Abgestürzte Gondel
APA/AFP/Miguel Medina
Gondelabsturz

Ermittlungen zu Mitwissern

Die Seilbahntragödie im piemontesischen Mattarone hat sich in einen Kriminalfall verwandelt, nachdem sich herausgestellt hatte, dass das Sicherheitssystem manipuliert worden war. Nicht nur die Frage, wer was wusste, ist offen, sondern auch, warum Probleme am gerissenen Zugseil nicht bemerkt wurden. Neben drei Festgenommenen werden die Ermittlungen nun auf weitere mögliche Mitwisser ausgedehnt.

Die Untersuchung des Seilbahnabsturzes steht erst am Anfang. Der Eigentümer der Betreibergesellschaft der Seilbahn Ferrovie del Mottarone, der Direktor und der Cheftechniker sitzen in Haft. Ihnen wird zur Last gelegt, die Notbremse der Seilbahn außer Betrieb gesetzt zu haben – ein Verbrechen, das Strafen von bis zu zehn Jahren umfasst. Laut Staatsanwaltschaft wurden sie wegen konkreter Fluchtgefahr festgenommen.

Es habe eine Störung an der Seilbahn gegeben, die nur mit längeren Wartungsarbeiten hätte behoben werden können. Um den Betrieb zu gewährleisten, habe man sich – überzeugt davon, dass das Seil niemals reißen würde – dazu entschieden, das Sicherheitssystem auszuschalten, sagte der Cheftechniker am Mittwoch in seinem Geständnis. Ein Motiv für die Manipulation könnte laut Medien gewesen sein, dass die Betreiber nach der langen coronavirusbedingten Zwangspause die Seilbahn um jeden Preis am Laufen halten wollten.

„Entscheidung von allen gebilligt“

„Die Entscheidung wurde von allen gebilligt“, zitierte die Tageszeitung „Corriere della Sera“ am Donnerstag den geständigen Cheftechniker. Eigentümer und Direktor seien „wiederholt über die Situation informiert“ worden und hätten „diese Wahl befürwortet“. Dem widersprach der festgenommene Direktor allerdings. Er dementierte, über die absichtliche Abschaltung eines Sicherheitssystems informiert gewesen zu sein.

Klammer auf dem Bremssystem einer Gondel
APA/AFP/Miguel Medina
Eine Gabel verhinderte, dass die Notbremse der Seilbahn wirksam werden konnte

„Wenn ich Zweifel an der Sicherheit gehabt hätte, hätte ich am Sonntag niemals die Seilbahn in Betrieb nehmen lassen“, so der Direktor laut „Corriere della Sera“. „Auch meine Kinder sind in die Seilbahn gestiegen.“ Er habe die verschiedenen Eingriffe der vergangenen Monate rekonstruiert und könne sich den Seilriss nicht erklären, auch weil alle Prüfberichte immer positiv ausgefallen seien. Das Abschalten der Notbremse sei bei besonderen Eingriffen vorgesehen, aber natürlich nie bei einem Personenbetrieb.

Minister: „Schwerwiegende Beweise“

Der italienische Verkehrsminister Enrico Giovannini sagte bei einer parlamentarischen Fragestunde in Rom, es gebe „schwerwiegende Beweise“ für die Verantwortung des Seilbahn-Einsatzleiters, der mit Zustimmung des Direktors und des Eigentümers der Anlage das Sicherheitssystem ausgeschaltet habe, obwohl ihm die potenzielle Gefahr bewusst gewesen sei. „Dieser tragische Unfall bedeutet eine tiefe Wunde für Italien“, sagte Giovannini, der den Familienangehörigen der Opfer kondolierte. Er lobte den Einsatz der Rettungsmannschaften, die exzellente Arbeit in einem schwierigen Bergumfeld geleistet hätten.

Ein Mitglied des Bergungsteams fotografiert eine Klammer die vermutlich das Bremssystem blockierte
AP/Luca Bruno
Suche nach Beweisen in den Trümmern der abgestürzten Seilbahn

Die ermittelnde Staatsanwältin Olimpia Bossi sagte, es habe sich um eine „absolut absichtliche“ Entscheidung gehandelt, um den Betrieb der Seilbahn aufrechtzuerhalten. Die Gabel zum Außerkraftsetzen der Notbremse sei am Sonntag sicherlich nicht zum ersten Mal eingesetzt worden. Die Seilbahn habe schon seit eineinhalb Monaten Probleme gehabt. Die Staatsanwaltschaft sprach von „unbedachtem Verhalten“ der Angeklagten, für die es zu einer schweren Strafen kommen müsse.

Warum riss das Seil?

Die Ermittlungen stünden aber erst am Anfang. Es werde andere möglicherweise Verdächtige geben, wurde Bossi in der „Repubblica“ zitiert. Wenn anderthalb Monate lang das Problem mit dem Bremssystem der Seilbahn bekanntgewesen sei, könnten weitere Mitarbeiter davon gewusst haben. Unter die Lupe werde die Staatsanwaltschaft nun Techniker und Wartungsarbeiter nehmen, die die Anlage überprüften.

Der Fokus der Untersuchungen liege außerdem darauf, die Ursache für den Bruch des Seils herauszufinden. Am Donnerstag begann ein Expertenteam damit, das Kabel und den Rest des Systems zu analysieren. Bei der letzten magnetinduktiven Seilprüfung im November 2020 wurden laut Südtiroler Unternehmen Leitner, das gemäß einem Wartungsvertrag Kontrollen durchführt, „keine Unregelmäßigkeiten“ festgestellt. Die täglichen und wöchentlichen Kontrollen liegen laut Leitner aber in der Verantwortung der Betreibergesellschaft Ferrovie del Mottarone.

Die Seilbahn war am Pfingstsonntag auf dem Weg von Stresa am Lago Maggiore hinauf zum Monte Mottarone verunglückt. Nach bisherigem Ermittlungsstand riss kurz vor der Ankunft an der gut 1.300 Meter über dem Meer gelegenen Bergstation aus bisher unbekannter Ursache das Zugseil. In dem Fall hätte ein Notbremse greifen müssen, was nicht geschah. Die Gondel raste mit hoher Geschwindigkeit in die Tiefe, überschlug sich und zerschellte schließlich.

„Strenge Auflagen in Österreich“

Am Mittwoch hatte der Fachverband der Seilbahnen in der Wirtschaftskammer (WKÖ) auf die „strengen Auflagen für den Betrieb“ der Seilbahnen in Österreich hingewiesen. Vorschriftsmäßig sei etwa jede Anlage jährlich einer umfangreichen Hauptrevision zu unterziehen. „Ergänzende Prüfungen erfolgen je nach Bauteil entweder durch die akkreditierte Stelle, eine qualifizierte Fachfirma oder den Hersteller“, sagte Christian Felder, Vorsitzender des Technikerkomitees der Seilbahnwirtschaft. Tritt bei wiederkehrenden Prüfungen ein Mangel auf, der eine unmittelbare Betriebsgefahr darstellt, muss das Unternehmen den Seilbahnbetrieb, ohne auf eine behördliche Verfügung zu warten, sofort einstellen.

„Auch in Bezug auf das Seil werden regelmäßige Überprüfungen durchgeführt. Zum einen erfolgt dies durch die monatliche visuelle Seilkontrolle, die eine Erkennung von Drahtbrüchen, die sich an der Seilaußenseite befinden, und somit ein rechtzeitiges Erkennung eines angehenden Schadens sicherstellt“, sagte Felder. Zum anderen werde das Seil durch ein magnetinduktives Prüfverfahren inspiziert. Allein für die vergangene Wintersaison hätten die heimischen Unternehmen rund 150 Millionen Euro für die Bereiche Sicherheit, Qualität und Komfort der Anlagen investiert, betonte Fachverbandobmann Franz Hörl.