Menschen in einem geöffneten Gastgarten in Ütrecht in der Niederlande
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Trotz hoher Zahlen

Niederlande wagen Öffnungsschritte

Vier Monaten nach Beginn eines strengen Lockdowns soll in den Niederlanden das öffentliche Leben wieder anlaufen. Neben den Geschäften dürfen am Mittwoch mit Beschränkungen auch die Gastgärten wieder öffnen. Studierende dürfen wieder einen Tag in der Woche an die Universität, die umstrittene Ausgangssperre fällt. Die Öffnung wird von Fachleuten kritisch beobachtet, denn die Infektionszahlen sind weiter hoch.

Die Regierung unter dem konservativ-liberalen geschäftsführenden Premier Mark Rutte hatte sich trotz Warnungen des wissenschaftlichen Coronavirus-Beirates zu dieser ersten Lockerung der Coronavirus-Maßnahmen entschieden. Das Infektionsgeschehen ist weiterhin dynamisch, der Druck auf Krankenhäuser und Intensivstationen steigt noch.

Zurzeit liegt die 7-Tage-Inzidenz bei etwa 220. Die Regierung rechnet jedoch damit, dass die Zahlen wegen der voranschreitenden Impfungen schnell abnehmen werden. Etwa fünf Millionen Bürgerinnen und Bürger haben den Angaben zufolge mindestens eine Dosis erhalten. Das sind knapp 30 Prozent der erwachsenen Bevölkerung.

Menschen warten auf einen Sitzplatz im Gastgarten
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Dieses Brautpaar feierte seine Hochzeit mit einem Schanigartenbesuch

Warnung vor „Code Schwarz“

Doch die Lage in den Spitälern ist weiterhin schwierig: Erst vergangene Woche hatte der medizinische Bereich Alarm geschlagen und vor einem „Code Schwarz“ gewarnt. Sollten die Infektionszahlen nicht rasch zurückgehen, dann drohten den Krankenhäusern eine Überlastung und Triage, so der Vorsitzende der Vereinigung der Intensivmediziner, Diederik Gommers, am Freitag im niederländischen Radio.

Mehrere Krankenhäuser im Land seien so überfüllt, dass die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit erreicht sei, sagte Gommers. Schon jetzt werden Operationen abgesagt, darunter auch Krebs- und Herzeingriffe. Von einer extrem angespannten Lage seit acht bis zwölf Wochen sprach zuletzt auch der Intensivmediziner Mark Kramer. Zwar sie die Auslastung bereits höher gewesen, die Phase hoher Belastung dauere derzeit aber länger, so Kramer. Die Niederlande hatten zuletzt über 70 Intensivpatienten in das benachbarte Deutschland geschickt.

Menschentraube jubelt und feiert am Kings Day in einer Straße in Amsterdam
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Trotz der schlechten Lage in den Spitälern gab es am Dienstag, dem Königstag, in den Niederlanden Massenaufläufe

Hoffen auf erwarteten Impfeffekt

Gommers äußerte Verständnis dafür, dass angesichts der schwierigen Lage in den Spitälern Verwunderung über die Öffnungen herrsche. Es sei nur schwer vorstellbar, dass einerseits die Gastgärten öffnen, andererseits Spitäler darum ringen, für alle eine Behandlung zu ermöglichen. Allerdings würden die Öffnungen auf Modellrechnungen basieren, die auch die Impfung berücksichtigen. Man werde jetzt hart an der Durchimpfung arbeiten und hoffen, dass sich die Modellrechnungen bestätigen.

Die Mediziner mahnten einmal mehr zur Einhaltung der Abstand- und Hygieneregeln. Weiterhin verboten sind übrigens vorerst alle Veranstaltungen mit Publikum wie Sportwettkämpfe, Museen, Theater, Kinos. Auch die Außenbereiche in der Gastronomie müssen um 18.00 Uhr schließen. Es gilt eine Maskenpflicht in öffentlichen Gebäuden und ein Sicherheitsabstand von 1,5 Metern.

Menschenmassen am Königstag

Der Abstand blieb zumindest am Dienstag bei den Feiern zum Königstag vielerorts auf der Strecke. Zwar wurde die Feier zu Ehren der Monarchie bereits abgespeckt, trotzdem drängten sich auf dem traditionellen Volksfest Menschenmassen durch die Straßen. Parks in mehreren Städten mussten geschlossen, der Alkoholverkauf an einigen Orten gestoppt werden. Behörden riefen über Twitter dringend dazu auf, die Städte zu verlassen. In Amsterdam wurde der Vondelpark im Zentrum von Einheiten der Polizei geräumt, da die Coronavirus-Regeln nicht mehr eingehalten wurden.

Menschenmassen feiern King’s Day bei der Westerkerk Kirche, in Amsterdam
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Virologinnen zeigen sich angesichts der Menschenmassen nur mäßig begeistert

Es sei verständlich, dass die Menschen das Leben wieder genießen wollen. Man könne sich solche Bilder aber nicht leisten, hieß es am Mittwoch von Virologin Marion Koopmans gegenüber NOS. Zwar sei das Risiko draußen geringer, aufgrund der körperlichen Nähe aber weiterhin vorhanden. Dazu kämen gemeinsames Singen und Schreien.

Sie forderte die Regierung auf, die Entwicklung der Pandemie angesichts der Öffnungsschritte von Mittwoch genau zu beobachten. Heftiger formulierten es Virologen, die von der Zeitung „De Telegraaf“ zitiert wurde. Dort war angesichts der Feiern am Königstag von einem „fetten Mittelfinger“ die Rede.