Auseinandersetzungen zwischen Palästinensern und israelischen Sicherheitskräften am Tempelberg in Jerusalem
APA/AFP/Ahmad Gharabli
Ostjerusalem

Hunderte Verletzte bei Zusammenstößen

Bei neuen schweren Zusammenstößen zwischen Palästinensern und israelischen Sicherheitskräften in Ostjerusalem sind am Montag Hunderte Menschen verletzt worden. Nach Angaben des palästinensischen Roten Halbmonds wurden mehr als 300 Menschen verletzt, sieben davon schwer. Etwa 290 Menschen seien in Krankenhäuser gebracht worden.

Nach Polizeiangaben waren auch 21 Polizisten unter den Verletzten. Es gab Vorwürfe, dass Israel Sanitätern den Zugang zum Gelände verwehrt. Hunderte Menschen warfen auf dem Tempelberg in der Nähe der Al-Aksa-Moschee Gegenstände auf die Sicherheitskräfte, diese reagierten mit Blendgranaten, Gummigeschoßen und Tränengas. Polizeisprecherin sagte, die Polizei werde es nicht zulassen, dass „Extremisten“ die öffentliche Sicherheit gefährdeten. Israel begeht am Montag den Jerusalem-Tag.

Das Land feiert damit die Eroberung des arabischen Ostteils von Jerusalem einschließlich der Altstadt während des Sechstagekrieges 1967. 13 Jahre später wurde der Teil annektiert. Die Annexion wird international nicht anerkannt. Die Palästinenser sehen Ostjerusalem als Hauptstadt eines künftigen eigenen Staates.

Israelische Polizisten am Tempelberg
Reuters/Ilan Rosenberg
Die Al-Aksa-Moschee auf dem Tempelberg

Explosionen hörbar in Jerusalem

Der militärische Flügel der islamistischen Palästinenserorganisation Hamas stellte am Montag Israel ein Ultimatum. Bis zum frühen Abend müssten alle Polizisten und Siedler vom Tempelberg sowie aus dem Viertel Scheich Dscharrah in Ostjerusalem abziehen. Zudem müssten alle im Rahmen der jüngsten Konfrontation festgenommenen Palästinenser freigelassen werden.

Kurz nach Ablauf des Ultimatums um 17.00 Uhr (MEZ) gab es Alarm in Jerusalem. Nach Angaben des israelischen Militärs wurden Anti-Panzer-Raketen aus dem nördlichen Gazastreifen Richtung Israel abgefeuert und schlugen in der Umgebung von Jerusalem ein, wie der israelische Sender Channel 13 berichtete. In Jerusalem waren Medienberichten zufolge Explosionen zu hören. Die Hamas bekannte sich zu einem Raketenangriff. Berichte über Schäden und Verletzte lagen zunächst nicht vor.

Der für Montag geplante Marsch durch die Jerusalemer Altstadt anlässlich des israelischen Feiertags Jerusalem-Tag war schon zuvor wegen der jüngsten Zusammenstöße zwischen Palästinensern und der Polizei abgesagt worden. „Der Flaggenmarsch ist abgesagt“, teilte die veranstaltende Organisation Am Kalavi Montagnachmittag mit.

Große Bedeutung für Judentum und Islam

Aus Sorge vor Gewalt hatte die israelische Polizei Juden am Montag verboten, bei Flaggenmärschen durch die Altstadt auch den Tempelberg zu besuchen. Der Tempelberg mit dem Felsendom und der Al-Aksa-Moschee ist für das Judentum wie für den Islam von herausragender Bedeutung. Es ist die drittheiligste Stätte im Islam. Zugleich standen dort früher zwei jüdische Tempel, von denen der letzte im Jahr 70 von den Römern zerstört wurde. Die Klagemauer ist ein Überrest jenes zerstörten Tempels und die heiligste Stätte der Juden.

Karte von Ostjerusalem
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA

Raketen auf Israel abgefeuert

Hussein al-Scheich, Berater von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas, kritisierte die „Erstürmung“ des Tempelberg-Geländes durch die israelische Polizei. Die Palästinenserführung halte sich alle Optionen offen, um darauf zu reagieren. Militante Palästinenser feuerten am Montag erneut Raketen auf das israelische Grenzgebiet. In der Grenzstadt Sderot und anderen Ortschaften heulten nach Militärangaben in der Früh die Warnsirenen. Es seien drei Geschoße abgefeuert worden. Eines davon habe offensichtlich die Raketenabwehr „Eisenkuppel“ abgefangen.

Auf einer Straße am Rande der Altstadt von Jerusalem kam es am Montagvormittag zu einem Zwischenfall: Ein israelischer Autofahrer rammte mit seinem Auto einen Palästinenser, nachdem sein Fahrzeug von einer Gruppe von Palästinensern mit Steinen beworfen worden war. Die israelische Polizei teilte mit, der Mann habe die Kontrolle über das Auto verloren. Anschließend wurde der Fahrer von einer Menge attackiert. Ein israelischer Polizist schoss in die Luft und zwang die Palästinenser, von ihm abzulassen.

Angespannte Lage seit Beginn des Ramadan

Die Lage im Westjordanland und im arabisch geprägten Ostteil Jerusalems ist seit Beginn des Fastenmonats Ramadan angespannt. Bei heftigen Zusammenstößen waren in Jerusalem schon seit Freitag rund 300 Palästinenser und etwa 20 Polizisten verletzt worden. Die tagelangen Proteste hatten im Viertel Scheich Dscharrah ihren Ausgang genommen, weil dort 30 Palästinenser mit der Zwangsräumung ihrer Wohnungen rechnen müssen. Ein für Montag geplanter Gerichtstermin zu den Zwangsräumungen wurde am Sonntag verschoben.

Auseinandersetzungen zwischen Palästinensern und israelischen Sicherheitskräften am Tempelberg in Jerusalem
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Zahlreiche Menschen am Rande der Auseinandersetzungen

Scheich Dscharrah liegt im Ostteil der Stadt. Anfang des Jahres hatte Jerusalems Bezirksgericht entschieden, dass die Häuser der vier betroffenen Familien rechtmäßig jüdischen Familien gehören. Nach israelischem Recht können jüdische Israelis vor Gericht Besitzanspruch auf Häuser in Ostjerusalem anmelden, wenn ihre Vorfahren vor dem arabisch-israelischen Krieg (1948/49) dort im Besitz von Grundstücken waren. Für Palästinenser, die ihr Eigentum ebenfalls infolge des Krieges verloren haben, gibt es kein solches Gesetz.

Israels oberstes Gericht hatte beiden Seiten bis Donnerstag Zeit gegeben, einen Kompromiss zu finden. Nachdem das nicht gelang, sollte das Gericht ursprünglich am Montag entscheiden, ob die palästinensischen Familien gegen das Urteil Berufung einlegen können.

Proteste in Jerusalem

Auch am Montag haben in Jerusalem wieder gewaltsame Proteste stattgefunden. Hunderte Menschen wurden verletzt.

Auch Jordanien protestiert

UNO-Generalsekretär Antonio Guterres zeigte sich am Sonntagabend „tief besorgt“ wegen der Gewalt und der drohenden Zwangsräumungen palästinensischer Häuser. Kritik kam auch vom engsten internationalen Verbündeten Israels: Der Nationale Sicherheitsberater der USA, Jake Sullivan, äußerte gegenüber seinem israelischen Kollegen Meir Ben Schabbat „ernste Bedenken“ wegen mit den Räumung in Zusammenhang stehender Baupläne.

Zuvor hatte sich auch der jordanische König Abdullah II. eingeschaltet. In einem Telefonat mit Palästinenserpräsident Mahmud Abbas habe der König „die israelischen Verstöße und die Praktiken, die zur Eskalation rund um die Al-Aksa-Moschee führten, verurteilt“, teilte das Königshaus in Amman am Sonntagabend mit. Jordanien ist Hüter der heiligen Stätten in Ostjerusalem.

Abdullah II. kritisierte laut den Angaben auch die „Provokationen gegenüber den Bewohnern von Jerusalem, die gegen Völkerrecht und die Menschenrechte“ verstießen. Zudem wies er „die Versuche der israelischen Behörden“ zurück, „die demografische Lage in Ostjerusalem zu verändern“. Der Geschäftsträger der israelischen Botschaft in Amman wurde am Sonntag aus Protest ins Außenministerium zitiert.

Schallenberg: Situation brandgefährlich

Vor dem Hintergrund aufflammender Gewalt forderte der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn, den Nahost-Konflikt ins Zentrum von Beratungen auf EU-Ebene zu stellen. Der Konflikt müsse auf die Tagesordnung gesetzt werden, „ganz oben auf die Tagesordnung“, sagte Asselborn am Montag vor einem Treffen mit EU-Kollegen in Brüssel. Es gebe derzeit die Angst, „dass die Israelis im Begriff sind, Ostjerusalem zu okkupieren“.

ÖVP-Außenminister Alexander Schallenberg warnte vor den Beratungen in Brüssel: „Die Situation ist brandgefährlich und sehr volatil. (…) Wir alle sind dazu aufgerufen zu schauen, dass die Situation nicht überkocht, sondern dass wir beruhigend wirken“, so Schallenberg. Die EU habe „sehr gute Gesprächskanale auf beiden Seiten, wir haben auch das Vertrauen beider Seiten“. Der Außenminister des gegenwärtigen EU-Vorsitzlandes Portugal, Augusto Santos Silva, appellierte „an alle Beteiligten“ von Gewalt abzusehen. „Gewalt ist keine Lösung für irgendetwas, und alle Parteien müssen davon absehen, irgendwelche Gewalttaten zu unterstützen.“