Holocaust-Überlebender Kurt Yakov Tutter
APA/Helmut Fohringer
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Initiator Tutter über die Namensmauer

Kurt Yakov Tutter, kanadisch-österreichischer Künstler und Überlebender der Schoah, berichtete ORF.at via E-Mail über die Hintergründe der von ihm initiierten Namensmauer zum Gedenken an die rund 65.000 österreichischen Jüdinnen und Juden, die in der Schoah ermordet wurden. Der 94-Jährige, der in den USA lebt, nahm auch zur Kritik an der Gedenkstätte Stellung.

ORF.at: Der Stein für die Namensmauer stammt aus Indien. Warum genau musste es der Kashmir Gold aus Indien sein und kein anderer Granit aus Österreich oder einem europäischen Land oder Israel – zum Beispiel der Jerusalem-Stein?

Kurt Yakov Tutter: Als Urheber der Gedenkstätte hatte ich ein genaues Konzept des Ziels, das ich mit diesem Projekt erreichen wollte: Für die ermordeten jüdischen Kinder, Frauen und Männer aus Österreich gibt es keine Grabsteine, auf denen ihre Namen stehen. Ihre Namen sollen auf einer Gedenkstätte verewigt werden, die an ihr Leben erinnert, das so grausam ausgelöscht wurde. Daher wollte ich einen hellen, leuchtenden Stein. Das übliche Grau oder Schwarz gehört in einen Friedhof.

Der Jerusalem-Stein wäre ideal gewesen, nur ist es Sandstein, der nach 20 oder 30 Jahren im österreichischen Klima zerbröckeln würde. Unser Wiener Architekt Wolfgang Wehofer hat sich viel Mühe gegeben, konnte aber keinen Granitstein der beauftragten Ansicht in Österreich oder Europa finden. So einen gab es nur in Indien, und das ist der Stein Kashmir Gold.

Eine weitere Bemerkung: Zur feierlichen Versetzung der ersten, mit Namen gravierten Granitplatte im Ostarrichi Park am 25. März 2021 konnten nur 15 Leute eingeladen werden. Alle Anwesenden waren aber von der Ansicht der Granitplatte tiefsinnig beeindruckt. Die Namen sind auch sehr gut lesbar. Ich bin davon überzeugt, dass Wien nicht nur eine längst überfällige Gedenkstätte haben wird, sondern auch ein bedeutendes Kunstwerk im öffentlichen Raum.

ORF.at: Das Denkmal wird in Österreich einerseits als sehr wichtig für das Gedenken betrachtet, andererseits von Historikerinnen und Historikern auch kritisch gesehen. Einige meinen, Sie würden von der österreichischen Politik für das Projekt als Überlebender der Schoah instrumentalisiert. Was sagen Sie zu diesen Aussagen?

Tutter: Historiker sind ihrer Meinungen berechtigt. Die Meinung aber, dass ich von der österreichischen Politik als Schoah-Überlebender instrumentalisiert wurde, empfinde ich als eine billige Verachtung, die ich zurückweise. Achtzehn Jahre lang habe ich für die Gedenkstätte wie ein Löwe gekämpft, gegen das spürbare Desinteresse in Österreich, gegen amtsführende Leute in Stadt und Bund, die schöne Worte für das Projekt hatten, es aber keineswegs realisieren wollten. Mit meinem Mut und meiner Beharrlichkeit habe ich die Zustimmung für die Schoah-Namensmauerngedenkstätte erreicht.

Im Jahr 2018 haben Bundeskanzler Sebastian Kurz, Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka und (der Wiener, Anm.) Bürgermeister Michael Ludwig entschieden, dass die Gedenkstätte ein bedeutendes Projekt war für Österreich und für Wien. Damit haben sie viel Mut wie auch tiefsinniges Verständnis bewiesen. Niemand, am allerwenigsten ich, wurde davon instrumentalisiert.

Den Historikern, die Kritik an der Gedenkstätte geäußert haben, möchte ich eine Frage stellen: Lange Jahrzehnte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ist die Beteiligung von Österreicherinnen und Österreichern an den Verbrechen der Nationalsozialisten verschleiert geblieben. Was habt ihr getan, um die Kultur des Gedenkens in Österreich zu fördern, zu ermutigen?

ORF.at: Andere wiederum kritisieren das Denkmal als nicht mehr zeitgemäß, unter anderem, da man in Stein gemeißelte Namen nachträglich nicht mehr ändern kann – etwa wenn ein Fehler gemacht wurde. Wie sehen Sie das?

Tutter: Zeitmäßig ist die Gedenkstätte auf Jahrhunderte beabsichtigt. Sie ist insbesondere an die zukünftigen Generationen Österreichs gerichtet. Nachträglich benötigten Änderungen – wie später auftauchende, neu dokumentierte Namen – haben wir schon längst unsere Aufmerksamkeit gegeben. Eine ganze Granitplatte ist für solche Ergänzungen reserviert. Am Ende der letzten Granitplatte für die mit Z anfangenden Namen wird es ebenfalls genügend Raum geben, um Änderungen wie auch neue Namen zu gravieren.

ORF.at: Ein weiterer Kritikpunkt besteht darin, dass andere in Österreich in der NS-Zeit Ermordete, wie zum Beispiel Homosexuelle, Menschen mit Behinderung, Roma und Sinti und so weiter, auf der Namensmauer keinen Platz finden. Wieso werden diese Gruppen exkludiert?

Tutter: Wir haben niemanden exkludiert. Wir haben einen Verein gegründet für diese Schoah-Namensmauerngedenkstätte. Fast alle von den in der NS-Zeit ermordeten Gruppen und Gemeinschaften haben heute aktive Vereine. Es liegt an denen, nicht an uns, zu entscheiden, ob und was für eine Gedenkstätte sie wünschen, und dann auch für die Realisierung ihrer Gedenkstätte zu kämpfen. Leute, die solche Fragen stellen, sollten sich aber auch die Mühe geben, ihre Fragen erst nachzuforschen. […] (Tutter nennt als Beispiel das „Euthanasie“-Mahnmal in Salzburg.)

Laut Bescheid, den wir vom DÖW (Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands, Anm.) bekommen haben, gab es über 30.000 Kinder und Erwachsene, die umgebracht wurden, weil sie geistig oder körperlich behindert waren. Soll man jetzt die Stadt Salzburg kritisieren, weil sie auf ihrem Mahnmal nur 325 Namen erwähnt hat, daher ganze 30.000 Namen „exkludiert“ hat? Das wäre reiner Unsinn!

Es wäre eher eine Aufgabe für den ORF, Österreicherinnen und Österreicher zu ermutigen, dass sie Initiative ergreifen sollten, um den Namen von allen Opfern der Euthanasie zu gedenken. Solche Initiativen werden von den Behörden bestimmt positiv empfangen.