanda Harris, die die Hookline des Songs in „I got the anti-body-yody-yody-yody …“ umarbeitete. Also: „Ich habe die Antikörper-örper-örper-örper … bekommen.“ Über 200.000 „Gefällt mir“ hat das Video dafür bekommen. Mehr als 7.000-mal wurde das Audio bereits von anderen Nutzerinnen und Nutzern der Plattform verwendet.

Ob Parodie oder nicht, Klassiker oder Neuerscheinung: Die Hoffnung auf eine Rückkehr zu einem möglichst normalen Leben – unter Ausblendung von wissenschaftlichen Debatten zu Herdenimmunität, der Wirksamkeit von Vakzinen bei Virusmutanten und Kritik an ungleicher Impfstoffverteilung zwischen armen und wohlhabenderen Ländern – scheint jene Künstlerinnen und Künstler sowie viele ihrer Fans jedenfalls zu vereinen. Der britische Musiker Jagger dazu: „Es scheint nun in vielen Ländern ein Licht am Ende des Tunnels zu geben. Ich konnte dieses Licht sehen.“