Jugendliche stehen auf einem Floß im See
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Jugend und CoV

Suche nach unbeschwertem Sommer

Die Maßnahmen zur Eindämmung der CoV-Pandemie haben Kinder und Jugendliche besonders getroffen. Während die erwachsene Bevölkerung nun sukzessive geimpft wird, heißt es für die Jungen weiter warten. Nach Monaten des Verzichts soll der Sommer aber auch für Kinder und Jugendliche wieder möglichst viele Freiheiten zurückbringen.

Ein Blick auf die aktuellen Statistiken kann zu Optimismus verleiten. Nach der „dritten Welle“ sinkt zurzeit in ganz Österreich die Zahl der Neuinfektionen. Das erste Mal seit sieben Monaten liegt die 7-Tage-Inzidenz wieder unter 100. Die Zahl der Menschen, die zumindest eine erste CoV-Impfung erhalten haben, steigt momentan in großen Schritten an. Bis Ende Juni würden alle in Österreich, die eine Impfung möchten, auch eine bekommen, wird die Bundesregierung nicht müde zu sagen.

Fest steht aber auch: Eine Gruppe wird aber auch im Juli ganz sicher noch nicht geimpft sein. Für alle unter 16 Jahren ist in der EU noch kein Impfstoff zugelassen. Es wird erwartet, dass die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) den Wirkstoff von Biontech und Pfizer im Laufe des Juni auch für Jugendliche ab zwölf Jahren freigeben wird. Laut Bundesregierung soll dann bald darauf mit der Impfung der Zwölf- bis 15-Jährigen begonnen werden. Mit einem Impfbeginn vor Mitte bzw. Ende des Sommers ist aber kaum zu rechnen. Und bis Impfstoffe für die Jüngsten zugelassen werden, dürfte es überhaupt noch Monate dauern.

Umgekehrte Solidarität?

Das könnte das Bild der Solidarität, wie es in der Pandemie bisher gezeichnet wurde, auf den Kopf stellen. In den vergangenen Monaten mussten Kinder und Jugendliche auf vieles verzichten – immer auch unter der Vorgabe, damit die älteren Generationen zu schützen. In den kommenden Wochen wird nun ein Großteil der Menschen, die als besonders gefährdet galten, durch ein Impfung geschützt sein; diejenigen, die sich bisher auch mit Blick auf ihre Großeltern und Urgroßeltern eingeschränkt haben, aber noch nicht. Sollten sie nun von der älteren Generationen eine ähnliche Solidarität erwarten?

TV-Hinweis

ORF1 widmet sich in den „Dok1“-Sendungen „Die Jungen sollen sich zamreißen“ und „Smarte Kids? Kinder und digitale Medien“ am Mittwoch ab 20.15 Uhr der Frage, wie es jungen Menschen in der CoV-Krise geht, welche Probleme sie haben und wie sie ihre Perspektiven sehen.

Ja, zumindest ein bisschen, heißt es sinngemäß von der Organisation, die per gesetzlichem Auftrag die Interessen der Kinder und Jugendlichen in Österreich vertritt. „Alle Altersgruppen wünschen sich jetzt Öffnungen. Da es aber noch eine große Gruppe der Gesellschaft gibt, die nicht geimpft werden kann und daher ungeschützt ist, warnen wir davor, Öffnungen ohne Rücksicht auf Kinder und Jugendliche durchzuführen“, so die Bundesjugendvertretung (BJV) gegenüber ORF.at. Die Interessensvertretung plädiert für „sorgsame“ Öffnungsschritte, die „auch immer wieder evaluiert werden“.

Hohe Inzidenz bei Kindern und Jugendlichen

Bereits jetzt weisen die Sechs- bis 14-Jährigen im Vergleich der Altersgruppen die höchste 7-Tage-Inzidenz auf – gefolgt von der Gruppe der 15- bis 24-Jährigen. Freilich wird kaum jemand so regelmäßig und flächendeckend getestet wie Schülerinnen und Schüler. Und nach allem, was man seit einem Jahr Pandemie weiß, verläuft die Krankheit bei Kindern und Jugendlichen in den allermeisten Fällen glimpflich. Todesfälle nach einer CoV-Infektion waren bei jungen Menschen in Österreich laut den Daten der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) noch gar keine zu verzeichnen.

Allerdings können auch Kinder und Jugendliche noch Wochen nach einer Infektionen mit Spätfolgen zu kämpfen haben. Wenn auch noch nicht geklärt ist, in welchem Ausmaß sie tatsächlich von „Long Covid“ betroffen sind. Eine Studie des britischen Office for National Statistics hielt im Februar fest, dass fünf Wochen nach einer Infektion etwas mehr als zehn Prozent der erkrankten Minderjährigen zumindest noch ein Krankheitssymptom aufwiesen.

In ganz seltenen Fällen passiert es auch, dass sich bei Kindern zwei bis vier Wochen nach einer CoV-Infektion in verschiedenen Organen Entzündungen bilden. Die dahinterstehende überschießende Reaktion des Immunsystems kann so stark ausfallen, dass eine Behandlung im Krankenhaus oder auf der Intensivstation nötig wird. Medizinerinnen und Mediziner gehen davon aus, dass die zumeist PIMS (Pediatric Inflammatory Multisystem Syndrome) oder MIS-C (Multisystem Inflammatory Syndrome in Children) abgekürzte Entzündungserkrankung in Verbindung mit einer vorangegangenen CoV-Infektion steht.

Kinder und Jugendliche stark belastet

Der Schutz der Kinder und Jugendlichen vor einer CoV-Infektion ist die eine Seite der Medaille; die Belastungen, welche die Schutzmaßnahmen mit sich bringen, die andere. Die Situation aus Pandemie, Lockdown, Schulschließungen und Unsicherheit hat junge Menschen besonders schwer belastet. Das zeigt neben mehreren inzwischen veröffentlichten Umfragen unter Kindern und Jugendlichen auch die Statistik von Rat auf Draht. Die Hotline verzeichnete im Zeitraum von März 2020 bis Februar 2021 einen starken Anstieg an Anrufen.

Zu Beginn des heurigen Jahres schlugen dann in mehreren Bundesländern auch die Abteilungen für Kinder- und Jugendpsychiatrie Alarm: Die ohnehin kanppen Betten seien voll, das Betreuungsangebot gänzlich ausgelastet. Der Aufschrei der Psychiatrie war die „Spitze des Eisbergs, die herausgeschaut hat“, sagt Caroline Culen im Gespräch mit ORF.at. Laut der Psychologin und Geschäftsführerin der Österreichischen Liga für Kinder- und Jugendgesundheit wurde in der Pandemie viel zu lange nicht auf die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen geschaut.

Zugleich neige man in der öffentlichen Diskussion dazu, alle Reaktionen, die Kinder zeigten, pauschal als psychische Erkrankungen einzuordnen – was aber auch nicht hilfreich sei. Die Gesellschaft sei einer großen gesundheitlichen Bedrohung gegenüber gestanden. Da sei es nicht verwunderlich, wenn sich Kinder stärker zurückzögen oder einmal lauter würden. „Als Psychologin würde ich sagen, das sind im Großen und Ganzen angemessene Reaktionen“, so Culen. „Kinder und Jugendliche wollen wachsen. Im vergangenen Jahr war es, als ob man ihnen ein Brett auf den Kopf gelegt hätte.“

„Möglichst viel im Sommer ermöglichen“

Für den Sommer muss es laut der Psycholgin nun das Ziel sein, den Kindern und Jugendlichen viele der Dinge zurückzugeben, auf die sie in den vergangenen Monaten verzichten mussten. Dazu gehörten soziale Kontakte ebenso wie Bewegung oder die Möglichkeit neue Erfahrungen zu sammeln. „Wir sollten schauen, möglichst viel im Sommer zu ermöglichen“, sagt Culen. Gerade in der Stadt sei es wichtig, für Kinder und Jugendliche auch im Öffentlichen Raum Möglichkeiten des Austauschs zu schaffen, so die Psychologin. Und sie plädiert dafür institutionelle Angebote, wie Trainings in Sportvereinen in den Sommer hineinzuziehen.

Jugendliche beim Basketballspiel
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Sport und Bewegung mit anderen machten die CoV-Maßnahmen über viele Monate einen Strich durch die Rechnung

Radiohinweis

In der „Themenwoche Jugend“ übernehmen zehn junge Menschen zwischen 19 und 28 Jahren die Gestaltung und Moderation der Radiokollegs. In 15 Episoden erzählen sie, was sie bewegt und was sie bewegen wollen.

Eine Lanze bricht Culen überdies für Sommerlager, als Ort, an dem Kinder und Jugendliche wichtige Erfahrungen sammeln können. Das sieht man – wenig überraschend – auch bei der BJV so. Sind dort doch auch alle großen Kinder- und Jugendorganisationen Österreichs Mitglied. Diese wiederum veranstalten einen Großteil der heimischen Ferienlager. „Kinder brauchen den Kontakt zu Gleichaltrigen. Die Jugendarbeit bietet dafür einen geschützten Rahmen. Das haben Jugendorganisationen bei den Sommerlagern im Vorjahr bewiesen“, so die BJV.

Vor einem Jahr war bis Mitte Juni darum gerungen worden, unter welchen Bedingungen Sommerlager stattfinden durften. Dieses Jahr findet sich der entsprechende Passus bereits in der am Dienstag veröffentlichten Lockerungsverordnung des Gesundheitsministeriums – zur Freude der BJV: „Es ist erfreulich, dass Sommerlager nun im Rahmen von 20er-Gruppen ohne Abstand und Masken möglich sind. Sowohl für die Eltern als auch für die Kinder ist das ein sehr wichtiger Schritt in Richtung Normalität.“

Angebote für Betreuerinnen und Betreuer

Wichtig ist der BJV auch, „dass die vorgesehenen Eintrittstests für die Sommerlager kostenfrei zur Verfügung gestellt werden und nicht von den Organisationen finanziert werden müssen“. Die Verordnung schreibt vor, dass Kinder und Jugendliche an den Camps nur „mit einem Nachweis einer geringen epidemiologischen Gefahr“ teilnehmen dürfen. Darunter fallen ein negativer CoV-Test, eine CoV-Impfung oder der Nachweis einer überstandenen Infektion. Einen solchen Nachweis müssen alle sieben Tage auch die Betreuerinnen und Betreuer vorlegen. Überdies brauchen sie, so die Verordnung, auch eine Schulung im Hinblick auf die Covid-19-Prävention.

Kinder beim Spiel auf einem Sommercamp
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Ein „Schritt in Richtung Normalität“ wollen die Ferienlager in diesem Sommer sein

Psychologin Culen hält es überdies für sinnvoll, den Betreuerinnen und Betreuern ein Beratungsangebot zur Verfügung zu stellen. Es sei möglich, dass die Erfahrungen der Kinder und Jugendlichen auch in den Ferienlagern zum Thema werden. Da könne es durchaus sinnvoll sein, die Betreuenden psychologisch zu unterstützen.

Vorbereitungen auf den Schulherbst

Mehr psychosoziale Unterstützung wünscht sich Culen dann auch für den Herbst – sowohl für das Lehrpersonal als auch für die Schülerinnen und Schüler. Tatsächlich kündigte das Bildungsministerium Ende April an, das schulpsychologische Personal auszubauen. Ein Fünftel mehr an Mitteln soll in den Bereich fließen, um zusätzliche niederschwellige Angebote realisieren zu können, hieß es. Dafür plädiert auch Culen. Workshops für die ganze Klasse brächten oft mehr, als wenn der Schulpsychologe oder die -psychologin „im Kämmerchen sitzt und darauf wartet, dass Schüler mit Problemen kommen“.

Der Ausbau der psychologischen Betreuung ist nur eine der schulischen Baustellen über die Sommermonate. So soll bis zum Herbst auch weiter am Testangebot für die Schulen geschraubt werden. So empfiehlt etwa eine Expertengruppe rund um den Wiener Mikrobiologen Christian Wagner, auf flächendeckende PCR-Tests umzusteigen.

Offen ist auch noch, ob und wie mögliche Lerndefizite aus der Zeit des Distance-Learning aufgefangen werden können. Und die BJV gibt zu bedenken, dass „auch bei der Ausstattung von Familien mit Equipment für die Fernlehre noch nachgebessert werden sollte, falls Distance-Learning wieder notwendig wird“. Am Ende wird der Sommer also auch darüber mitentscheiden, wie unbeschwert der Herbst wird.