Ermittler am Unglücksort
AP/Luca Bruno
Gondelabsturz in Italien

Überraschende Wende bei Ermittlungen

Nach dem Gondelabsturz vergangene Woche am Lago Maggiore in Norditalien mit 14 Todesopfern ist es bei den Ermittlungen zu einer überraschenden Wende gekommen. Laut einer Untersuchungsrichterin gibt es keine Beweise für die Schuld des Besitzers und des Direktors der Seilbahnanlage. Ermittlungen könnte es aber gegen weitere Mitarbeiter geben.

Bei der Vernehmung der beiden Männer am Samstag hätten sich keine soliden Hinweise auf eine Schuld der beiden Männer finden lassen, hieß es seitens der Untersuchungsrichterin in der norditalienischen Stadt Verbania. Der Besitzer der Seilbahnanlage Ferrovie del Mottarone und der Direktor wurden in der Nacht auf Sonntag freigelassen. Der Einsatzleiter wurde unter Hausarrest gestellt.

Die Seilbahn war am Pfingstsonntag auf dem Weg von Stresa am Lago Maggiore hinauf zum Monte Mottarone verunglückt. Nach bisherigem Ermittlungsstand riss kurz vor der Ankunft an der gut 1.300 Meter über dem Meer gelegenen Bergstation aus bisher unbekannter Ursache das Zugseil. In dem Fall hätte eine Notbremse greifen müssen, was nicht geschah. Die Gondel raste mit hoher Geschwindigkeit in die Tiefe, überschlug sich und zerschellte schließlich.

Abgedecktes Wrack der abgestürzten Seilbahn
APA/AFP/Miguel Medina
Das Unglück ereignete sich am Pfingstsonntag

Das tödliche Unglück ist offenbar durch die absichtliche Abschaltung eines Sicherheitssystems verursacht worden. Die Bremsvorrichtung war Medienberichten zufolge bereits seit dem 26. April, dem Tag der Wiederaufnahme des Seilbahnbetriebs, wegen eines technischen Problems außer Betrieb. Bei dem Unglück starben Familien, junge Paare und zwei Kinder.

Weitere Ermittlungen

Laut der Staatsanwaltschaft könnten auch weitere Mitarbeiter der Seilbahngesellschaft angezeigt werden. „Wir prüfen, inwiefern sie von der Manipulation der Notbremse wussten“, teilte die ermittelnde Staatsanwältin Olimpia Bossi mit.

„Wir wollen dem nachgehen, ob die Mitarbeiter aktiv an der Aussetzung des Sicherheitssystems teilgenommen oder ob sie Befehle von Vorgesetzten befolgt haben“, so die Staatsanwältin. Laut den Ermittlern hatte die Seilbahn bereits seit eineinhalb Monaten technische Probleme, über die mehrere Mitarbeiter der Gesellschaft informiert waren.

Direktor „verzweifelt wegen der Todesopfer“

„Ich bin froh, zu meiner Familie zurückzukehren, aber ich bin verzweifelt wegen der 14 Todesopfer“, sagte der Betriebsdirektor beim Verlassen des Gefängnisses von Verbania. Er habe über die Aussetzung der Notbremse nichts gewusst. „Ich hätte diesen Beschluss nie genehmigt“, versicherte er.

Der Seilbahneinsatzleiter gestand seine Verantwortung ein. Er habe nie gedacht, dass es zu einem Kabelriss kommen würde. „Ich bin kein Krimineller. Ich hätte keine Menschen in die Kabine einsteigen lassen, wenn ich gedacht hätte, dass das Seil reißen würde“, sagte der Mann, der seit 38 Jahren für die Seilbahngesellschaft Ferrovie del Mottarone arbeitet.

Ermittler am Unglücksort
AP/Luca Bruno
Die Ermittlungen zur Unglücksursache laufen

In den kommenden Tagen wird die Inspektion durch einen Berater der Staatsanwaltschaft von Verbania am Unfallort beginnen. Die Arbeit des Beraters konzentriert sich auf das gerissene Zugseil, um die Ursachen des Bruchs zu prüfen. Der Anwalt des angeklagten Einsatzleiters ist bereit, seine eigenen technischen Berater zu ernennen.

Hilfsangebote für einzigen Überlebenden

Indes mehren sich die Hilfsangebote für den einzigen Überlebenden des Absturzes, einen fünfjährigen Buben, der seine Eltern, Urgroßeltern und seinen zweijährigen Bruder verloren hat. Marcella Severino, Bürgermeisterin des Urlaubsorts Stresa, von dem die Seilbahn abgefahren ist, berichtete, dass Familien den Buben adoptieren wollen. Außerdem wurde eine Spendensammlung für das Kind gestartet.

„Ich wurde von drei Familien angerufen, die sich zur Adoption des Kindes bereiterklärt haben. Es gibt Gesten, die uns zu verstehen geben, dass es noch viel Menschlichkeit auf dieser Welt gibt. Zum Glück hat der Bub eine Tante und eine Familie, die ihn unterstützen und ihm helfen, diesen Schmerz zu überwinden“, sagte die Bürgermeisterin.

Auch der Zustand des Buben bessert sich. Der Fünfjährige habe zum ersten Mal leichte Nahrung zu sich genommen, teilte das Kinderkrankenhaus in Turin am Sonntagabend mit. Der israelische Bub bleibe vorsichtshalber weiter auf der Intensivstation. Seine Tante und seine Großmutter seien bei ihm.

Bub ansprechbar

Das Kind, das mit mehreren Frakturen in einem Turiner Krankenhaus liegt, sei aus dem künstlichen Koma erwacht und habe mit seiner Tante gesprochen. Hunderte Menschen beteiligten sich am Donnerstag in Aviel, einer Gemeinde unweit von Sichron Jaacov im Norden Israels, an der Trauerzeremonie für die Eltern und den Bruder des Buben.

An der Zeremonie in Israel beteiligte sich auch der italienische Botschafter, Gianluigi Benedetti. Er bezeichnete die Beerdigung als „bewegend“. Für die verstorbenen Urgroßeltern des Fünfjährigen, die seit einigen Jahren in der lombardischen Stadt Pavia lebten, und die Familie findet heute ebenfalls eine Trauerzeremonie statt.