Geflüchtete gestoppt: Neue Vorwürfe gegen Frontex

Im Umgang mit Flüchtlingen im Mittelmeer sind neue Vorwürfe gegen die EU-Grenzschutzbehörde Frontex laut geworden. Eine Gruppe von Medien um den „Spiegel“ und das ARD-Magazin „Monitor“ berichtete heute, die EU-Behörde spiele eine zentrale Rolle dabei, dass Flüchtlinge von der libyschen Küstenwache abgefangen und zurück in das nordafrikanische Land gebracht würden.

Seit Jänner 2020 flogen Frontex-Flugzeuge laut den Berichten in mindestens 20 Fällen über Boote hinweg, bevor die libysche Küstenwache diese zurückschleppte. 91 Flüchtende starben laut „Spiegel“ bzw. gelten als vermisst, weil das von der EU eingerichtete System zu erheblichen Verzögerungen führt. Denn in der Nähe befindliche Handelsschiffe oder private Seenotretter seien offenbar nicht alarmiert worden.

Frontex informiert bei der Entdeckung von Flüchtlingsbooten die Seenotleitstellen umliegender Länder, darunter auch Libyen. Den Recherchen zufolge, an denen sich auch die Medienorganisation Lighthouse Reports und die französische Zeitung „Liberation“ beteiligten, kontaktieren Frontex-Beamte die libysche Küstenwache offenkundig aber auch direkt. Drei libysche Offiziere berichten laut „Spiegel“, dass Frontex WhatsApp-Nachrichten mit Koordinaten von Flüchtlingsbooten an sie gesendet habe.

„Klarer Bruch von Europarecht“

„Diese Form der direkten Absprache ist ein klarer Bruch von Europarecht“, sagte die Völkerrechtlerin Nora Markard von der Universität Münster nach „Spiegel“-Angaben. „Die Frontex-Beamten wissen, dass die libysche Küstenwache Flüchtende nach Libyen zurückschleppt und dass den Menschen dort Folter und unmenschliche Behandlung drohen.“

Der deutsche Grünen-Europaabgeordnete Erik Marquardt warf Frontex-Chef Fabrice Leggeri vor, das EU-Parlament in der Frage belogen zu haben. Er sprach von einer „beispiellosen Komplizenschaft“ von Frontex und der EU mit der libyschen Seite. Allein in den ersten drei Monaten dieses Jahres fing die libysche Küstenwache laut ARD mehr als 4.500 Menschen ab und brachte sie zurück. Das seien mehr als doppelt so viele wie im gleichen Zeitraum des Vorjahres.

Frontex rechtfertigt Vorgangsweise

Frontex steht seit Monaten wegen der angeblichen widerrechtlichen Zurückweisung von Flüchtlingen unter Druck. Dabei ging es vor allem um Menschen, die über die Türkei und Griechenland nach Europa gelangen wollten. Zu den jüngsten Vorwüfen teilte Frontex laut dpa nun mit, dass es bei jeder Such- und Rettungsaktion Priorität sei, Leben zu retten.

„In der Region des zentralen Mittelmeers bedeutet das: Sichtet ein Frontex-Flugzeug ein Boot in Seenot, alarmiert es die nationalen Seenotrettungsleitstellen in der Region – Italien, Malta, Libyen und Tunesien.“ Alle vier seien den Frontex-Angaben zufolge international anerkannte Leitstellen.