Pfizer-BioNTech-Impfstoffe in einem Kühlregal
Reuters/Stephane Mahe
Impfstoffe

Vor und zurück im Patentstreit

In der Debatte über den Patentschutz von CoV-Impfstoffen gibt sich die EU weiter skeptisch. Ein „Wundermittel“ im Kampf gegen die Pandemie sei das Aussetzen von Patenten nicht, so der Tenor. Auch das deutsche Pharmaunternehmen Biontech sieht darin trotz lauter Appelle keine Lösung. Inmitten der Debatte sicherte sich Brüssel am Samstag bis zu 1,8 Milliarden weitere Biontech-Impfdosen.

Die Frage, ob das Aufheben des Patentschutzes die Pandemie schneller beenden könne, ist höchst strittig. Dann könnten zahlreiche Unternehmen beginnen, Impfstoff herzustellen. Das ist sowohl Chance wie auch Risiko – denn die Produktion ist hochkomplex. Die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ hatte am Samstag durch einen Vorabbericht aufhorchen lassen, dass Biontech temporär darauf verzichten wolle, den Patentschutz für seinen Impfstoff Comirnaty durchzusetzen. Die Firma wolle laut einer Sprecherin bis zum Ende der Pandemie juristisch nicht gegen etwaige Imitatoren vorgehen, hieß es. Eine Meldung, die Biontech später dementierte.

Man sei überzeugt, dass der kontinuierliche Ausbau der Produktionskapazitäten dazu beitragen werde, diese Pandemie zu beenden. „Um dies zu erreichen, müssen Regierungen, Hersteller sowie internationale und nationale Organisationen gemeinsam die Versorgung von Ländern mit niedrigem und niedrigem mittleren Einkommen aus den bereits bestehenden Produktionsstätten unterstützen und helfen, neue zertifizierte Standorte zu identifizieren“, hieß es aus dem Mainzer Unternehmen.

Eine Patentfreigabe sei aber nicht zielführend: Patente seien „nicht der begrenzende Faktor für die Produktion oder Versorgung mit unserem Impfstoff“, sagte eine Sprecherin. Die Herstellung von Impfstoffen sei ein komplexer Prozess. Wenn die Anforderungen nicht erfüllt seien, könnten Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit des Impfstoffs leiden. Die Meldung, wonach Biontech vorübergehend auf den Patentschutz für den Impfstoff verzichte, sei nicht zutreffend.

Billiger Impfstoff an arme Länder

Man werde armen Ländern aber beim Preis entgegenkommen. „Wir werden weiterhin Länder mit niedrigem oder unterem mittleren Einkommen mit unserem Impfstoff zu einem nicht gewinnorientierten Preis versorgen“, so das Unternehmen. Der Impfstoff von Biontech und seinem US-Partner Pfizer beruht so wie jener von Moderna auf der neuartigen mRNA-Technologie und zeigt bisher die höchste Wirksamkeit aller zugelassenen Vakzine.

Über den Patentschutz für die Impfstoffe war zuletzt eine heftige politische Debatte entbrannt. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO), die USA, NGOs und zuletzt auch Papst Franziskus sprachen sich dafür aus, den Patentschutz auszusetzen, um die Bevölkerung ärmerer Länder günstig mit Impfstoff versorgen zu können. Die Pharmaindustrie sprach sich aber vehement gegen den Schritt aus. Das Problem seien vielmehr Handelsbarrieren sowie Mangel an Rohstoffen und Bestandteilen, die für die Herstellung der Impfstoffe nötig seien.

Merkel und Macron gegen Freigabe

Die EU bleibt skeptisch, aber zumindest gesprächsbereit. „Wir denken nicht, dass das kurzfristig eine Wunderlösung ist“, sagte EU-Ratspräsident Charles Michel am Samstag beim Treffen der Staats- und Regierungschefs in der portugiesischen Küstenstadt Porto. Die 27 EU-Staaten hatten bereits am Freitagabend über den überraschenden Vorstoß von US-Präsident Joe Biden beraten. Biden hatte sich zuvor überraschend hinter Forderungen ärmerer Länder zur Aussetzung des Patentschutzes für Covid-19-Impfstoffe gestellt.

Man wolle sich der Diskussion nicht verschließen und sei bereit, über das Thema zu diskutieren, sobald ein konkreter Vorschlag auf dem Tisch liege, sagte Michel. Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sprachen sich für die Beibehaltung des Patentschutzes aus. Die Hersteller müssten in die Lage versetzt werden, „möglichst schnell Lizenzen zu vergeben oder die eigenen Produktionskapazitäten anzuheben. Beides findet statt“, so Merkel. Der Vorschlag von Biden gehe deshalb am Problem vorbei und sei sogar riskant.

Die EU will die internationalen Partner dazu ermuntern, den Export von Impfstoffen zu erleichtern. Zugleich sprach man sich in Brüssel für die rasche Aufhebung von Exportschranken aus. Die EU betonte, sie sei derzeit die einzige demokratische Region, die in großem Maßstab Impfstoff exportiere. Mehr als 200 Millionen Dosen seien aus der EU ausgeführt worden – in etwa so viel, wie innerhalb der Union ausgeliefert wurden.

Großeinkauf der EU

Gleichzeitig kauft die EU auch viel an Impfstoff ein. Am Samstag besiegelte sie den den Kauf von bis zu 1,8 Milliarden weiteren Biontech-Impfdosen. Nach Angaben von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wurde eine Vereinbarung über 900 Millionen Impfdosen sowie Optionen auf 900 Millionen weitere Impfdosen für die Jahre 2021 bis 2023 erzielt. Die EU will sich damit für Auffrischungsimpfungen und gegen mögliche künftige Mutationen des Virus rüsten.

Schaidreiter zum Kauf weiterer Impfdosen

ORF-Korrespondentin Raffaela Schaidreiter berichtet aus Porto über den zweiten Tag des EU-Gipfels zu Sozialthemen und den Kauf weiterer CoV-Impfdosen von Biontech und Pfizer.

Zwar sagt die EU-Kommission in der Regel offiziell nichts über die Kosten der gekauften Impfstoffe. Nach dpa-Informationen liegt der vereinbarte Preis je Dosis aber in der Größenordnung, die Bulgariens Ministerpräsident Boiko Borissow zuletzt genannt hatte: etwa 19,50 Euro je Dosis. Der in Medienberichten genannte Preis von 23,50 Euro liege dagegen zu hoch, hieß es in Brüssel. Die Summe je Dosis sei „unter 20 Euro“.

18 Mio. Dosen pro Jahr an Österreich

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) bezeichnete den Kauf durch die EU als „wichtigen Meilenstein“. Die Dosen würden innerhalb der EU nach Bevölkerungsgröße der Länder verteilt, „wie es sinnvoll ist“, sagte Kurz am Samstag in Porto. An Österreich würden zwei Prozent der Lieferung gehen, also fast 18 Millionen Dosen pro Jahr.

Der Ministerrat in Wien hatte am Dienstag beschlossen, 800 Millionen Euro (mit einer Option auf Aufstockung) für den Ankauf von 42 Millionen Impfdosen bereitzustellen. Davon entfielen 35 Millionen auf Pfizer und Biontech, drei Millionen auf Moderna und vier Millionen auf Johnson & Johnson. Angaben zu den Kosten der einzelnen Dosen wurden nicht gemacht. Kurz wies aber darauf hin, dass alle anderen Maßnahmen in der Pandemie teurer seien als Impfungen.