Mafia-Boss Enrico Brusca im Jahr 1996 in Polizeigewahrsam
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Mafia-Boss Brusca frei

Entsetzen und Verbitterung in Italien

Die Freilassung des Mafia-Bosses Giovanni Brusca nach 25 Jahren Haft sorgt in Italien für heftige Reaktionen. Politiker zeigen sich entrüstet, Angehörige seiner Opfer entsetzt und verbittert. Brusca wird zu den blutrünstigsten Paten der sizilianischen Cosa Nostra gezählt und ist unter anderem für die Ermordung des Anti-Mafia-Staatsanwalts Giovanni Falcone mitverantwortlich.

Brusca galt als Vertrauter des berüchtigten Mafia-Bosses Salvatore Riina aus dem sizilianischen Corleone. Er hatte einst zugegeben, rund 400 Kilogramm Sprengstoff unter der Autobahn bei Palermo deponiert und den Auslöser der Bombe gedrückt zu haben, die Falcone, dessen Frau und drei Leibwächter am 23. Mai 1992 tötete. Auch an der Ermordung des Mafia-Jägers Paolo Borsellino soll Brusca beteiligt gewesen sein.

1996 umzingelten 400 Polizisten sein Haus in der Provinz Agrigent, in dem er sich mit seiner Familie versteckt hielt, und verhafteten ihn. Bald darauf begann er, mit den Justizbehörden zu kooperieren. Er gestand, „viel mehr als hundert, aber sicher weniger als zweihundert“ Menschen getötet zu haben. Seine Spitznamen war unter anderem „das Schwein“ und „der Schlächter“. Bruscas Aussagen sind teils jedoch sehr umstritten und werden angezweifelt.

Überwacht, aber frei

Der 64-Jährige wurde unter anderem als Auftraggeber für eines der grausigsten Mafia-Verbrechen verantwortlich gemacht: Eine Gruppe um ihn hatte den damals elfjährigen Sohn eines Mafia-Kronzeugen entführt, ihn mehr als zwei Jahre lang gefangen gehalten und den Vater mit Fotos erpresst. Später soll das Kind erwürgt und dessen Leiche dann in Säure aufgelöst worden sein. Allein dafür bekam Brusca 30 Jahre Haft.

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Den Sohn eines Mafia-Kronzeugen ließ Brusca entführen und ermorden

Wegen seiner Zusammenarbeit mit der Justiz, die zu mehreren Festnahmen anderer Mafiosi führte, hatte er 2019 um Hausarrest gebeten, sein Gesuch war jedoch abgelehnt worden. Am Montag schließlich konnte Brusca das römische Gefängnis Rebibbia verlassen, weil er seine Strafe abgesessen hat. Er wird sich in den nächsten vier Jahren regelmäßig bei der Polizei melden müssen, ist jedoch auf freiem Fuß.

„Inakzeptable Schande“

Alle Parteien kritisierten die Freilassung. „Das ist eine inakzeptable Schande“, twitterte Roms Bürgermeisterin Virginia Raggi von der populistischen Fünf-Sterne-Bewegung. Die Freilassung sei ein technisch unvermeidlicher Akt, aber moralisch nicht zu akzeptieren, schrieb die Ministerin für Süditalien von der konservativen Forza Italia, Mara Carfagna.

„Die Freilassung eines Bosses, der über 150 Delikte verübt und angeordnet hat und für den Tod des Anti-Mafia-Staatsanwalts Giovanni Falcone und seiner Eskorte 1992 verantwortlich ist, ist eine Schande für Italien und ein Affront gegenüber den Mafia-Toten und ihren Angehörigen. 25 Jahre Haft sind zu wenig für das, was er getan hat“, protestierte auch die Rechtspolitikerin Giorgia Meloni, Chefin der Oppositionspartei Fratelli d’Italia.

„Wie ist es möglich?“

Als „Faustschlag“ bezeichnete Sozialdemokraten-Chef Enrico Letta die Freilassung des Mafia-Bosses. „Wir fragen uns, wie ist es möglich?“, sagte Letta im Radio. Der Ex-EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani, Koordinator der Regierungspartei Forza Italia um Expremier Silvio Berlusconi, meinte, ein Krimineller wie Brusca dürfe keinerlei Strafbegünstigung erhalten.

Zerstörte Autobahn nach dem Anschlag auf Falcone
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Zerstörte Autobahn nach dem Attentat auf den Mafia-Jäger Falcone

Lega-Chef Matteo Salvini bezeichnete Bruscas Freilassung als „abscheulich“. „Wir respektieren die Gesetze, doch diese Gesetze müssen geändert werden. Brusca ist eine Bestie, die das Gefängnis nicht verlassen darf. Wenn jemand die lebenslange Haft verdient, dann ist es er“, so Salvini im TV-Interview.

„… wenn ich ihm begegnen würde“

Der Vater des ermordeten Buben und ehemalige Mafioso Santini DiMatteo sagte: „Ich kann keine Worte finden, um meine Verbitterung auszudrücken.“ Er könne nicht einmal auf einem Grab seines in Säure aufgelösten Sohnes weinen. „Ich weiß nicht, was passiert, wenn ich Brusca auf der Straße begegnen würde“, wurde DiMatteo von italienischen Medien am Dienstag zitiert.

Giovanni Falcone
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Givoanni Falcone wurde am 23. Mai 1992 durch eine Bombe getötet

„Gesetz, das mein Bruder wollte“

Falcones Schwester Maria kommentierte die Freilassung mit den Worten: „Menschlich schmerzt es mich, aber dies ist das Gesetz, ein Gesetz, das auch mein Bruder wollte und das daher respektiert werden muss.“ Sie hoffe nur, dass Justiz und Polizei wachsam seien, um die Gefahr einer neuen Straftat abzuwenden. „Jeder andere Kommentar erscheint mir völlig unangemessen“, so Maria Faclone.

„Hätten die Schlüssel wegwerfen sollen“

Falcones Fahrer Giuseppe Costanza, der das Attentat überlebt hatte, bezeichnete Bruscas Freilassung als „Beleidigung für die Menschen, die bei dem Massaker ums Leben kamen. Ich glaube, sie hätten die Gefängnisschlüssel wegwerfen sollen.“ 29 Jahre seien vergangen, aber weder Falcone noch seine Frau noch die Leibwächter werden jemals wieder ins Leben zurückkehren, fügte Costanza hinzu. „Für mich darf jeder, der sich mit solchen Massakern befleckt, nicht mehr aus dem Gefängnis raus.“

Die Witwe des Leiters von Falcones Polizeieskorte, Tina Montinaro, sagte: „Ich bin empört.“ Ganz Italien solle empört sein, nicht nur sie, die ihren Mann verloren habe. Der Staat sei gegen sie. „Nach 29 Jahren wissen wir immer noch nicht die Wahrheit über die Massaker, und Giovanni Brusca, jener Mann, der meine Familie zerstört hat, ist frei (…) Was soll ich meinem Enkel jetzt sagen?“