Finanzminister Gernot Blümel
ORF
Aktenlieferung

Blümel verteidigt Vorgehen

Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) ist zuletzt erneut mit Rücktrittsforderungen der Opposition konfrontiert gewesen. Nach Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen ihn in der Causa Casinos wird ihm nun auch von mehreren Experten Verfassungsbruch vorgeworfen. Selbst Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) kritisierte mangelnden Respekt vor Verfassungsgerichtshof (VfGH) und Parlament. Montagabend nahm Blümel in der ZIB2 zu den Vorwürfen Stellung.

Zwei Monate dauerte es, bis Blümel einer Anordnung des VfGH Folge leistete und dem Parlament Akten für den „Ibiza“-U-Ausschuss lieferte – allerdings erst nachdem der VfGH einen Exekutionsantrag für die Auslieferung gestellt hatte. Die rund 8.000 E-Mails wurden auf 65.000 Seiten ausgedruckt, in 204 Ordnern und als geheim eingestuft. Damit können die E-Mails nicht digitalisiert und schnell durchsucht werden. Inhalte können nicht in der Öffentlichkeit diskutiert werden.

Blümel begründete die Geheimhaltung etwa mit schutzwürdigen Krankenstandsdaten von Beschäftigten im Finanzministerium. Es gelte nach wie vor das Angebot, die Geheimhaltungsstufen herabzustufen – nach Durchsicht, ob es sich um sensible Daten handelt oder nicht. Er zeigte sich auch bereit, die Akten elektronisch zu liefern. Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) hatte angekündigt, beim Streit über die Geheimhaltungsstufe zu vermitteln. Für Mittwoch ist dazu ein Treffen mit Fraktionsführern und -führerinnen und Vertretern des Finanzministeriums geplant.

Finanzminister Blümel zur Aktenherausgabe

Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) spricht darüber, warum er die Akten für den „Ibiza“-U-Ausschuss lange zurückgehalten hat, über eine mögliche Abschaffung der Wahrheitspflicht für Auskunftspersonen im U-Ausschuss und den Antrag auf eine Ministeranklage der Opposition.

„Überzeugter Demokrat und Patriot“

Den Vorwurf des Verfassungsbruchs lässt Blümel nicht gelten. Er sei ein „überzeugter Demokrat und Patriot“, sagte er im ZIB2-Interview: „Ich wurde auf die Bundesverfassung angelobt und bin ihr und den Institutionen zutiefst verpflichtet. Wenn ein anderer Eindruck entstanden sein sollte, tut mir das wirklich leid, und ich möchte mich dafür aufrichtig entschuldigen.“

Der Beweismittelantrag sei so allgemein formuliert worden, dass auch viele persönliche Daten wie Krankenstände von Beschäftigten im Finanzministerium und Geschäftsgeheimnisse Dritter geliefert hätten werden müssen. Deshalb habe er es als seine Pflicht empfunden, diese Rechte entsprechend dem Rechtsstaat zu schützen. Er sei „sehr sensibel“ vorgegangen, „um alle Rechte zu wahren“. Es gehe um die Daten Hunderter Mitarbeiter, wo Rechtsklarheit hergestellt werden musste.

Es sei noch nie in der Zweiten Republik der Fall gewesen, dass ganze E-Mail-Postfächer angefordert wurden, das sei ein „präzedenzloser Anforderungsfall“. Da habe es viele Daten gegeben, die mit dem Untersuchungsgegenstand nichts zu tun hätten. Keinen Kommentar gab Blümel zur Diskussion über das Aus der Wahrheitspflicht im U-Ausschuss ab.

„Auf Reaktion des VfGH auf Gegendarstellung gewartet“

Blümel verteidigte auch am Dienstag seine Vorgehensweise erneut. Dass er erst tätig wurde, nachdem sich der VfGH um Exekution durch den Bundespräsidenten bemüht hatte, liege daran, dass man auf die Reaktion des VfGH auf die Gegendarstellung seines Ministeriums in dem Verfahren gewartet habe.

Blümel sagte in einer Pressekonferenz am Dienstag, dass die Gegendarstellung von Wolfgang Peschorn, dem Chef der Finanzprokuratur, verfasst worden sei. Das Höchstgericht sei den darin formulierten Argumenten jedoch nicht näher getreten, und in der Folge sei es zur Lieferung der Daten gekommen, so der Ressortchef. Lieferbereit sei das Ministerium immer gewesen, es sei aber auch um die Rechte der Mitarbeiter und den Schutz der persönlichen Daten in den Postfächern gegangen. Erneut zeigte er sich bereit, die Einstufung von bestimmten Akten herunterzusetzen, allerdings unter der Voraussetzung, dass man sich über deren Relevanz für den Untersuchungsausschuss einige.

Blümel verteidigt sich

Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) hat sich in einer Pressekonferenz mit ÖVP-Arbeitsminister Martin Kocher erneut verteidigt.

„Im Nachhinein ist man immer gescheiter“

In einem Rechtsstaat sei es legitim, in strittigen Rechtsfragen juridische Möglichkeiten zu nutzen, so Blümel. Dass er alles richtig gemacht habe, wollte er auf Nachfrage nicht sagen, „ich würde differenzieren“. „Im Nachhinein ist man immer gescheiter“, so der Finanzminister. „Was mich schon betroffen macht, ist, dass scheinbar manche den Eindruck bekommen haben, dass es nicht genügend Respekt gegenüber der Verfassung und ihren Institutionen geben könnte. Das macht mich betroffen, weil das ist so weit weg von meiner Einstellung, dass ich gar nicht auf die Idee gekommen bin, dass dieser Anschein entstehen könnte. Wahrscheinlich war das ein Fehler, dass ich hier sensibler kommunizieren hätte sollen.“

Peschorn: Blümel war lieferbereit

Er habe ein Vermittlungsverfahren mit Peschorn, Chef der Finanzprokuratur, initiiert, so Blümel bereits am Montag in der ZIB2. Im „Standard“-Interview (Dienstag-Ausgabe) erklärte auch Peschorn, dass Blümel bei den Akten für den U-Ausschuss lieferbereit gewesen sei. Man habe schon im März versucht, mit den Abgeordneten eine Einigung zu erzielen.

Er habe dem U-Ausschuss angeboten, alle Nachrichten und Daten in einen Datenraum einzuliefern und gemeinsam mit U-Ausschuss und IT-Spezialisten vom U-Ausschuss gewählte Suchbegriffe einzugeben und die Treffer vorzulegen. Das sei abgelehnt und dann ohne weitere Verständigung der Exekutionsantrag eingebracht worden, sagte Peschorn.

„Tiefpunkt“ der ÖVP-Politik

Die Opposition bezeichnete die Aktenlieferung mit hoher Geheimhaltungsstufe als „Verhöhnung“ des Parlaments. Nach dem Exekutionsantrag des VfGH gegen Blümel wegen der ausgebliebenen Aktenlieferung an den „Ibiza“-U-Ausschuss reichten die drei Oppositionsparteien SPÖ, FPÖ und NEOS am Montag eine Ministeranklage ein. Blümels fortgesetzte Verweigerung der Aktenvorlage sei „offenkundig rechtswidrig“ gewesen, heißt es in dem Antrag, der der APA vorliegt.

Blümel missachte seit einem Jahr die Verfassung und seit Anfang März eine Anordnung des VfGH, kritisierte SPÖ-Klubvorsitzender Jörg Leichtfried. Das sei ein „Tiefpunkt“ der ÖVP-Politik. Blümel habe mit seiner Weigerung gegen die Verfassung verstoßen, ergänzte Nikolaus Scherak (NEOS): „Das kann ein selbstbewusstes Parlament nicht hinnehmen.“ Nun müsse der VfGH untersuchen können, ob Blümel mit der verspäteten Aktenlieferung eine Gesetzesverletzung begangen habe. „Endgültig voll“ ist das Maß für FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl. Nach so einem Verhalten könne man nicht zur Tagesordnung übergehen, so Kickl am Montag.

Ministeranklage gegen Blümel

SPÖ, FPÖ und NEOS haben geschlossen eine Ministeranklage gegen Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) beim Verfassungsgerichtshof eingebracht. Grund sei seine lange Zurückhaltung von Akten für den „Ibiza“-U-Ausschuss. Laut Antrag habe sich Blümel „offenkundig rechtswidrig“ verhalten. Die Grünen demonstrieren jedenfalls Koalitionstreue und stimmen dagegen.

Stimmen der Grünen unwahrscheinlich

Der Antrag soll die Amtsenthebung Blümels erwirken und wird zunächst einmal dem Verfassungsausschuss zugewiesen. Dass der Finanzminister tatsächlich real gefährdet wäre, ist jedoch unwahrscheinlich, ist doch für eine Ministeranklage ein Mehrheitsbeschluss des Nationalrats notwendig. Dafür brauchten die Oppositionsparteien also Stimmen aus den Regierungsfraktionen.

Der SPÖ-Fraktionsführer im „Ibiza“-U-Ausschuss, Kai Jan Krainer, rechnete in einer Aussendung damit, dass die Grünen den Antrag der Opposition unterstützen werden. Doch ist es eher unwahrscheinlich, dass die Grünen zustimmen werden. Blümel habe in „letzter Sekunde geliefert“, sagte Grünen-Klubobfrau Sigrid Maurer am Montag im Ö1-Mittagsjournal. Es sei zwar „peinlich“, dass es eines Exekutionsantrags des VfGH bedurfte, aber der Finanzminister sei seiner gesetzlichen Pflicht nachgekommen. Daher sei eine Ministeranklage „nicht notwendig“. Sie erwartet aber, dass Blümel „seine Lektion gelernt hat“.

Deutsch: Nur faule Ausreden

Der Auftritt von Blümel in der ZIB2 habe einmal mehr bestätigt, dass die ÖVP keinerlei Interesse an parlamentarischer Aufklärungsarbeit habe, so SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch am Dienstag. „Wenn Minister Blümel behauptet, der Verfassung angeblich ‚zutiefst verpflichtet‘ zu sein, warum ist er seiner verfassungsmäßigen Pflicht, dem ‚Ibiza‘-U-Ausschuss die Akten aus seinem Ressort zu liefern, dann nicht einfach nachgekommen?“, so Deutsch.

Statt sich treuherzig zu entschuldigen, solle Blümel als Minister "unsere Verfassung und das Parlament respektieren“, so Deutsch. Er sieht bei Blümel „nur faule Ausreden“. Es sei offensichtlich, dass Blümel „die Aufklärung der türkis-blauen Machenschaften behindern will, wo es nur geht“.

Dazu passe auch der Vorschlag von Sobotka, die Wahrheitspflicht im U-Ausschuss abzuschaffen, den Blümel am Montag auch noch verteidigt habe. „Was will die ÖVP als Nächstes abschaffen? Die Wahrheitspflicht vor Gericht?“, so Deutsch. Die ÖVP unternehme alles, um parlamentarische Aufklärungsarbeit zu sabotieren.

Kickl: Fall für „Mafia-Paragrafen“

FPÖ-Obamann Kickl sah die ÖVP am Dienstag bei einer Pressekonferenz „erstmals in einer Situation, wo es ihr nicht mehr gelingt, den Deckel auf allen Schweinereien draufzuhalten“. Das System aus Korruption und Begünstigung sei ein Symbol für den „tiefen Staat“, den die Partei über Jahrzehnte aufgebaut habe. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Blümel trieben diesen nun zum „Exzess“. „Türkis ist nix anderes als die neue Fassadenfarbe am uralten Haus der ÖVP“, so Kickl, die Partei sei ein Fall für den „Mafia-Paragrafen“.

Auch von Bundespräsident Alexander Van der Bellen erwartet sich Kickl Aufklärung. „Ich will von ihm wissen, wie das Gespräch mit Blümel abgelaufen ist“ – also etwa, ob der Präsident gewusst habe, dass Blümel die Akten nur ausgedruckt und in der zweithöchsten Geheimhaltungsstufe liefern werde. „Oder hat er vergessen zu fragen, oder gibt es einen Deal zwischen den beiden?“

Van der Bellen könne ja sagen, dass die Akten elektronisch zu liefern seien. Hinter Blümels Vorgehen ortete Kickl eine Verzögerungstaktik, um den nur noch einige Wochen tagenden Ausschuss zu überstehen. Die Form der Aktenlieferung entspreche eigentlich einer Nichtlieferung. Hinterfragen will Kickl außerdem die Rolle der Grünen: So müsse sich Klubobfrau Maurer fragen, ob sie weiter die „Schutzmantelmadonna der ÖVP-Korruptionisten“ spielen wolle.