Junge Frau schaut aus dem Fenster
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Psychische Belastung

Gruppe der stark Betroffenen wächst

Die Coronavirus-Krise wirkt sich zunehmend auf die psychische Gesundheit der Österreicherinnen und Österreicher aus. Laut einer am Mittwoch vorgestellten repräsentativen Umfrage fühlt sich mittlerweile bereits ein Drittel stark psychisch belastet. Besonders betroffen sind Jüngere, Frauen und Menschen, die schon vor der Pandemie psychisch stark belastet waren.

Österreich sei in einer „prekären Situation“, sagte der Psychiater Michael Musalek bei der Präsentation der Umfrage des Gallup Instituts. Die Intensivstationen würden zeigen, dass es die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie weiter brauche, so der Vorstand des Instituts für Sozialästhetik und psychische Gesundheit der Sigmund Freud Privatuniversität (SFU) bei der Studienpräsentation. Bei all dem müsse man aber wissen, dass mit den Eindämmungsmaßnahmen „psychische Belastungen geschaffen werden“, denen man entgegenwirken muss.

Die Folgen der Pandemie würden sich rasch ausbreiten. Das liege auch daran, dass der Mensch zwar Akutbelastungen oft relativ gut wegstecke, Langzeitbelastungen jedoch weniger. Das zeigt auch der zweite Teil der Befragung unter 1.000 Österreicherinnen und Österreichern Anfang März.

Antriebsverlust, Erschöpfungszustände

Die erste derartige Umfrage wurde im Mai 2020 durchgeführt. Insgesamt sehe man nun eine zunehmende „Überlastung der Menschen“, die sich mitunter in Antriebsverlust, Erschöpfungszuständen und dem Verlust von Freude äußere, sagte Musalek.

Michael Musalek (Facharzt für Psychiatrie und Neurologie) bei einer Pressekonferenz
APA/Helmut Fohringer
Psychiater Musalek: Man sieht eine „zunehmende Überlastung“ der Menschen

Frappant seien „deutliche Zunahmen“, was die Reizbarkeit betrifft, wenn etwa schon kleine Reize betont missgestimmte Reaktion hervorrufen bzw. es dafür teils gar keinen Anlass mehr braucht. Hier führe Überforderung auch zu Aggression. Erschöpfungszustände und Energielosigkeit durch die Abnutzungen, die die Krise mit sich bringen, würden auch bedingen, dass viele Menschen die Maßnahmen nicht mehr mittragen können, so Musalek. In der Umfrage gab die Hälfte der Teilnehmenden an, Anzeichen gesteigerter Gereiztheit zu verspüren.

Vom Zeitpunkt der ersten Befragung zur zweiten Auflage habe sich der Anteil der stärker psychisch Belasteten von rund einem Viertel auf ein Drittel erhöht, sagte Oliver Scheibenbogen von der SFU.

Körperliche Belastungen nahmen ebenfalls zu

Die berichteten wirtschaftlichen Belastungen seien zwar in etwa gleich geblieben, zugenommen haben jedoch auch körperliche Belastungen (von 14 auf 22 Prozent). Knapp die Hälfte der Teilnehmenden gab an, noch immer von wichtigen Bezugspersonen getrennt zu sein.

Man verzeichne auch eine „massive Zunahme der psychischen Belastung“ bei jungen Menschen im Alter zwischen 18 und 30 Jahren, so Scheibenbogen. Sehr deutlich sei der Anstieg auch bei Frauen – vor allem, wenn es Mehrfachbelastungen etwa durch Familie, Distanzunterricht und den Beruf gebe. Hier brauche es gezielte Hilfsangebote.

Am meisten litten die Menschen unter den Restriktionen, fehlender Tagesstruktur und der Furcht um den Arbeitsplatz, so der Psychologe. Insgesamt erlebten viele einen Verlust der Selbstbestimmung und der Autonomie, diese wären allerdings wichtig, um mit der Situation gut umzugehen und die Belastungen abzufedern.

„Hoffnung induzieren“

Es brauche hier auch Modelle, die einen sinnvollen Umgang mit der Pandemie vorleben, so Scheibenbogen. Die beiden Experten plädierten dafür, „Hoffnung zu induzieren“, ohne dabei mit dem In-Aussicht-Stellen von diesen oder jenen Öffnungsdaten immer wieder Erwartungen zu wecken, die sich dann nicht erfüllen. „So verlieren wir die Menschen“, sagte Musalek, der nun doch Gründe zur Hoffnung auf deutliche Entspannung in Richtung Sommer sieht. Man sollte sich aber davor hüten, eine Stimmung aufkommen zulassen, dass es Restriktionen etwa im Herbst nicht mehr brauchen werde.

Langes Warten auf Termin bei Psychologen

Die CoV-Pandemie wirkt sich zunehmend auf die Psyche der Menschen aus. Dieser Umstand spiegelt sich auf in der Wartezeit auf Termine bei Psychologen oder Psychotherapeuten wider.

Insgesamt sollte man den „Kampf gegen das Virus im Auge haben“ und nicht die Mitmenschen als „Gegner“ ansehen. Auch Politiker sollten nicht die „Unbesiegbaren“ spielen. Musalek: „Mit denen können wir uns auch nicht identifizieren.“ Insofern könne der Rücktritt von Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) mit seinem Eingeständnis der Überlastung durchaus „Vorbildwirkung“ haben.

Onlineinitiative geplant

Auf Vorbildwirkung hofft man auch bei einer geplanten Onlineinitiative: Auf einer Website unter dem Motto „Schatzkiste für das Schöne“ sollen Menschen positive Erfahrungen und Kraftquellen in der Pandemie angeben können. Denn bei all dem „Scheußlichen“ und Negativen helfe es, sich auf das Schöne zu konzentrieren, zeigte sich der Psychiater überzeugt. Gegen die Gereiztheit und Überforderung helfe vor allem ein „warmherziger, liebevoller Umgang miteinender“.