Flaggen vor dem israelischen Parlament Knesset
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Israel

Achtparteienpakt ohne Netanjahu steht

Mehr als zwei Monate nach der Parlamentswahl in Israel und einer langen politischen Lähmung hat der bisherige Oppositionsführer Jair Lapid ein Bündnis aus acht Parteien geschmiedet. Damit wäre das Ende der Ära von Benjamin Netanjahu besiegelt. Er hatte das Land zwölf Jahre regiert, länger als jeder andere Regierungschef.

Israel verharrte zuletzt in einer politischen Dauerkrise. Die vierte Parlamentswahl binnen zwei Jahren hatte Ende März erneut keine klaren Mehrheitsverhältnisse ergeben. Reuven Rivlin hatte am 5. Mai Lapid mit der Regierungsbildung beauftragt, Netanjahu war zuvor daran gescheitert.

Das Präsidialamt teilte am Mittwochabend mit, Lapid habe Präsident Reuven Rivlin darüber unterrichtet, dass er eine neue Regierung bilden könne. Als voraussichtlicher Vereidigungstermin galt Beobachtern zufolge der 14. Juni. Vor der Vereidigung muss eine einfache Mehrheit der 120 Abgeordneten für die neue Regierung stimmen.

Laut Medienberichten will Lapid nun keine Zeit mehr verlieren und drängt auf eine Vereidigung bereits am Montag. Die Fraktionen um den Vorsitzenden der Zukunftspartei bemühten sich zudem um eine Ablösung von Parlamentspräsident Jariv Levin, berichteten Medien am Donnerstag. Hintergrund seien Versuche des Lagers um Netanjahu, das geplante breite Bündnis von acht Parteien noch zu verhindern.

Yair Lapid
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Jair Lapid steht kurz davor, sein jahrelanges Ziel zu erreichen: die Entmachtung von Netanjahu

Höchst unterschiedliche Partner

Lapid war es am Mittwoch rund eine Stunde vor Ablauf der Frist zur Bildung einer Regierung gelungen, ein ungewöhnliches Bündnis zu schmieden. Er stützt sich auf ein Bündnis seiner Zukunftspartei mit sieben kleinen Parteien aus allen Bereichen des politischen Spektrums, darunter auch die Arbeiterpartei Meretz, die Partei „Neue Hoffnung“ des ehemaligen Netanjahu-Verbündeten Gideon Saar, die Siedler-Partei Jisrael Beitenu des säkularen Nationalisten Avigdor Lieberman und das Mitte-Bündnis Blau-Weiß des derzeitigen Verteidigungsministers Benny Ganz.

Sie eint vor allem die Ablehnung Netanjahus, eines Ministerpräsidenten unter Korruptionsanklage. Ihre politischen Ziele klaffen jedoch weit auseinander, das Bündnis steht damit wohl von Beginn an auf wackligen Beinen.

Wie israelische Medien berichteten, hatte kurz vor Ablauf der Frist auch der Vorsitzende der arabischen Raam-Partei, Mansour Abbas, eine Koalitionsvereinbarung unterzeichnet. Teil von Lapids Koalition dürfte auch die ultrarechte Jamina-Partei von Naftali Bennett werden, der nach der Wahl am 23. März als Zünglein an der Waage galt.

Offenbar Rotation bei Regierungschef

Lapid und Bennett einigten sich auf eine Rotation im Amt des Regierungschefs. Ex-Verteidigungsminister Bennett soll als erster für zwei Jahre Ministerpräsident werden, Lapid soll ihn anschließend ablösen. Lapid will zunächst das Amt des Außenministers übernehmen.

Analyse: Ära Netanjahu geht zu Ende

Israel verharrte zuletzt in einer politischen Dauerkrise. Die vierte Parlamentswahl binnen zwei Jahren hatte Ende März erneut keine klaren Mehrheitsverhältnisse ergeben. Reuven Rivlin hatte am 5. Mai Lapid mit der Regierungsbildung beauftragt. Netanjahu war zuvor daran gescheitert, analysiert ORF-Israel-Korrespondent Tim Cupal.

Seine Zukunftspartei ist in der politischen Mitte angesiedelt. Sie war bei der Wahl im März zweitstärkste Kraft nach der rechtskonservativen Partei Likud von Netanjahu geworden. Lapid war nach einer Karriere als Fernsehmoderator in die Politik eingestiegen. In einer früheren Netanjahu-Regierung diente er als Finanzminister.

Bereits von Geheimdienst geschützt

Bennett, der mit einem Internet-Start-up zum Millionär wurde, steht für national-religiöse Politik, seine Partei gilt als siedlerfreundlich. Die Koalitionspartner Meretz, die Arbeiterpartei sowie die arabische Partei Raam sind für die Gründung eines unabhängigen Palästinenserstaates. Das könnte die Arbeit der Lapid-Koalition erschweren.

Bennett steht indes bereits unter dem Schutz von Israels Inlandsgeheimdienst Schin Bet. Das bestätigte der Nachrichtendienst am Donnerstag. Die linksliberale „Haaretz“ bezeichnete das als „außergewöhnlich“, da der Schin Bet üblicherweise den Ministerpräsidenten erst schütze, wenn er im Amt sei. Hintergrund sei eine Zunahme an Hetze gegen den 49-jährigen Politiker. Der scheidende Premier Netanjahu hatte Bennett nach dem Eintritt in die neue Koalition etwa den „Betrug des Jahrhunderts“ vorgeworfen.

Seit 2009 im Amt

Netanjahu stemmt sich weiter gegen die neue Regierung seiner Gegner. „Alle Abgeordneten, die mit Stimmen von rechts gewählt wurden, müssen sich gegen diese gefährliche linksorientierte Regierung stemmen“, schrieb er am Donnerstag auf Twitter.

Netanjahu war von 1996 bis 1999 Ministerpräsident und danach seit 2009 durchgängig im Amt. Damit war er Israels am längsten amtierender Regierungschef. Das Land ist innenpolitisch tief gespalten. Binnen zwei Jahren gab es vier Parlamentswahlen, die alle bisher die innenpolitische Lähmung nicht überwinden konnten.

Begleitet wird diese von den Ermittlungen gegen Netanjahu. Er ist der erste amtierende Regierungschef des Landes, der wegen Bestechung und Machtmissbrauchs angeklagt ist. Er weist die Vorwürfe zurück und bezeichnet sich als Opfer einer „Hexenjagd“. Anfang April musste er wegen Korruptionsverdachts vor Gericht erscheinen.

Auch neuer Präsident gewählt

Ebenfalls am Mittwoch wählte das Parlament den früheren Oppositionsführer Jitchak Herzog zum Staatspräsidenten. Der 60-Jährige gewann am Mittwoch mit 87 zu 26 Stimmen gegen die 67 Jahre alte Lehrerin und Aktivistin Miriam Peretz. Herzog übernimmt am 9. Juli das Amt des bisherigen Präsidenten Rivlin.

Jitchak Herzog und Reuven Rivlin schütteln die Hände
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Jitchak Herzog (li.) und Reuven Rivlin schütteln einander die Hände

Herzog kündigte an, „Präsident aller Israelis“ zu sein und sich für eine Einheit in dem gespaltenen Land einzusetzen. „Jetzt ist die Zeit, Brücken zu bauen.“ Er werde weltweit gegen Antisemitismus und Israel-Hass kämpfen, sagte der ehemalige Rivale von Netanjahu. Als Chef der Arbeiterpartei hatte Herzog im Jahr 2015 die Parlamentswahl gegen Netanjahu verloren.