Joseph Hader mit Brille und gelbem Glas auf freiem Feld
Lukas Beck
Neuer Hader

Hinter Mistelbach wartet die Steinzeit

Wem die Stadt zu viel ist, und schnell kann einem die Stadt bekanntlich ja zu viel werden, der haut ab ins Umland. Und im Fall von Wien bedeutet Umland Richtung Norden: Weinviertel. Dort strandet Josef Hader in seinem neuen Programm „Hader on Ice“. Ein bisschen klingt der Titel nach Antidot zum männlichen Klimakterium. Und tatsächlich muss sich dieser alternde Mann in der Pose des trinkfreudigen Eremiten weniger von den Folgen einer Pandemie erholen als von der Bobo-Welt der Stadt – die er gleich Richtung Steinzeit expediert.

Es gibt schon Pandemie-Romane, Pandemie-Sachbücher, und auch das Kabarett könnte pandemieanfällig sein – und reflektieren müssen, ja sollen, was uns während der vergangenen 15 Monate bedrückt hat. Dass daraus aber keine haltbaren Pointen werden, weiß ein Profi wie Josef Hader, der mit neuem Programm aus dem Lockdown kommt und geradezu nahtlos an den vorpandemischen Misanthropen anknüpft.

Bei der Premiere in Wien besteht kein Zweifel: Seine Fans wollen genau diesen, sehr minimalistischen, trockenen Hader, dessen Auftritt in der Regie von Petra Dobetsberger wieder mehr an klassisches Kabarett denn an ein ausgearbeitetes Solostück voriger Programme („Hader muss weg“, das ebenso in der Regie von Dobetsberger umgesetzt wurde) erinnert. Hader braucht nur linkisch auf die Bühne zu treten, und die Ergebenheit ist auf seiner Seite. Kult lebt von Wiedererkennbarkeit – und gerade diesen Modus bedient Hader wie wenig andere. So hat auch das deutsche Feuilleton wieder Platz genommen, um hinter dem gerade in Deutschland so zelebrierten Phänomen Hader auch so was wie den Abgrund des Österreichischen zu suchen.

Wenig Raum für Tröpfchenwitze

Und so findet man ihn wieder auf der Bühne, den deklarierten Menschenfeind, der mal süßlich, mal grob, mal über alle Rollen reflektierend, austeilt. Und sich selbst nicht schont. Die Thematisierung der Pandemie möchte Hader in seinem neuen Programm rasch vom Tisch haben – ein paar Tröpfchenwitze und Warnungen vor Aerosolen müssen am Beginn genügen. Eher deutet Hader die Pandemie ja als ein Moment, um die Charaktereigenschaften normaler Zeiten noch genauer zum Vorschein zu bringen.

Veranstaltungshinweis

„Hader on Ice“ zieht nach einer Serie von Wien-Terminen in die Bundesländer und auch nach Deutschland weiter. Termine werden laufend auf der Website des Künstlers aktualisiert.

Geschickt spielt er mit Verschwörungsmythen oder stellt hohle Durchhalteparolen aus, etwa wenn er an den Satz erinnert: „Wer schnell hilft, hilft doppelt.“ Offenbar habe da jemand das Prinzip der Mathematik nicht verstanden. Auch hinterfragt er den Opferstatus, den sich viele „Corona-Leugner“ gebastelt hätten.

Doch all diese Punkte kommen nicht zentral im Programm vor. Hader hat eine ganz andere Agenda: Der weiße, alternde Mann, er muss abrechnen und braucht ein paar handfeste Feindbilder, die er im Wiener Kaffeehaus in Zeiten des Spätkapitalismus oder im siebenten Bezirk findet. Vor den neuen Wiener Kellnern, die langbärtig Latte macchiato und Begleitmineral servierten, sei er auf der Hut, denn die hätten einfach verlernt, was ein Wiener Kellner im Hauptberuf neben seinem Job zu sein habe: „ein Orschloch“ – mehr dazu in wien.ORF.at.

„Hader on Ice“: Premiere des neuen Programms

Kabarettist und Publikumsliebling Josef Hader ist nach 14 Jahren mit einem neuen Soloprogramm zurück. Mit den „Seitenblicken“ hat er über den aktuellen Zeitgeist und über das Altern sinniert.

Deshalb bleibt nur die Welt des Weinviertels. Dort sei es genauso fad wie in der Toskana bzw. noch schrecklicher. Allerdings sei das Marketing für diese Gegend Weltspitze. Haders „Über die Dörfer“, wie man das Programm in der ersten Hälfte auch nennen könnte, vermisst tatsächlich so etwas wie die Idealtopografie des Misanthropen. Es erzählt von einer Welt, weit hinter Mistelbach, in der die Bewohner die Namen ihrer Dörfer vergessen hätten, ja in einem derartigen Niemandsland lebten, dass sie, waren sie einmal in der großen Stadt, nicht mehr in ihre Heimat zurückfinden würden.

Das Elysium des Menschenfeindes

Diese Gegend, „in der 90 Prozent Kurz wählen und die anderen die Kommunisten, ohne dabei mitzukriegen, dass es die Sowjetunion nicht mehr gibt“, ist die Ideallandschaft für den gesättigten Menschenfeind. Dort fallen ihm alle Reflexionsmodelle zur Gegenwart zu, etwa dass der Mensch bald wieder in der Steinzeit leben müsse, wo sich alle Paradigmen der Gegenwart viel leichter erfüllen ließen: „Low Carb, im Winter dauerndes Intervallfasten – und unter den Achseln muss man sich dann auch nicht mehr rasieren.“

In dieser Niemandslandschaft, in der die Bedrohung stets außen liegt (Migranten, Städter oder der Wolf), aktualisiert sich die Losung des Plautus als landläufige Schizophrenie: Wenn der Mensch des Menschen Wolf sei, dann heißt das bei Hader: Vielleicht ist der Wolf der einzige Begleiter für den Menschen. Und so trifft Hader im Wald den Wolf – und nimmt ihn schließlich mit nach Hause. Vorher gehen sie, unerkannt, weil Faschingsdienstag ist, beim Billa einkaufen und besorgen sich fünf Kilo Fleisch, das am Abend zum großen Carpaccio umgearbeitet wird. Der Wolf, der heißt bei Hader „Rudl“, und so bleibt am Ende die Frage aller Fragen und die vielleicht schönste Pointe des Abends der gegenseitigen Vereinsamung: „Wo is eigentlich dein Rudl, Rudl?“