Stadtansicht von Wien
ORF.at/Christian Öser
Preisspirale beim Wohnen

Immobilieninvestoren entdecken Wien

Hohe Lebensqualität, viel Grün, erschwingliche Mieten: Österreich und Wien insbesondere gelten in Europa als Insel der Seligen, wenn es ums Wohnen geht. Die Frage ist aber: Wie lange noch? Ein internationales Rechercheprojekt zeigt, wie finanzierbares Wohnen in ganz Europa unter Druck gerät. Im Zentrum stehen milliardenschwere Investmentfirmen – und Wien zählt zu einem ihrer begehrtesten Ziele.

Wer in den letzten Jahren durch die Bundeshauptstadt spaziert, stolpert praktisch an jeder Ecke über eine Baustelle. In Wien wird gebaut – wie wild und das seit Jahren. Kräne schießen aus dem Boden, dann folgen Betongerippe und mehr oder weniger gelungene Hausfassaden. Am Stadtrand verwandeln sich Gemüseäcker in Baugruben, in der Innenstadt werden Häuser abgerissen und durch exklusive Premiumwohnungen ersetzt.

Trotzdem wird Wohnen seit Jahren teurer. Denn gebaut werden vor allem frei finanzierte Wohnungen. Zwei Drittel der neuen Wohnungen in Wien gingen auf gewerbliche Projekte zurück, nur ein Drittel auf gemeinnützige Bauträger, also auf Genossenschaften, sagt Matthias Grosse. Mit seiner Firma Exploreal erfasst er seit 2017 alle Bauprojekte in Wien und mittlerweile auch in ganz Österreich. „Allein 2021 werden 6.000 Wohnungen fertiggestellt, bei denen ein Investor dahintersteht, von gewerblichen Bauträgern kommen noch einmal 6.000 Wohnungen dazu.“

Exklusiv – aber leer

Viele Projekte würden mittlerweile nicht mehr einzeln als Eigentumswohnungen verkauft, sondern in Paketen von mehreren Wohnungen, die danach vermietet werden, sagt Andreas Millonig, Grundbuchexperte bei Immo United. Das Unternehmen erfasst seit 2008 österreichweit Kaufverträge für Immobilien. „Es gibt aktuell eine höhere Tendenz, dass ganze Wohnanlagen von institutionellen Anlegern gekauft werden“, sagt Millonig, „zum Teil auch schon voll vermietet, weil somit auch noch einmal das Risiko gemindert wird bei dem Investment.“

Bauboom: Immer mehr internationale Investoren in Österreich

Seit der Wirtschafts- und Finanzkrise von 2009 kennen die Immobilienpreise in Österreichs Ballungsräumen nur eine Richtung: steil bergauf. Aber wer sind die Käufer dieser Immobilien? Im Rahmen eines europaweiten Rechercheprojekts haben sich Journalistinnen und Journalisten aus 16 Ländern die Entwicklung der Immobilienmärkte näher angesehen. Das Ergebnis: Überall in Europa sind professionelle Investoren auf dem Vormarsch, so auch in Österreich. Noch nie wurde so viel gebaut wie aktuell. Bleibt die Frage: Wie lange kann das noch gut gehen?

Allerdings sind in diesen Projekten die Mieten hoch – Anbieter sprechen meist von "Exklusiv-“ oder „Premiumangeboten“. 15 Euro pro Quadratmeter sind keine Seltenheit, und so sind oft längst nicht alle Wohnungen vermietet. Bei Recherchen stößt man immer wieder auf Erzählungen von Neubauten, in denen abends mehr als die Hälfte der Fenster dunkel bleiben. Ein Phänomen, das sich auch in anderen europäischen Städten beobachten lässt. In London etwa sieht man abends in besonders begehrten Wohngegenden nur noch selten Licht brennen – die Eigentümer nutzen die Wohnung als Anlageobjekt, gewohnt wird hier nicht.

Ausverkauf der Städte

„Früher hat es immer geheißen: Wohnen darf nicht zur Ware werden. In Wirklichkeit sind wir schon längst darüber hinaus. Wohnen ist keine Ware mehr, Wohnen ist teilweise ein Finanzprodukt“, sagt Gerlinde Gutheil-Knopp-Kirchwald, wohnwirtschaftliche Referentin beim Verband gemeinnütziger Bauvereinigungen. Und das gilt nicht nur für London, das gilt auch für so gut wie jede andere europäische Hauptstadt.

Immobilien in Wien als lukrative Geldanlage

Seit dem Jahr 2008 sind in Wien mehr als elf Milliarden Euro für Wohnungskäufe in großem Stil geflossen, also bei Deals, bei denen mindestens zehn Wohnungen auf einmal verkauft wurden. Damit ist Wien bei Investoren so beliebt wir Madrid und Paris – das zeigt eine internationale Recherche, bei der auch die Zeit im Bild dabei war.

Wohnungen waren früher kein großes Geschäft für milliardenschwere Investmentfirmen: zu kleinteilig, zu viel Aufwand, zu wenig Gewinnspanne im Vergleich zu Börsengeschäften. Mit der Wirtschafts– und Finanzkrise 2008 änderte sich das. Nachdem die Börsen auf Talfahrt waren, suchten Investoren neue Möglichkeiten, das Geld ihrer Kunden zu vermehren. Immobilien rückten in den Fokus.

Real Capital Analytics, eine der wichtigsten globalen Analysefirmen für Immobilientransaktionen, sammelt weltweit Informationen zu großen Wohnungskäufen. Das Unternehmen hat für diese Recherche alle großen Immobiliendeals in den 16 Städten ausgewertet. 2007 lag die Summe der großen Käufe (mindestens zehn Wohneinheiten pro Kauf) bei 17,3 Milliarden Euro. 2019 wurden auf diese Art 66,9 Milliarden Euro in Mietwohnungen investiert. Etwas überraschend: Wien liegt an fünfter Stelle, fast gleichauf mit Paris und Madrid.

Internationales Kapital heißt auf dem Wohnungsmarkt vor allem: Geld aus den USA. An zweiter Stelle: deutsche Investmentfirmen und Versicherungen. Aber immer wieder finden sich auch Unternehmen mit Sitz in den Steuervermeidungsländern Luxemburg und Liechtenstein.

Teuer trotz großer Mängel

Was das konkret bedeutet, zeigt der Fall der ehemaligen Postbus-Garage in Wien-Landstraße: 2014 verkaufte die Post das 30.000 Quadratmeter große Grundstück an eine Immobilienfirma. Diese teilte den Grund in zehn Parzellen, baute und verkaufte. Heute gehören die zehn Häuser Eigentümern aus Deutschland, Österreich, Liechtenstein und Luxemburg.

Vermietet wird das Projekt aber als ein großes Ensemble. 1.250 Euro Monatsmiete kostet eine 75 Quadratmeter große Wohnung auf dem Areal. Trotzdem stimme ein Jahr nach Fertigstellung die Qualität nicht, erzählen einige Mieterinnen und Mieter. Sie berichten von Wasserschäden, falsch verlegten Heizungen, splitternden Fußböden, einem immer wieder auftauchenden Brummton, der den Aufenthalt auf den Terrassen unmöglich mache.

Die Hausverwaltung betont gegenüber dem ORF, in dem Ensemble betreue man 500 der 800 Wohnungen, da seien Probleme und Fehler schlicht unvermeidlich, das Ausmaß sei aber nicht ungewöhnlich hoch, Beschwerden kämen im Wesentlichen von einer Handvoll Mietern. Derzeit seien etwas mehr als die Hälfte der Wohnungen vermietet, schätzt ein Mieter. Wie viele es wirklich sind, konnte die Hausverwaltung, die einen Großteil der Wohnungen betreut, bis Redaktionsschluss nicht sagen. Fest steht aber: Es könnten bald weniger werden. Viele Mieter sind bereits ausgezogen, viele erzählten gegenüber dem ORF, dass sie möglichst bald eine neue Wohnung suchen wollten.

Die Folgen des Investmentbooms

Während die Mietwohnungen im „Premiumsegment“ mehr werden, aber oft leer stehen, steigt das Angebot an günstigeren Mietwohnungen weniger schnell. Nach wie vor gebe es eine hohe Nachfrage an gemeinnützigen Wohnungen, sagt Gutheil-Knopp-Kirchwald. Gemeinnützige Bauträger tun sich schwer damit, schnell mehr Wohnungen zu bauen. Unter anderem, weil sich mit dem Bauboom auch Baugrund und Baufirmen verteuert haben – und für den gemeinnützigen Wohnbau oft unfinanzierbar werden.

Das Rechercheprojekt

Das international besetzte Rechercheprojekt „Cities for Rent“ verglich die Wohnungsmärkte in 16 europäischen Städten und untersuchte die Folgen der Milliardeninvestments in Mietwohnungen. Koordiniert wurde das Projekt unter dem Dach von Arena for Journalism in Europe und gefördert vom Investigative Journalism Fund for Europe. Beide unterstützen grenzübergreifende journalistische Recherchen.

„In den letzten Jahren ist zwar die Bevölkerung gewachsen, aber es gab deutlich weniger Haushaltsgründungen als erwartet. Junge Menschen ziehen nicht von zu Hause aus, oder Menschen bleiben länger in Wohngemeinschaften oder Heimen, weil sich die eigene Wohnung einfach nicht ausgeht“, sagt Gutheil-Knopp-Kirchwald. Wer doch auszieht, müsse oft mit einer kleineren Wohnung vorliebnehmen. „Wir sehen, dass die Wohnungen immer kleiner werden“, sagt Grosse von Exploreal. Gutheil-Knopp-Kirchwald stimmt ihm zu: „Neu gebaute gemeinnützige Wohnungen sind im Schnitt um 14 Quadratmeter größer als gewerbliche Wohnungen.“

Bauboom eingeschlafen?

Die Ökonomin schätzt, dass der große Bauboom in Wien erst einmal vorbei ist. Matthias Grosse von Exploreal sieht das nicht so, er geht davon aus, dass in den kommenden zwei Jahren jedenfalls noch viel gebaut wird. Andreas Millonig erkennt in den aktuellen Daten ebenfalls keinen Rückgang bei den Wohnungskäufen. Einig sind sich alle bei den Preisen. Mit großen Preisrückgängen bei Eigentums- oder Mietwohnungen rechnen weder Gutheil-Knopp-Kirchwald noch Millonig oder Grosse.

Mittlerweile ist das Problem aber im EU-Parlament angekommen. Dort hat man Ende Jänner die Kommission aufgefordert, sich vermehrt dem Problem erschwingliches Wohnen zu widmen. Vor allem brauchte es mehr europaweite Transparenz darüber, wer die großen Player auf dem europäischen Wohnungsmarkt sind.