Stadtansicht von Luzern
Getty Images/Izzet Keribar
Tauziehen vergebens

Schweiz lässt EU-Abkommen scheitern

Jahrelang haben Bern und Brüssel um ein Rahmenabkommen gerungen, das die zahlreichen Verträge zwischen der EU und der Schweiz unter ein Dach bringen soll. Doch die Verhandlungen verliefen stets schwierig und entwickelten sich letztlich zu einem zähen Tauziehen. Am Mittwoch zog die Schweiz einen Schlussstrich und erklärte die Gespräche einseitig für beendet.

Es habe keine Einigung über entscheidende Punkte gegeben, so der Schweizer Präsident Guy Parmelin. „Der Bundesrat hat festgestellt, dass die Gespräche in drei Bereichen mit der EU nicht zu den nötigen Lösungen geführt haben. Deshalb hat der Bundesrat entschieden, die Verhandlungen zu beenden“, teilte Parmelin mit. „Die Schweiz bleibt zuverlässige Partnerin der Europäischen Union“, so Außenminister Ignazio Cassis. Das Land erwarte, dass die geltenden bilateralen Verträge weiter angewendet und Gespräche über neue Verträge fortgesetzt werden.

Die EU bedauerte die Schweizer Entscheidung in einer Stellungnahme. „Wir werden die Implikationen dieser Entscheidung sorgfältig analysieren“, teilte die EU-Kommission mit. Sinn des Abkommens sei es gewesen, dafür zu sorgen, dass alle Teilnehmer am EU-Binnenmarkt, also auch die Schweiz, denselben Regeln unterliegen. Schon jetzt seien ältere Abkommen nicht mehr so zeitgemäß.

Die bilateralen Verträge zwischen der EU und der Schweiz bleiben bestehen. Für Grenzgänger etwa ändert sich nichts. Aber die Europäische Union warnte diese Woche vor den Folgen, mit denen die Schweiz ohne den Abschluss des Rahmenabkommens rechnen müsse: Es werde keine weiteren Abkommen geben, und ältere Abkommen würden möglicherweise nicht aktualisiert.

Versuch der Vereinfachung

Über das Rahmenabkommen wurde aktiv seit 2014 verhandelt, im Gespräch ist es noch länger. Es hätte dazu dienen sollen, die komplexen Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU in Form zu bringen. Denn aktuell regeln mehr als 100 bilaterale Abkommen das Verhältnis zwischen Brüssel und dem Nicht-EU-Mitglied Schweiz. Das umfasst die Personenfreizügigkeit ebenso wie Vereinbarungen zur Landwirtschaft oder zum Bankensektor. Fast 20 Komitees sind für die Koordination zuständig.

Schweizer Präsident Guy Parmelin
APA/AFP/Fabrice Coffrini
Der Schweizer Präsident Parmelin verkündete das Aus der Verhandlungen

Die EU hatte stark auf den Abschluss des Rahmenabkommens gedrängt. Es sollte unter anderem automatische Aktualisierungen regeln und festlegen, wie Streitigkeiten geschlichtet werden. Der Vertragstext wurde 2018 ausverhandelt und soll etwa die zügigere Übernahme neuer Rechtsvorschriften regeln sowie die Frage, wer in Streitfällen über die Auslegung von Verträgen entscheidet.

Bern hatte bis zuletzt die Unterschrift verweigert und gefordert, drei aus Sicht der Schweiz wesentliche Punkte auszuklammern. Besonders umstritten waren Regeln über Staatshilfen, Maßnahmen zum Schutz der hohen Schweizer Löhne und den Zugang von EU-Bürgern zu Schweizer Sozialkassen. Die Schweiz hatte die Streichung dieser Punkte gefordert, Brüssel lehnte das ab.

Drei große Hürden

Die großen Streitpunkte waren Regelungen zum Lohnschutz sowie zu Staatsbeihilfen und Personenfreizügigkeit. So wollte die Schweiz unter anderem eine Regelung nicht ändern, die ausländische Dienstleistungsunternehmen verpflichtet, sich acht Tage vor der Ausführung eines Auftrags in der Schweiz anzumelden und eine Kaution zu hinterlegen. Das soll die Schweizer Wirtschaft mit ihrem höheren Lohnniveau schützen.

Grenzübergnag zwischen Deutschland und der Schweiz
Reuters/Arnd Wiegmann
Grenze zwischen Deutschland und der Schweiz: Der Text des Abkommens stand seit 2018, Bern verweigerte die Unterzeichnung

Zudem wollte das Land verhindern, dass neue Regelungen den Anspruch von in der Schweiz lebenden EU-Bürgerinnen und -Bürgern auf Sozialleistungen stärken und zum Beispiel Kantone bei der Vergabe von Staatsgarantien eingeschränkt werden. Für die Schweiz ist die EU der wichtigste Handelspartner. Mehr als 50 Prozent der Exporte gehen in die Unionsländer.

Schweizer Börse nicht mehr anerkannt

EU hatte angesichts der sich ziehenden Verhandlungen auf mehrere Druckmittel zurückgegriffen. Gedroht wurde eben, keine neuen Marktzugangsabkommen mehr auszuhandeln und die alten nicht zu aktualisieren. Unklar ist, wie die EU nun tatsächlich auf den Rückzug der Schweiz reagieren wird. Über 100 bilaterale Verträge bleiben in Kraft.

Doch früheren Angaben zufolge droht die Schweiz etwa von EU-Forschungsprogrammen ausgeschlossen zu werden. Zudem könnte das Land den vereinfachten Marktzugang teilweise verlieren. Eine Kostprobe gab die EU, als sie der Schweiz Mitte 2019 die Börsenäquivalenz entzog. Das führte dazu, dass Wertpapierfirmen aus der EU keine Schweizer Aktien an Schweizer Börsen mehr kaufen und verkaufen konnten.

Eine Alternative zum Rahmenabkommen scheint derzeit nicht auf dem Tisch zu liegen, das Aufkündigen der Verhandlungen droht zur Belastungsprobe zu werden. Die Schweiz betonte, weiterhin eine enge Zusammenarbeit anstreben zu wollen. Man wolle einseitig in bestimmten Bereichen Anpassungen an EU-Recht vornehmen, um Handelshürden zu vermeiden, sagte Justizministerin Karin Keller-Suter. Die Schweiz bot zudem einen „politischen Dialog“ mit der EU an, um die Zusammenarbeit weiterentwickeln.