Ältere Frau in einem Rollstuhl in einem Schlafzimmer
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Pflegende Angehörige

Pandemie sorgte für Zusatzbelastung

Die Pandemie hat ein Schlaglicht auf die Herausforderungen im Pflegebereich geworfen. Anlässlich des Tages der Pflege wies die Volkshilfe am Dienstag auf die Lage pflegender Angehöriger hin, für die CoV eine zusätzliche Belastung bedeutete. Das Hilfswerk drängte auf eine rasche Umsetzung der Pflegereform. Die Caritas mahnte den von der Regierung versprochenen „Pakt gegen Einsamkeit“ ein.

Die Pandemie war für alle belastend, doch für die Gruppe der pflegenden Angehörigen dürfte es laut einer am Dienstag veröffentlichten Umfrage der Volkshilfe noch um einiges schlimmer gewesen sein: Für sechs von zehn Befragten wurde die Betreuung aufwendiger, zudem sank deren Lebensqualität deutlich, hieß es bei einer Onlinepressekonferenz. Insgesamt wurden 100 armutsbetroffene pflegende Angehörige von an Demenz erkrankten Menschen befragt.

Die Ergebnisse könnten nur bedingt als repräsentativ gelten, doch hätten sie laut Volkshilfe-Präsident Ewald Sacher drastische Erkenntnisse erbracht. Gerade zu Beginn der Pandemie sei die professionelle Pflege zurückgefahren worden, um das Personal vor Ansteckung zu schützen, wodurch viel an den Angehörigen hängen geblieben sei und diese wegen des Fehlens fachlicher sowie familiärer und privater Unterstützung nicht mehr entlastet worden seien.

Mobile Pflege vernachlässigt

Zudem sei die mobile Pflege vernachlässigt worden, sagte Sacher. Es habe kaum Maßnahmen gegeben, um Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in diesem Bereich vor Ansteckung zu schützen, es habe keine Teststrategie gegeben, und man habe sich zu sehr auf den stationären Bereich konzentriert. „Und bei der Impfpriorisierung hat man an die mobile Pflege zuletzt gedacht.“ Aus all dem seien die entsprechenden Lehren zu ziehen.

Grafik zeigt Daten zur Belastung pflegender Angehöriger während der CoV-Krise
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: Volkshilfe

Erich Fenninger, Direktor der Volkshilfe, zitierte aus der Umfrage: Für fast zwei Drittel sei die Betreuung aufwendiger geworden, 35 Prozent hätten pro Tag eine, zwei Stunden, 14 Prozent sogar bis zu vier Stunden mehr dafür benötigt. Wurde die Lebensqualität nach Schulnoten zuvor mit eins bis zwei bewertet, waren es danach drei bis vier. „Fast die Hälfte bewertet die Regierungsarbeit eher negativ“, wobei die Volkshilfe hier neben den 15 Prozent „Nicht genügend“ auch die 29 Prozent „Genügend“ als negativ wertet.

Pflegereform „Motor des Aufbaus“

Das Hilfswerk und das Institut für Höhere Studien (IHS) forderten die zügige Umsetzung der Pflegereform. „Wir müssen uns die Pflegereform leisten: zur Sicherstellung der Versorgungssicherheit, aber auch als Motor des Aufbaus“, sagte Hilfswerk-Präsident Othmar Karas (ÖVP).

Die CoV-Krise dürfe kein Grund für die Verschiebung der Reform sein, denn es gehe um den Wiederaufbau nach der Krise: Investitionen sollen wirtschaftlichen Aufschwung bringen und neue Arbeitsplätze schaffen, sagte der ÖVP-Europaabgeordnete einen Tag vor dem Internationalen Tag der Pflege am Mittwoch.

Monika Riedel (Senior Researcher Institut für Hšhere Studien), Othmar Karas (Präsident Hilfswerk Österreich), Elisabeth Anselm (Geschäftsführerin Hilfswerk Österreich)
APA/Hilfswerk/Roland Wallner
Riedel (IHS), Karas und Hilfswerk-Geschäftsführerin Elisabeth Anselm (v. l. n. r.) pochten auf die Umsetzung der Pflegereform

IHS-Expertin Monika Riedel rechnete vor, dass jedem Euro Investition in die Pflege ein Vielfaches an Wertschöpfung gegenüberstehe. Denn die Mittel würden überwiegend in Personalkosten und damit in Gehälter fließen, die hauptsächlich für Konsum verwendet würden. „Das führt zu einer massiven Unterstützung der Wirtschaft, insbesondere der regionalen Wirtschaft.“

Krisensichere Jobs

Alleine die 459 Mio. Euro, welche die Länder 2019 für mobile Dienste wie Hauskrankenpflege und Heimhilfe eingesetzt hatten, hätten rund 1,14 Mrd. Euro an Wertschöpfung generiert, so die IHS-Berechnungen. Darüber hinaus würden Ausgaben im Pflegesektor zu einem Rückfluss überdurchschnittlich hoher Steuer- und Sozialversicherungsabgaben führen: Für 2019 geht das IHS von rund 225 Mio. Euro „direktem“ Rückfluss aus, der vor allem an die Sozialversicherung erging. „Wir können davon ausgehen, dass ein Euro Investition in die Pflege 1,7 Euro an volkswirtschaftlicher Wertschöpfung sowie 0,7 Euro an Steuern und Sozialversicherung einbringt“, sagte Riedel.

Auch würde der Ausbau im Pflegesektor neue, krisensichere Jobs schaffen. Riedel verwies auf den von der Gesundheit Österreich (GÖG) prognostizierten Mehrbedarf an Pflege- und Betreuungspersonal von rund 90.000 Kräften bis 2030. Auch nach dem Anspringen der Wirtschaft sei mit einer relevanten Anzahl Personen zu rechnen, die sich nach der Krise beruflich neu orientieren wollen oder müssen.

„Masterplan“ für Personaloffensive

Ein Ansatz, mehr Menschen in den Pflegebereich zu bringen, ist die Umschulung von Arbeitslosen. Laut Volkshilfe-Geschäftsführer Fenninger kann so dem „Trend zur Industrialisierung der Pflege“ entgegengewirkt werden. Das Finanzministerium solle den Ländern entsprechende Mittel zur Verfügung stellen, so Fenninger.

Hilfswerk-Geschäftsführerin Anselm forderte einen „Masterplan“ für eine wirksame Personaloffensive: Gesundheits- und Sozialberufe müssten „selbstverständlicher Teil des Regelschulwesens“ werden. Auch dürfe man die Auseinandersetzung mit der Lehre als Zugang zum Berufsfeld „nicht länger auf die lange Bank schieben“, so ihre Forderung.

Ergänzend zur Ausbildung sieht das Hilfswerk auch die Umschulung als „historische“ Chance. Dazu bedürfe es guter Erstinformation und Beratung, aber auch einer Übernahme der Ausbildungskosten und adäquate Unterstützung des Lebensunterhalts während dieser.

Reform soll Angehörige entlasten

Die Präsidentin des ÖVP-Seniorenbundes, Ingrid Korosec, betonte, dass 80 Prozent der häuslichen Pflege durch Angehörige geleistet werde. „Das sind rund 900.000 Menschen“, so Korosec, der Großteil davon Frauen. Die Reform müsse sie entlasten. Peter Kostelka, Präsident des SPÖ-nahen Pensionistenverbandes (PVÖ), rief die Regierung auf, bei der Pflegereform die Schlagzahl zu erhöhen. Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) sei gefordert, „das Tempo der Pflegereform seinen Sportschuhen anzupassen“.

SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner präsentierte anlässlich des Tages der Pflege einen Fünfpunkteplan. Das Paket beinhaltet einen „Corona-Tausender“ u. a. für alle Pflegenden im stationären wie im mobilen Bereich, mehr Ausbildungsplätze und Pflegekräfte, eine kostenlose Pflegeausbildung und einen Umstiegsbonus mit Rechtsanspruch auf Existenzsicherung während der Ausbildung. Zudem schlug Rendi-Wagner vor, Pflegekräften Zugang zur Schwerarbeitspension ab 60 Jahren zu gewähren.

Für eine bessere Unterstützung der pflegenden Angehörigen plädierte auch FPÖ-Seniorensprecherin Rosa Ecker. „80 Prozent der Pflege wird zu Hause geleistet und dies zum Nulltarif und ohne Gehaltszettel, aber noch immer gibt es keine Pflegereform“, kritisierte sie. „Mit Spannung ist zu erwarten, wann und was der neue Minister Mückstein in diesem Bereich präsentieren wird.“

Caritas erinnert an „Pakt gegen Einsamkeit“

Caritas-Präsident Michael Landau mahnte indes den von der Regierung versprochenen „Pakt gegen Einsamkeit“ ein. Etliche Punkte, die bei dem runden Tisch für den „Pakt gegen Einsamkeit“ eingebracht wurden, hätten zwar ins Strategiepapier der Pflege-Taskforce Eingang gefunden, so Landau.

Caritas-Präsident Michael Landau
APA/Herbert Pfarrhofer
Caritas-Präsident Landau erinnerte die Regierung an den versprochenen „Pakt gegen Einsamkeit“

Offen bleibe aber nach wie vor ein konkreter Zeitplan, also wann und wie konkret die nächsten Schritte geplant sind, so Landau: „Das Follow-up zum ersten runden Tisch steht aus.“ Landau äußerte die Hoffnung, dass die Regierung diese „stille Not“ nicht vergesse oder übersehe. Wichtig sei es, die Sozial- und Hilfsorganisationen einzubeziehen.