Der russische Oppositionspolitiker Alexei Nawalny
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Moskau

Arbeitsverbot für Nawalny-Organisation

Die Organisationen des im Straflager inhaftierten Kreml-Gegners Alexej Nawalny dürfen nach Angaben seines Teams nicht mehr arbeiten. Ein Gericht in Moskau habe das Arbeitsverbot verfügt, teilte der Direktor von Nawalnys Antikorruptionsstiftung, Iwan Schdanow, am Montag mit. Das Verbot für die Arbeit der Nawalny-Organisationen, darunter auch dessen Anti-Korruptions-Stiftung und seine Regionalstäbe, gelte, bis über einen Antrag entschieden werde, die Organisationen als extremistisch einzustufen.

Man werde „uns wohl als Extremisten einstufen, alle unsere Konten einfrieren, die Räumlichkeiten versiegeln und unsere Offline-Arbeit in Russland unmöglich machen“, so Nawalnys Vertrauter Leonid Wolkow in einem auf Twitter veröffentlichten Interview des Internetportals Znak.com am Wochenende. Die Staatsanwaltschaft in Moskau hatte die Einstufung von Nawalnys Organisationen als extremistisch beantragt. Ein Gericht soll nun darüber entscheiden.

Sollten die Richter zu dieser Ansicht kommen, könnten Behörden in Zukunft Haftstrafen für Aktivisten und Aktivistinnen anordnen und Bankkonten des Nawalny-Netzwerks einfrieren. Womöglich sei dann eine Pause nötig, sagte Wolkow, um zu sehen, wie die Oppositionsarbeit künftig noch aussehen kann. Es werde „fieberhaft“ an der Umorganisation gearbeitet. Die Opposition wirft dem Kreml vor, die Justiz für die Zerstörung all dessen zu instrumentalisieren, was Nawalny und seine gegen Korruption gerichtete Bewegung in Jahren aufgebaut haben.

„Letzte Verteidigungslinie gegen Putin“

Die Bewegung, so die Ankläger, „destabilisiert die gesellschaftlich-politische Lage im Land“. Sie rufe auf zur „extremistischen Tätigkeit, zu Massenunruhen – auch mit Versuchen, Minderjährige in gesetzwidrige Handlungen zu verwickeln“. Beschuldigt werden die Organisationen, sie handelten „im Auftrag verschiedener ausländischer Zentren, die destruktive Handlungen gegen Russland ausführen“. Das angebliche Ziel: eine Revolution, um den Machtapparat von Präsident Wladimir Putin zu stürzen. Derzeit stehen 33 Organisationen auf der russischen Liste extremistischer Organisationen. Nawalnys Organisation würde sich bei einer Verurteilung neben Gruppen wie der Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) und dem Terrornetzwerk al-Kaida wiederfinden.

Kreml-Gegner Alexej Nawalny
AP/Mstyslav Chernov
Nawalny vor seinem Flug von Berlin nach Moskau am 17. Jänner

„Wir sind die letzte Verteidigungslinie gegen Putin“, sagte Wolkow mit Blick auf das Vorgehen des Machtapparats unter Putin gegen Kritiker und Kritikerinnen. In einer Anhörung vor dem Moskauer Gericht hätten die Staatsanwälte am Montag beantragt, den Unterstützergruppen die Teilnahme an Wahlen, den Aufruf zu Kundgebungen und Veröffentlichungen in Onlinemedien zu untersagen, so Wolkow. Das Gerichtsverfahren findet hinter verschlossenen Türen statt, da Behörden manche Details des Prozesses als vertraulich eingestuft haben.

Strategische Bedeutung von Regionalbüros

Die Regionalbüros spielen auch bei der Wahlstrategie der Nawalny-Organisation eine große Rolle, in jeder russischen Region für den Kandidaten zu werben, der die besten Chancen gegen den Kreml-Kandidaten hat. Nawalny hatte zuletzt Hoffnungen auf die Parlamentswahlen im September gesetzt. Seit dem Extremismusverfahren haben allerdings mehrere Unterstützer und Unterstützerinnen des Oppositionellen öffentlich verkündet, dass sie die Organisation verlassen würden. Anfang des Monats war der FBK-Kameramann Pawel Selenskyj zu zwei Jahren Haft verurteilt worden. Die meisten wichtigen Nawalny-Vertrauten haben entweder das Land verlassen oder stehen unter Hausarrest.

Selbstverständlich sei die Arbeit der Nawalny-Unterstützer nicht extremistisch, sagte Wolkow. „Der Extremismusvorwurf wird einzig und allein als Vorwand für die politische Unterdrückung genutzt.“ Zuvor hatte Wolkow in einer Mitteilung erklärt, es bestehe die Gefahr, dass alle Gegner Putins zu Extremisten erklärt würden. Der Sprecher der deutschen Regierung, Steffen Seibert, sagte, ein Betätigungsverbot mit der Begründung einer extremistischen Tätigkeit sei „mit rechtsstaatlichen Prinzipien in keiner Weise vereinbar“.

Nawalny will Hungerstreik beenden

Ungeachtet des Drucks solle der Kampf um die Freilassung Nawalnys weitergehen. Wolkow bezeichnete es als Erfolg des politischen Drucks, dass Nawalny nun in Haft von zivilen Ärzten untersucht worden sei. Zudem hätten Ärzte seines Vertrauens Zugang zu den medizinischen Untersuchungsergebnissen erhalten. Damit habe sich der Kreml auf eine „seltsame Form eines öffentlichen Kompromisses“ eingelassen. „Ich glaube, das ist ein gutes Ergebnis.“

Nawalny hatte danach angekündigt, seinen drei Wochen dauernden Hungerstreik zu beenden. Begonnen hatte er ihn, um eine Behandlung von unabhängigen Spezialisten wegen eines Rückleidens und Lähmungserscheinungen in den Gliedmaßen zu erreichen. Die Forderung bestehe aber weiter, hieß es. Nach Darstellung Wolkows ist Nawalny nach letzten Erkenntnissen auf einer Krankenstation im Straflager IK-3 in Wladimir unweit von Moskau untergebracht.

Zu mehr als zweieinhalb Jahren Haft verurteilt

Nawalny hatte am Freitag gesagt, es werde 24 Tage dauern, um schrittweise wieder zu einer normalen Nahrungsaufnahme zu kommen. Er danke den „guten Menschen“ in Russland und auf der ganzen Welt für ihre Unterstützung. Nawalnys Ärzte hatten zuvor am Donnerstag in einem von Medien veröffentlichten Brief an den Oppositionspolitiker appelliert, seinen Hungerstreik sofort zu beenden. Sollte er weiter nicht essen, würde das seine Gesundheit weiter schädigen und im schlimmsten Fall zum Tode führen, hieß es. Die Ärzte hatten nach eigenen Angaben die Untersuchungsergebnisse ausgewertet.

Nawalny hatte im August des vergangenen Jahres einen Anschlag mit einem Nervengift aus der Nowitschok-Gruppe knapp überlebt. Nach dem Anschlag, für den Nawalny den Kreml verantwortlich macht, wurde er nach Deutschland geflogen und in der Berliner Charite behandelt. Unmittelbar nach seiner Rückkehr nach Russland im Jänner wurde er festgenommen und später wegen angeblicher Verstöße gegen Bewährungsauflagen zu mehr als zweieinhalb Jahren Lagerhaft verurteilt.