Landschaftsaufnahme mit Sonnenuntergang.
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Neue Studie

Hürden für den heimischen Artenschutz

Artensterben findet nicht nur in weit entfernten Ländern und Meeren statt. Auch hierzulande gelten viele Tier- und Pflanzenarten als gefährdet. Eine neue von Greenpeace in Auftrag gegebene Studie legt nahe, dass die Schutzmaßnahmen zu kurz greifen – auch weil es an der Nachvollziehbarkeit hapert.

Alle in Österreich heimischen Pflanzen- und Tierarten aufzählen zu können: Wer das von sich behauptet, muss vom eigenen Gedächtnis sehr überzeugt sein. Rund 11.500 Pflanzenarten sind hierzulande beheimatet. Fast noch fünfmal so viele unterschiedliche Tierarten leben in Österreich – nämlich über 54.000. In Zukunft könnte die geforderte Gedächtnisleistung allerdings merklich kleiner ausfallen.

„39 Prozent aller Tierarten Österreichs sind gefährdet. Jedes zweite Wirbeltier ist bedroht. 59 Prozent der Lebensraumtypen in Österreich sind von vollständiger Vernichtung bedroht, stark gefährdet oder gefährdet“, so Greenpeace Österreich anlässlich einer am Dienstag veröffentlichten Studie. Unter dem Titel „Das stille Sterben: Die Artenkrise in Österreich“ ließ die Umweltschutzorganisation eine Bestandsaufnahme der heimischen Biodiversität durchführen.

Johannes Rüdisser ist Ökologe an der Uni Innsbruck, Mitglied des österreichischen Biodiversitätsrats und Mitautor der Studie. Sein Fazit fällt ernüchternd aus: „Die in der Studie zusammengefassten Daten zeigen den dramatischen Rückgang und die anhaltende Bedrohung der Biodiversität in Österreich deutlich auf. Gleichzeitig fehlen uns in Österreich schlichtweg die Daten, um fundierte Aussagen über den Zustand und die Entwicklung der Biodiversität zu treffen“, so Rüdisser.

Naturschutz als Ländersache

Gemeinsam mit zwei Kolleginnen klopfte er für die Studie auch bei den Naturschutzabteilungen aller neun Länder an – und erhob per Fragebogen die jeweiligen Artenschutzmaßnahmen. Denn Naturschutz – und damit auch Artenschutz – ist in Österreich Sache der Bundesländer, geregelt in neun Ländergesetzen.

Bild zeigt den Neusiedler See.
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Die Natur am Neusiedler See hat zum Beispiel mit alpiner Flora und Fauna nur wenig gemein

Für die einen ist das überbordender Föderalismus, für die anderen eine sinnvolle Aufteilung. Letztere weisen darauf hin, dass Österreichs Geografie für verhältnismäßig viele unterschiedliche Lebensräume auf kleinem Raum sorge; und dass etwa die Anfänge der pannonischen Tiefebene im Burgenland kaum etwa mit den alpinen Landschaften weiter westlich gemein hätten.

Typische Lebensräume mit eigenen Bewohnern

Die Diversität der unterschiedlichen Lebensräume in den Bundesländern zeigt auch die Greenpeace-Studie auf. Beispielhaft werden darin für jedes Bundesland charakteristische Biotoptypen beleuchtet. Von den Salzlacken im Burgenland über die Schwarzerlenbruchwälder in Kärnten bis hin zu Magerwiesen auf Tiroler Almen oder den Feuchtwiesen in Vorarlberg.

Ihnen gemeinsam ist, dass sie Heimat für eine je ganz eigene Fauna und Flora sind. Sie teilen aber auch das Schicksal, zunehmend unter Druck zu kommen. Eine sich veränderte Landwirtschaft, steigende Bodenversiegelung, invasive Arten und nicht zuletzt steigende Temperaturen sorgen dafür, dass auch hierzulande viele Lebensräume inklusive der in ihnen beheimateten Tiere und Pflanzen als gefährdet gelten.

Bild zeigt einen Alpenbock (Käfer).
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Der Alpenbock ist – nicht nur in Österreich – vom Aussterben bedroht

Als eine dieser gefährdeten Tierarten nennt der Bericht etwa den Alpenbock. Der blau-schwarz gemusterte Käfer kam früher in Europa häufig vor. Inzwischen ist er in den meisten Ländern Mitteleuropas vom Aussterben bedroht. Das trifft auch für das auf Niederösterreichs Trockenrasen lebende Ziesel zu. Die weltweit nur in den österreichischen Ostalpen vorkommende Zylinder-Felsenschnecke gilt hingegen noch nicht als gefährdet – dürfte aber in Zukunft mit den höheren zu kämpfen haben, so der Bericht. Das gilt auch für viele Pflanzen, wie zum Beispiel die Sumpfdotterblume.

Große Unterschiede bei geschützten Flächen

Nicht zuletzt auf europäischer Ebene wird versucht, solchen Entwicklungen entgegenzusteuern. Mit der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-Richtlinie) und der Vogelschutzrichtlinie (VS-Richtlinie) sollen Pflanzen, Tiere und ihre Lebensräume geschützt werden. Ihre konkrete Ausprägung finden die Richtlinien in den Natura-2000-Schutzgebieten.

In Österreich liegt der Natura-2000-Anteil an der gesamten Landesfläche bei rund 15 Prozent. Das ist tatsächlich weniger als der europäische Durchschnitt von 18 Prozent. Allerdings werden hierzulande Schutzgebiete auch abseits der EU-Richtlinien vergeben. Geregelt ist all das jedenfalls wieder in den Naturschutzgebieten der Länder.

Bild zeigt den Obersulzbach im Obersulzbachtal und im Hintergrund der „Große Geiger“.
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In Salzburg ist mehr als ein Drittel der Landesfläche geschützt

Rein flächenmäßig sind die Unterschiede zwischen den Bundesländern auffällig, so die Studie. Im Burgenland, in Niederösterreich, Salzburg, Wien und der Steiermark sind mehr als 30 Prozent der Landesfläche geschützt. Auf der anderen Seite der Skala steht Oberösterreich, das nur acht Prozent seiner Fläche unter Schutz gestellt hat.

Lücken bei der Kontrolle

Neben der Erklärung von Schutzflächen setzen die Bundesländer freilich noch eine ganze Reihe an weiteren Maßnahmen, wie die Studie bei Naturschutzabteilungen erhob. Darunter fallen etwa Artenschutzmaßnahmen oder Bestandserhebungen für einzelne Arten. Wie sehr sich diese Maßnahmen allerdings tatsächlich auswirken, scheint oftmals im Dunkeln zu bleiben. Die Bundesländer könnten „keine Auskunft über die tatsächliche Gefährdung ihrer Schutzgüter geben“, heißt es in dem Bericht. Laut der Studie verwiesen die Naturschutzabteilungen der Länder durchgehend auf den Bericht nach Artikel elf und 17 der FFH-Richtlinie.

Darin müssen die EU-Staaten alle sechs Jahre Rechenschaft über den Erhaltungszustand der Arten und Lebensraumtypen ablegen. Das letzte Mal erschien der Bericht 2019. Doch in diesem würden zum einen „nicht alle Schutzgüter beobachtet“. Zum anderen werde geografisch nur zwischen den Regionen „kontinental“ und „alpin“ unterschieden. Einzelne Bundesländer würden nicht berücksichtigt, bemängelt die Greenpeace-Studie.

Kritik übt das Papier auch an der Art, wie die Bundesländer mit Roten Listen umgehen. So ist etwa Vorarlberg laut der Studie das einzige Bundesland, das regionale Listen zu gefährdeten Arten führt und diese auch aktuell hält. In der Steiermark seien gerade alle Tiergruppen in Bearbeitung. „Bei den anderen Bundesländern werden punktuell Listen erneuert und aktualisiert, teilweise sind sie über 20 Jahre alt oder nicht vorhanden“, so die Studie.

Österreichweites Monitoring geplant

Für Studienautor Rüdisser ist das vom Klimaschutzministerium angekündigte österreichweite Monitoring der Biodiversität deshalb ein wichtiger Schritt. „Nur wenn die Biodiversitätskrise von der Politik und Gesellschaft endlich so ernst genommen wird wie andere existenzbedrohende Krisen, dann wird es uns gelingen, konsequent gegenzusteuern“, so der Ökologe.

Vor rund einem Monat hatte Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) angekündigt, Grundlagen für ein „systematisches und flächendeckendes Monitoring zum Zustand der heimischen Natur“ zu entwickeln. Lücken und Schwachstellen der bisherigen Systeme sollten geschlossen werden und regelmäßige Berichte zum Zustand der Artenvielfalt in Österreich erstellt werden, so die Ministerin. In der Aussendung des Ministeriums hieß es damals auch: „Für das Biodiversitätsmonitoring ist auch eine enge Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern geplant.“