Zeichnungen von Deborah Sengl zum Thema Sommer und Bücher
Deborah Sengl
Sommerbücher Teil eins

Österreichische Romane für Strand und Steg

Kein Sommer ohne Bücher. ORF.at hat auch heuer wieder eine Auswahl der packendsten Lektüren zusammengestellt – und diesmal österreichische Künstlerinnen und Künstler eingeladen, mit ihren Illustrationen auf das Leseabenteuer einzustimmen. Den Anfang macht die Malerin Deborah Sengl, die den Weg in die Abgründe der heimischen Gegenwartsliteratur bildlich begleitet. Die erste Hälfte des Jahres hat jedenfalls einen Boost an Romanen gebracht, die mit unterschiedlichen Genres und Spielarten aufleuchten. Die Tipps zu internationalen Romanen, Sachbüchern, Krimis und Kinderbüchern folgen in den nächsten Tagen.

Ein Buch, gefährlich wie das Krokodil

Eigentlich hätte alles ganz harmlos beginnen können: Da soll eine junge Autorin für eine Frauenzeitschrift einen Fortsetzungsroman schreiben und findet für diesen kein Ende. Und dann greift der Text so in die Realität über, dass sich daraus ein Kriminalfall entwickelt. Wer Lust auf die Erfahrung eines Lesesogs hat, der wird von Anna Baars „Nil“ mehr als gut bedient. Überhaupt schließt diese junge Autorin bei großen Vorbildern im Erzählen an. Und spart auch nicht mit Anspielungen, etwa auf Musils „Mann ohne Eigenschaften“. Dass dann auch noch ein Krokodil mit im Spiel ist, macht die Lektüre zum großen Sommerabenteuer auf gerade mal 150 Seiten. (Gerald Heidegger, ORF.at)

Anna Baar: Nil. Wallstein, 148 Seiten, 20,60 Euro.

Künstlerroman mit Hochspannung

Im neuen Roman des Autors und Musikers Hans Platzgumer verknoten sich die Leben dreier Personen unwiderruflich bei einem nächtlichen Autounfall in Innsbruck: Jenes des narzisstischen Künstlers Andreas Bogner, jenes des selbstbewussten Kunstkritikers Kurt Niederer und jenes der Studentin Nicola Pammer, die in einem schwachen Moment Schuld auf sich lädt. „Bogners Abgang“ ist ein psychologisch fein gearbeiteter, ungewöhnlicher Künstlerroman, der spannungsgeladen wie ein Thriller auf sein Ende zurast. (Florian Baranyi, ORF.at)

Hans Platzgumer: Bogners Abgang. Zsolnay, 144 Seiten, 20,60 Euro.

Zeichnungen von Deborah Sengl zum Thema Sommer und Bücher
Deborah Sengl

Emojis, Tabus und Politik

Wer Leichtfüßiges, aber hintergründig Politisches sucht, wird bei Daniel Wisser fündig: „Wir bleiben noch“ erzählt vom Mittvierziger Victor Jarno, dem letzten gestandenen Sozialdemokraten aus einer traditionsreichen Sozialistenfamilie. Als dieser eine Beziehung mit seiner Cousine beginnt, ist das Umfeld heftig verstört. Der Roman des österreichischen Buchpreisträgers von 2018 spielt lustvoll (und äußerst emojireich!) auf der Klaviatur des Trivialen, verhandelt im Vorbeiflug die SPÖ-Geschichte – und fragt nach einem gelingenden Leben. (Paula Pfoser, ORF.at)

Daniel Wisser: Wir bleiben noch. Luchterhand, 480 Seiten, 22,70 Euro.

Künstlerin Deborah Sengl
Julie Brass
Die Bildwelten der Wiener Künstlerin Deborah Sengl wirken so bekannt wie fremd. Der Grund: Immer sind es menschliche Gesten und Bedürfnisse, die sie ausstellt, immer aber stecken Tiere statt Menschen im Gewand. So auch bei ihren Illustrationen der Sommerbücher.

Von Kim Kardashian bis Peter Handke

Aus ihrem Schreibarchiv von 2012 bis 2020 hat Teresa Präauer 82 Geschichten kompiliert, die sich wunderbar zu einem Zustandsbild unserer Gegenwart fügen: Die Kurzgeschichten, autobiografischen Skizzen und Überlegungen führen vom Alltag über Pop zur Hochkultur, von der Schönheit des Snowboardens über Kim Kardashians Hintern bis hin zu Peter Handkes „Wunschlosem Unglück“. Präauer gelingt es ganz spielerisch zwischen E und U zu changieren, das Ergebnis ist klug und höchst amüsant. (Paula Pfoser, ORF.at)

Teresa Präauer: Das Glück ist eine Bohne. Wallstein, 298 Seiten, 24,70 Euro.

Hochliterarische Technikdystopie

Mit ihrem Debütroman „Das flüssige Land“ stand Raphaela Edelbauer auf der Shortlist des Österreichischen und des Deutschen Buchpreises. In „Dave“ entwirft sie eine düstere Dystopie über die Folgen der digitalen Entwicklung und der Künstliche-Intelligenz-Forschung. Die Welt, von der der hochgradig unzuverlässige Erzähler Syz berichtet, ist nach einer Katastrophe auf eine Gemeinschaft von Computernerds zusammengeschrumpft, die die „Wiederbewohnbarmachung der Außenwelt“ zum Ziel haben. Syz soll dem Supercomputer Dave seine Erinnerungen leihen, damit dieser ein Bewusstsein entwickeln kann. Der Roman steuert auf eine Auflösung zu, die es in sich hat. (Florian Baranyi, ORF.at)

Raphaela Edelbauer: Dave. Klett-Cotta, 432 Seiten, 25,70 Euro.

Zeichnungen von Deborah Sengl zum Thema Sommer und Bücher
Deborah Sengl

Die Geschichte von Karl und Nina

„Junischnee“ ist die Geschichte von Karl, der 1934 als behütetes „Schutzbundkind“ nach Moskau kommt und 1941 über Nacht zum Volksfeind wird, als Hitler den Nichtangriffspakt mit Stalin bricht. Und es ist die Geschichte von Nina, die sich in Karl verliebt und mit ihm in dessen Heimat Österreich geht, sich dort aber immer fremd fühlt. Mit unsentimentaler Sprache, dafür aber umso eindringlicher, erzählt Ljuba Arnautovic ein vernachlässigtes Kapitel des 20. Jahrhunderts rund um das Schicksal ihrer eigenen Eltern. (Romana Beer, für ORF.at)

Ljuba Arnautovic: Junischnee. Zsolnay, 192 Seiten, 22,70 Euro.

Auf den Spuren des Nachkriegsvaters

Nachdem sie für ihren Bestseller „Die Bagage“ rundum gefeiert worden ist, hat Monika Helfer mit „Vati“ ihre autobiografische Spurensuche fortgesetzt und überzeugt dabei erneut: Das zarte und intensive Erinnerungsbuch dreht sich diesmal um den Vater, Archetypus der schweigsamen Nachkriegsgeneration. Helfer erzählt von Armut und Aufstieg in den 1950er Jahren, Idyll und Abgründen und einer großen, fast manischen Liebe zu Büchern – und lädt mit dieser sinnlichen und stimmig-bruchstückhaften Montage aus Erinnerungen und Reflexionen, Vergangenheit und Gegenwart zum echten Eintauchen ein. (Paula Pfoser, ORF.at)

Monika Helfer: Vati. Hanser, 176 Seiten, 20,60 Euro.

Die Welt ist alles, was der Fallmeister ist

Wie wenige Bücher in diesem Jahr entzweit Christoph Ransmayrs jüngster Roman „Der Fallmeister“ das Publikum. Den einen zu dick aufgetragen in Plot und Beschreibung, ist es für die anderen ein Meisterwerk und durchaus die (Zwischen-)Bilanz seiner bisherigen literarischen Arbeit. Einerseits geht es um Schuld und Konflikt in einer von Geschwisterliebe geprägten Familie, andererseits um die Frage des Kippens von Kollektiven. Ransmayr führt an die äußersten Grenzen der „letzten Welt“ in der Klärung der Schuldfrage – und ins Innerste von Österreich, ohne dabei einen Ort zu benennen. Am Ende gibt es eine Überraschung. (Gerald Heidegger, ORF.at)

Christoph Ransmayr: Der Fallmeister. Eine kurze Geschichte vom Töten. S. Fischer, 208 Seiten, 22,90 Euro.

Zeichnungen von Deborah Sengl zum Thema Sommer und Bücher
Deborah Sengl

Wien wie damals

Eine Schauspielerin gibt sich einem Schriftsteller hin, der eigentlich in ihre jüngere Schwester verliebt ist: Als erst 23-jährige Autorin schrieb Marta Karlweis 1912 ihren „Der Zauberlehrling“, der in einem detailverliebt geschilderten Wien vor dem Ersten Weltkrieg spielt und vom tiefen Herzschmerz handelt, den die Autorin verschmitzt schildert. Die lang vergessene Erzählung wurde nun gemeinsam mit zwei jüngeren Novellen neu aufgelegt. Damit ist ein weiterer Teil des Werks jener Autorin wieder zugänglich, die als zweite Ehefrau von Jakob Wassermann aus dem Inneren eines untergegangenen Wien erzählte. (Magdalena Miedl, für ORF.at)

Marta Karlweis: Der Zauberlehrling. Drei Novellen. Das vergessene Buch, 270 Seiten, 22 Euro.

Ideologiekritik als Monsterroman

Egon Christian Leitner ist in der österreichischen Literaturlandschaft ein ungewöhnlicher Einzelgänger. Seit Jahren schreibt er an seinem Projekt eines „Sozialstaatsromans“, den nun das 900-seitige „Ich zähle jetzt bis 3“ abschließt. In einer experimentellen Zusammenstellung von Interventionen und Tagebuchauszügen breitet da ein umfassend gebildeter Erzähler Thesen von Erasmus bis Hannah Arendt und Geschichten aus allen Kontinenten aus. Diese versammeln sich zur Fundamentalkritik am Neoliberalismus und seinen Auswirkungen. Ein dermaßen politisch engagiertes Buch gelingt künstlerisch nur im absoluten Glücksfall, Leitners Buch ist ein solcher. (Florian Baranyi, ORF.at)

Egon Christian Leitner: Ich zähle jetzt bis 3. Wieser, 924 Seiten, 35 Euro.