Porträt von Napoleon von Jacques-Louis David
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200. Todestag Napoleons

Ein Despot erneuert Europa

Mit Napoleon, der am Mittwoch vor 200 Jahren starb, brach nach 1800 ein neues Zeitalter an. Seine Eroberungszüge schufen einen Kontinent, der der heutigen Landkarte zu ähneln begann. Vor allem aber sein berühmtes Gesetzbuch Code Civil schuf die Grundlagen des modernen Zusammenlebens, die teils bis heute Gültigkeit haben. Ein Erneuerer oder doch ein rassistischer Despot? Noch immer fällt die Beurteilung des französischen Kaisers gespalten aus. Seine Bedeutung für Europa ist jedoch unbestritten.

Mit aufwendigen Licht- und Toninstallationen, Umzügen und Festreden, selbstverständlich CoV-konform, feiert Frankreich punktgenau am 5. Mai den Todestag des Imperators als Staatsakt. Auch Präsident Emmanuel Macron wird sprechen. Gespannt liegen die Blicke darauf, wie er den Drahtseilakt bewältigen wird zwischen der Ehrung eines Mannes, der als Einer der Nation und Vollender der Revolution gilt, zugleich aber auch als deren Totengräber.

Während im deutschsprachigen Raum erstaunliche Ruhe herrscht um den Mann, der auf dem Höhepunkt seiner Macht große Teile Europas kontrollierte, gehen in Frankreich seit Wochen die Wogen hoch. Von „Gedenkobszönität“ sprachen die Kritiker im Vorfeld, gegenüber einem Tyrannen und Kriegstreiber, dessen Feldzüge allein in Frankreich bis zu eine Million Tote forderten, der die Diskriminierung der Frauen in seiner Zivilgesetzgebung verwurzelte und die Sklaverei in Haiti 1802 wieder einführte. Die frühere Kolonialmacht Frankreich solle lieber ihre Sklavereigeschichte aufarbeiten, anstatt eine „Ikone weißer Überlegenheit“ zu feiern, richtete die US-Historikerin Marlene L. Daut über die „New York Times“ aus.

Napoleon beim Übergang über den Großen St. Bernhard von Jacques-Louis David
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Jacques-Louis Davids ikonisches „Bonaparte beim Überschreiten der Alpen am Großen Sankt Bernhard“ (1800)

Katalysator des modernen Europas

„Regisseur, Schauspieler und Dramaturg seiner eigenen Geschichte“, so nennt Wolfgang Häusler, emeritierter Professor für österreichische Geschichte und Experte für das 19. Jahrhundert, Napoleon im ORF.at-Gespräch. In der nüchternen Betrachtung aber, so Häusler, sei Napoleon „ohne Zweifel ein Katalysator des modernen Europas“ gewesen.

Über das Zivilrecht, die Matura und zahlreiche institutionelle Einrichtungen wie die Banque de France, das Präfektensystem und eine zentral organisierte Polizei, die etwa auch für Österreich Vorbildwirkung hatte, sei das napoleonische Erbe weit über die französischen Grenzen hinaus in den modernen Alltag eingeflossen.

Ende des kleinstaatlichen „Fleckerlteppichs“

Napoleon wurde 1769 als Sohn einer korsischen Familie geboren und starb mit nur 51 Jahren schließlich in der Verbannung auf St. Helena, einer winzigen Atlantikinsel, auf der er nach der entscheidenden Niederlage von Waterloo 1815 seine letzten Jahre verbrachte. Mit seinen Eroberungskriegen und Feldzügen sollte der selbst gekrönte erste Kaiser Frankreichs, dem ein außerordentliches militärisches „Genie“ zugeschrieben wurde, nachhaltige Spuren auf Europas Landkarte hinterlassen.

„Deutschland verdankt ihm seine große Flurbereinigung“, betont Häusler das territoriale Erbe Napoleons. Dem vom Spätmittelalter an bestehenden Heiligen Römischen Reich deutscher Nation versetzten die Napoleonischen Kriege den endgültigen Todesstoß.

Die Krönung in Notre Dame, Gemälde von Jacques-Louis David
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1804 krönte sich Napoleon in Notre-Dame selbst zum Kaiser

Aus mehr als 300 Staatsgebilden, einem, so Häusler, „ungeheuren Fleckerlteppich der Kleinststaaten und Fürstentümer“ wurden 39. Mit dem Königreich Bayern und Württemberg wiesen diese schon damals ähnliche Grenzen wie die heutigen deutschen Bundesländer auf. Wurde zunächst die politische Elite der Erzbistümer und Stadtrepubliken entmachtet, brachte der Wegfall der Zollgrenzen auf längere Sicht ökonomischen Aufschwung.

Feudalismus endet mit dem Code Civil

Als „bahnbrechend und grundlegend“, wie Häusler es nun nennt, bewertet die Historiografie aber vor allem Napoleons Zivilgesetzgebung. Mit dem Code Civil, den er 1804 nach vierjährigem Erarbeitungsprozess erlassen hatte, goss Napoleon über weite Strecken die Ideale der Französischen Revolution in Gesetze. Kurz nach der Einführung in Frankreich wurde das Gesetzbuch auch in den napoleonischen Satellitenstaaten, vom Rheinbund über Italien bis Polen, implementiert.

Das Wichtigste dabei, so der österreichische Historiker: „Mit dem Code Civil wurde der Feudalismus radikal abgeschafft, mit Grundbuch und Kataster gab es nun ganz klar eine Festschreibung bürgerlicher Besitzrechte, des Rechts auf Eigentum.“ Die Bürger waren so nicht mehr aristokratischer Willkür unterworfen. Der Code Civil verbriefte die Möglichkeit, selbstständig zu wirtschaften. Er ermöglichte Rechtssicherheit und einklagbare Ansprüche, ließ Verträge schließen, wieder kündigen und Erarbeitetes vererben.

Napoléon bei der Schlacht von Austerlitz, Gemälde von François Gérard
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In der Dreikaiserschlacht bei Austerlitz im heutigen Tschechien besiegte Napoleon 1805 Österreich und Russland

Das Vorrecht des ältesten Sohnes wurde fallen gelassen, Kinder erbten nunmehr zu gleichen Teilen, was auf längere Sicht den Großgrundbesitz zurückschraubte. Ehe und Familie wurden dem Klammergriff der Kirche entrissen, Scheidungen erlaubt. Nachsatz: Mit der Gleichheit aller Menschen waren vor allem die Männer gemeint.

Defensive Modernisierung in Österreich

In die kaiserliche Residenzstadt Wien fielen die napoleonischen Truppen gleich zweimal, 1805 und 1809, ein. Nach den Schlachten bei Austerlitz und Aspern/Wagram mussten die Habsburger territoriale Verluste vor allem in Italien hinnehmen. Das alte Erbland Tirol wurde von Napoleon Bayern zugeschlagen, Österreich war in der Folge gezwungen, sich neu zu erfinden.

Literaturhinweis

Im deutschsprachigen Raum sind rund um den 200. Todestag Sonderhefte von „Presse“, „Spiegel“ und „Geo“ erschienen. Klett-Cotta veröffentlichte Johannes Willms „Der Mythos Napoleon“ (2020), bei C. H. Beck erschien kürzlich eine verbilligte Neuauflage von Adam Zamoyskis hochgelobter Biografie „Napoleon. Ein Leben“ (2018).

Mit dem Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch (1811) wurde hierzulande schließlich eine, so könnte man sagen, „abgemilderte“ Variante des Code Civil umgesetzt. Das Kaiserreich Österreich wurde damit ein Rechtsstaat, der die behördliche Willkür ausschaltete und die universelle Gültigkeit der Gesetze etablierte. Die Regierung mochte Personen wegen politischer Vergehen verfolgen, aber sie musste sich dabei an die Gesetze halten. Weil das Reich Geld brauchte, wurde zudem die wichtigste Einkommensquelle, die Grundsteuer, neu aufgestellt, mit dem Anspruch der Steuergerechtigkeit.

Die Geschichtsschreibung beschreibt die österreichische Entwicklung jener Jahre mit dem Begriff der „defensiven Modernisierung“. Wolfgang Häusler dazu: „In ganz Europa lernten auch die restaurativen und konservativen Kräfte von Napoleon, ganz ohne Frage. Kaiser Franz etwa hat in der Folge auch den Kataster angelegt“, hebt der Historiker die Bedeutung der systematischen Erfassung der Grundstücke hervor. „Napoleon schuf damit die Grundlage für die Bauernbefreiung, die in Österreich bekanntermaßen jedoch erst 1848 stattfand.“

Eigene Mythenbildung

Dass sich um Napoleon bis heute geschichtspolitische Debatten entzünden, ist nicht zuletzt dem französischen Imperator selbst zuzuschreiben. In der Verbannung auf St. Helena schrieb er seine Biografie, die schließlich postum zur „Bibel eines Napoleon-Kults“ werden sollte. Napoleon stilisierte sich darin als Vorkämpfer revolutionärer Ideen und als Geburtshelfer der Emanzipation der europäischen Nationen – und begründete so den Mythos des Bonapartismus, den nicht zuletzt auch Johann Wolfgang von Goethe und Heinrich Heine weiter fortschreiben sollten.