Frauenministerin Susanne Raab (ÖVP)
APA/Georg Hochmuth
Frauenmorde

Politik ortet Handlungsbedarf

Bereits neun Frauen sind seit Jahresbeginn von ihren Partnern oder Ex-Partnern getötet worden. Daher werden entschlossene Maßnahmen zum Schutz von Frauen gefordert. Frauenministerin Susanne Raab (ÖVP) reagiert und kündigt angesichts dieser Femizide einen Sicherheitsgipfel an.

Frauenministerin Susanne Raab (ÖVP) und Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) wollen mit den neun Landespolizeidirektoren und Landeskriminalamtsleitern eine weitere Intensivierung des Instruments der Fallkonferenzen in allen Bundesländern thematisieren. „Für eine einheitliche und standardisierte Abwicklung dieser Fallkonferenzen, die mit dem 1. Jänner 2020 ins Gewaltschutzgesetz aufgenommen wurden und seither als Instrument zur Prävention von Gewalttaten zur Verfügung stehen, wurde ein Leitfaden entwickelt“, hieß es.

Das Frauenministerium und das Bundeskriminalamt werden außerdem eine qualitative Untersuchung aller Tötungsdelikte an Frauen in den vergangenen zehn Jahren in Auftrag geben. Damit sollen wichtige Erkenntnisse über polizeiliche Maßnahmen vor Tötungsdelikten – etwa ob es im Vorfeld eine Wegweisung oder ein Betretungsverbot gegeben hat – über die Täter und ihre Motivlage gewonnen werden.

Maßnahmen gegen Gewalt an Frauen gefordert

Nach dem neunten Frauenmord in vier Monaten plant Frauenministerin Susanne Raab (ÖVP) am Montag einen Sicherheitsgipfel. Außerdem sollen Hilfsangebote durch eine Informationskampagne bekannter gemacht werden.

In Bezug auf die neun Frauen, die hierzulande in den vergangenen vier Monaten männliche Gewalt mit ihrem Leben bezahlt haben, hat laut Innenministerium nur in einem Fall ein aufrechtes Kontaktverbot bestanden, dem ein Betretungs- und Annäherungsverbot vorangegangen war. In den übrigen Fällen gab es im Vorfeld keine polizeiliche Wegweisung, „da die Polizei keine Erkenntnisse zu den jeweiligen Fällen hatte“, wie das Ministerium festhielt.

Grafik zu Frauenmorden
Grafik: ORF.at; Quelle: Bundeskriminalamt

„Sensibilisierung aller“

„Die letzten Tötungsdelikte an Frauen haben gezeigt, dass zuvor keine Maßnahmen polizeilichen Maßnahmen gesetzt werden konnten“, konstatierte Innenminister Nehammer. Es bedürfe daher „eines gesamtgesellschaftlichen Ansatzes, um von Gewalt betroffene Frauen zu ermutigen, die Polizei zu verständigen“. Darüber hinaus brauche es „eine Sensibilisierung aller in unserem Land lebenden Menschen, bei Anzeichen von Gewalt nicht wegzusehen“.

Nehammer und Raab wollen deshalb auch die Sensibilisierungskampagne gegen häusliche Gewalt an Frauen und Mädchen intensivieren, die während des ersten Lockdowns im vergangenen Frühjahr gestartet worden war. „Ich möchte, dass jede betroffene Frau und jedes Mädchen, aber auch ihr Umfeld weiß, dass es einen Weg aus der Gewaltspirale gibt. Sie müssen nicht allein mit der Situation zurechtkommen, es gibt Hilfe und Unterstützung. Daher ist es auch wesentlich, dass wir die Infokampagne weiter ausbauen und intensivieren. Es gibt einen Zufluchtsort für jede Frau, die von Gewalt betroffen ist“, sagte Raab.

ORF-Analyse: Wo Handlungsbedarf besteht

ORF-Redakteur Christian Hoffmann spricht über mögliche Maßnahmen zum Schutz von Frauen vor Gewalt und darüber, wo derzeit der größte Handlungsbedarf besteht.

Soziologin sieht Sicherheitsproblem

„Man kann de facto sagen, dass Männergewalt ein Sicherheitsproblem in Österreich darstellt“, sagte die Soziologin Laura Wiesböck am Freitag in der ZIB2. Männergewalt werde bagatellisiert und verharmlost. „Das fängt damit an, dass man die Abwertung von Frauen als Witze herabspielt, und geht so weit, dass man Frauenmorde als Beziehungsdramen bezeichnet.“ Wiesböck kritisierte, dass die aktuelle Rechtslage nicht ausreichend vollzogen werde.

So sieht es auch die Geschäftsführerin der Autonomen Frauenhäuser, Maria Rösslmüller. „Es passiert leider keine Gefährlichkeitseinschätzung, keine Gefährlichkeitsprognosen.“ Oft seien die Täter ja schon polizeibekannt, „trotzdem werden sie nicht in U-Haft genommen“.

Maurer: Identität des Täters unerheblich

Erschüttert hatten am Freitag Politikerinnen quer durch alle Parteien auf den jüngsten Frauenmord in Wien-Brigittenau reagiert. „Jede getötete Frau ist eine zu viel. Jede verletzte Frau ist eine zu viel“, sagte die grüne Klubobfrau Sigrid Maurer. Dabei sei es unerheblich, wer der Täter sei. Beim festgenommenen Verdächtigen soll es sich nämlich um den „Bierwirt“ handeln, der durch einen Prozess gegen Maurer bekanntgeworden war. Das bestätigt sein Rechtsanwalt. Die Polizei gab dazu allerdings keine Auskunft.

Zadic: „Passiert nicht plötzlich“

Ebenfalls auf dem Kurznachrichtendienst Twitter zu Wort meldete sich die grüne Justizministerin Alma Zadic: „Ein Frauenmord geschieht nicht plötzlich, sondern baut sich in kleinen Schritten auf – von Alltagssexismus über angriffige Nachrichten und Übergriffe bis hin zum Mord. Wir müssen bei der Gewaltprävention ansetzen.“ Die Serie an Femiziden müsse ein Ende haben.

Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) zeigte sich bei einer Pressekonferenz zu einem anderen Thema tief bewegt. „Das ist die neunte Frau, die dieses Jahr in Österreich ermordet wurde. Da müssen wir was tun“, sagte sie. Dabei rang Gewessler sichtlich um Worte.

„Femizide keine Einzelfälle"

Bestürzt zeigte sich auch die Frauensprecherin der Grünen, Meri Disoski: „Das Ausmaß der Gewaltbereitschaft, das Ausmaß der Männergewalt in Österreich ist nicht nur schockierend und schier unerträglich. Es ist auch ein politischer Auftrag für breite Sensibilisierungs- und Bewusstseinsmaßnahmen zu Männergewalt und Männerbildern. Hier müssen wir im Kampf gegen die massive gesellschaftsstrukturelle Verankerung von Gewalt noch stärker ansetzen. Gewalt darf niemals etwas Selbstverständliches und Alltägliches sein.“

Für Viktoria Spielmann, Gemeinderätin und Frauensprecherin der Grünen Wien, sind „Femizide keine Einzelfälle, sondern haben System und müssen klar als solche benannt werden. Sie sind die Spitze des misogynen und patriarchalen Eisbergs der Männergewalt gegen Frauen“, so Spielmann. „Wir müssen diese Gewalt auf allen Ebenen stoppen. Mit aller Entschlossenheit."

Für Ex-Frauenministerin und SPÖ-Frauenvorsitzende Gabriele Heinisch-Hosek reichen die aktuellen Bemühungen der Frauenministerin Raab nicht aus. Man müsse viel breiter und früher ansetzen. Gewalt an Frauen dürfe nicht als Frauenproblem verstanden werden, so Heinisch-Hosek. „Ich glaube, es müsste im Kindergarten beginnen." Ein gutes, progressives Männerbild von klein auf aufzubauen sei auch Aufgabe der Frauenministerin, sodass der Umgang miteinander nicht so patriarchal und machomäßig passiert“.

NEOS-Frauensprecherin Henrike Brandstötter sagte ebenfalls, es brauche dringend mehr Budget für Gewaltschutz und mehr Hilfseinrichtungen für Gewaltopfer: „Vor allem Frauen mit Behinderungen, Asylwerberinnen und auch Kinder, die Zeugen von häuslicher Gewalt werden, bekommen nicht die notwendige Unterstützung und Betreuung.“

Wie FPÖ-Frauensprecherin Rosa Ecker am Samstag dazu mitteilte, müsse „die Zeit des Redens und Diskutierens ein Ende haben“. Auf „Absichtserklärungen und Worte müssen nun endlich die entsprechenden Taten folgen“.

Van der Bellen: „Das ist unerträglich“

Seiner Erschütterung gab Bundespräsident Alexander Van der Bellen via Twitter Ausdruck: „Das ist unerträglich. Entschlossene Maßnahmen sind jetzt endlich dringend erforderlich.“ Frauenhass und Gewalt gegen Frauen und Mädchen dürften keinen Platz in unserer Gesellschaft haben. „Mein Mitgefühl gehört den Angehörigen der Opfer, aber auch allen Frauen und Mädchen, die Opfer von körperlicher oder sexueller Gewalt wurden.“

Verdächtiger einvernommen

Im Zusammenhang mit der Tötung der 35-Jährigen in Wien-Brigittenau wurden unterdessen weitere Einzelheiten bekannt. Laut APA war ein Nachbar bei der Frau auf Besuch, als der Verdächtige am Donnerstagabend deren Wohnung betrat. Der 42-Jährige soll in Gegenwart dieses Mannes auf die 35-Jährige geschossen haben. Als die Einsatzkräfte eintrafen, lag sie regungslos auf dem Boden. Die Frau erlitt Schussverletzungen an Kopf und Fuß und wurde noch schwer verletzt ins Spital gebracht, wo sie verstarb. Sie ist zweifache Mutter.

Der Tatverdächtigen soll bei seiner Festnahme über drei Promille Alkohol im Blut gehabt und sich eine Alkoholvergiftung zugezogen haben. Er wurde laut Polizei zunächst ebenfalls in ein Krankenhaus gebracht, weil er im Zuge der Festnahme zusammenbrach. Bei seiner Festnahme wurde auch die Tatwaffe sichergestellt. Wem diese gehört, ist Gegenstand von Ermittlungen, sagte Polizeisprecher Markus Dittrich. Der genaue Tathergang wird noch untersucht

Wie der Rechtsvertreter des Verdächtigen, Gregor Klammer, erklärte, war der 42-Jährige am Freitagnachmittag wieder ansprechbar und wurde zur polizeilichen Einvernahme als Beschuldigter vorgeführt. Dabei habe er von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht und sei zu keinen Angaben zum Tatgeschehen bereit gewesen, teilte die Landespolizeidirektion mit.