Gepäcksstücke auf dem Flugfeld neben einer Ryanair-Maschine auf dem Flughafen Minsk (Weißrussland)
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Minsk erzwang Landung

Scharfe Kritik an „staatlicher Luftpiraterie“

Das autoritär regierte Weißrussland hat ein Linienflugzeug auf dem Weg von Athen nach Vilnius am Sonntag umgeleitet und zur Landung in der weißrussischen Hauptstadt Minsk gezwungen. An Bord befand sich mit Roman Protassewitsch einer der prominentesten oppositionellen Blogger Weißrusslands, er wurde nach der Landung festgenommen. Der Vorfall sorgte für scharfe internationale Kritik. Griechenland sprach von „staatlicher Luftpiraterie“. Der EU-Sondergipfel berät am Montagabend über mögliche Sanktionen gegen Weißrussland.

Wenige Minuten bevor die Boeing 737 der irischen Fluggesellschaft Ryanair kurz vor 13.00 Uhr Ortszeit den weißrussischen Luftraum wieder verlassen und über Litauen mit dem Landeanflug auf Vilnius begonnen hätte, hatte sie überraschend abgedreht und war schließlich in Minsk gelandet. Es habe Informationen über eine Bombe an Bord gegeben und Präsident Alexander Lukaschenko habe deshalb den Befehl erteilt, den Flug umzuleiten und zu empfangen, berichtete der regimenahe weißrussische Telegramkanal „Pul Pervogo“.

An Bord des Flugzeugs befand sich mit dem ehemaligen Chefredakteur des führenden oppositionellen Telegramkanals „NEXTA“ Protassewitsch einer der bekanntesten Blogger Weißrusslands (Belarus). Neben Protassewitsch wurde am Sonntag eine russische Passagierin festgenommen, bestätigte der außenpolitische Berater von Swetlana Tichonowskaja, Franak Wjatschorka, auf APA-Nachfrage. Die Festgenommene sei in Vilnius als freiwillige Aktivistin tätig, erklärte er.

Festnahme des weißrussischen Journalisten und Bloggers Roman Protassewitsch im Jahr 2017
AP/Sergei Grits
Der verhaftete Oppositionelle Protassewitsch im Bild bei einem Protest im Jahr 2017.

Kampfjet aufgestiegen

Zur Begleitung des Passagierflugzeugs sei auch ein Kampfjet vom Typ MiG-29 aufgestiegen, wie der Flughafen bestätigte. Die Fluglinie Ryanair bestätigte, dass die Besatzung des Fluges von weißrussischer Seite über eine mögliche Sicherheitsbedrohung an Bord in Kenntnis gesetzt und angewiesen worden sei, zum nächstgelegenen Flughafen in Minsk zu fliegen.

Die Behörden hätten daraufhin genehmigt, dass das Flugzeug nach mehreren Stunden am Boden wieder zusammen mit Passagieren und Crew starten könne. Mit mehr als achtstündiger Verspätung landete die Maschine am Sonntagabend schließlich auf dem Flughafen von Vilnius. Das Flugzeug mit der Nummer FR4978 landete um 21.25 Uhr (20.25 Uhr MESZ), wie auf der Webseite des Flughafens zu sehen war.

„Absolut inakzeptabel“

Der Vorfall sorgt für heftige internationale Kritik. „Es ist absolut inakzeptabel, den Ryanair-Flug von Athen nach Vilnius zu zwingen, in Minsk zu landen“, so EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen auf Twitter. Verletzungen der internationalen Luftverkehrsregeln müssten Konsequenzen haben. Später sprach sie wörtlich von einer „Entführung“.

Die erzwungene Landung in Minsk und mögliche Sanktionen gegen Weißrussland werden am Montagabend Thema bei dem EU-Sondergipfel in Brüssel sein, teilte der Sprecher von EU-Ratspräsident Charles Michel mit. EU-Außenbeauftragte Josep Borrell forderte am Montag im Namen aller 27 EU-Staaten die sofortige Freilassung von Protassewitsch.

Wegen der anhaltenden Unterdrückung der Demokratiebewegung in Weißrussland hatte die EU im vergangenen Jahr bereits Sanktionen unter anderem gegen Machthaber Lukaschenko verhängt. Insgesamt stehen knapp 60 Personen aus Weißrussland auf der EU-Sanktionsliste. Polen sprach sogar von „Staatsterrorismus“, Griechenland von „staatlicher Luftpiraterie“.

Ryanair-Maschine und Feuerwehrautos auf dem Flughafen Minsk (Weißrussland)
APA/AFP
Ein Ryanairflug wurde wohl per Trick zur Notlandung gezwungen – und ein Regimegegner an Bord verhaftet

NATO fordert internationale Untersuchung

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg forderte am Sonntag eine internationale Untersuchung der Flugzeug-Umleitung. „Das ist ein schwerwiegender und gefährlicher Vorfall, der internationale Untersuchungen erfordert.“ Eine internationale Untersuchung fordern auch die USA. US-Außenminister Antony Blinken schrieb auf Twitter, es habe sich um eine „dreiste und schockierende Tat des Lukaschenko-Regimes“ gehandelt.

Litauen setzt ebenfalls auf eine gemeinsame Antwort, sagte Außenminister Gabrielius Landsbergis am Sonntag. Die litauische Staatsanwaltschaft leitete eine strafrechtliche Untersuchung der Vorgänge ein. Dabei gehe es unter anderem um die mögliche Entführung eines Flugzeugs zu terroristischen Zwecken und den Verstoß gegen internationale Verträge, teilten die Behörden mit.

Litauens Regierungschefin Ingrida Simonyte erklärte, mehrere Personen, die mit dem Flugzeug im litauischen Vilnius landeten, seien unmittelbar um eine Aussage gebeten worden. Laut Landsbergis befanden sich 171 Passagiere an Bord, zu 149 davon habe man Informationen. Unter diesen seien überwiegend Litauer, aber auch ein Österreicher sowie mehrere Menschen aus anderen EU-Staaten.

Österreicher auf Passagierliste

Das Außenministerium in Wien bestätigte am Abend, dass sich ein österreichischer Staatsbürger auf der Passagierliste befunden habe. Die am Flughafen in Wien anwesende österreichische Botschafterin in Minsk, Aloisia Wörgetter, erklärte gleichzeitig jedoch gegenüber der APA, dass sie keinen österreichische Staatsangehörigen identifizieren habe können. Das Außenministerium forderte auf Twitter „eine unabhängige internationale Untersuchung dieses Vorfalls“ und die dringende Freilassung Protassewitschs.

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) verurteilte die erzwungene Landung als „absolut inakzeptabel“. Die EU dürfe nun nicht zur Tagesordnung übergehen, so Kurz im Vorfeld des EU-Gipfels. Auch der deutsche Außenminister Heiko Maas forderte „deutliche Konsequenzen“ und sprach von einem „gravierender Eingriff in den zivilen Luftverkehr in Europa“.

„Geheimdienstoperation zur Flugzeugentführung“

Die weißrussische Exilopposition übte heftige Kritik. „Es ist absolut offensichtlich, dass dies eine Geheimdienstoperation zur Flugzeugentführung war, um den Aktivisten und Blogger Roman Protassewitsch zu verhaften“, kritisierte die im Exil lebende weißrussische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja. Ab dem heutigen Tag sei klar, dass sich niemand, der über Weißrussland fliegt, in Sicherheit wiegen könne, sagte sie.

Oppositionspolitiker Pawel Latuschko ergänzte, dass dem Blogger in seiner Heimat die Todesstrafe drohe. Er forderte eine sofortige internationale Aufklärung des Zwischenfalls und eine Untersuchung, ob der internationale zivile Flugverkehr über Belarus einstweilen eingestellt werden soll. Latuschko sagte, dass neben Protassewitsch mehrere Passagiere nicht die Weiterreise angetreten hätten, darunter auch ein Bürger aus Belarus und vier Russen.

Weißrussland: Flugzeug zur Landung gezwungen

Ein Linienflug von Griechenland nach Litauen ist offenbar von der weißrussischen Regierung umgeleitet und in Minsk zur Landung gezwungen worden. Ein an Bord befindlicher oppositioneller Aktivist soll festgenommen worden sein.

Angeblich Pilot mit Abschuss bedroht

Latuschko sagte unter Berufung auf seine Kontakte weiter, dass die Flugleitzentrale in Minsk den Piloten mit einem Abschuss der Maschine gedroht habe, wenn sie nicht lande. Dazu sei auch ein mit Raketen bewaffneter Kampfjet MiG-29 aufgestiegen, um das Flugzeug zur Umkehr und auf den Boden zu zwingen.

Dass ein Kampfjet aufstieg, haben die Behörden in Minsk zwar bestätigt, nicht aber die Drohung gegen die Piloten. Staatsmedien in Minsk berichteten vielmehr, die Piloten hätten nach einer angeblichen Bombendrohung selbst um Landung in Minsk ersucht. Dem widersprachen zahlreiche Experten, weil die Maschine bereits näher an ihrem Zielort Vilnius als an Minsk gewesen war, bevor sie umgeleitet wurde.