Gerichtsgebäude in Moskau
APA/AFP/Dimitar Dilkoff
„Extremistisch“

Russland verbietet Nawalny-Organisation

Die russische Justiz hat die politischen Organisationen des inhaftierten Kreml-Kritikers Nawalny als „extremistisch“ eingestuft. Durch die Entscheidung würden Nawalnys regionales Netzwerk sowie seine Antikorruptionsstiftung mit sofortiger Wirkung verboten, erklärte ein Moskauer Gericht am Mittwoch.

Bereits vor einigen Wochen war ein vorläufiges Betätigungsverbot gegen Nawalnys Regionalstäbe verhängt und die Tätigkeit seiner Antikorruptionsstiftung eklatant eingeschränkt worden. Wenige Tage später setzte die Finanzaufsichtsbehörde die Regionalstäbe auf die Liste extremistischer und terroristischer Organisationen.

Nawalnys Unterstützer beklagen, dass die Justiz so den Kampf gegen Korruption sowie die Straßenproteste vor der Dumawahl im September lahmlegen will. Im Zusammenhang mit einem neu erlassenen Gesetz dürfen sie nun unter anderem bei der Parlamentswahl im Herbst nicht mehr antreten.

Justiz sieht Destabilisierung

Aus Sicht der Moskauer Staatsanwaltschaft destabilisiert Nawalnys Bewegung „die gesellschaftlich-politische Lage im Land“. Sie rufe auf zu „extremistischen Aktivitäten, zu Massenunruhen – auch mit Versuchen, Minderjährige in gesetzeswidrige Handlungen zu verwickeln“. Mit der Einstufung als extremistisch gehen für Nawalnys Strukturen laut eigener Darstellung unter anderem Kontosperrungen, Arbeitsverbote und versiegelte Büroräume einher.

Pressekonferenz vor dem Gerichtsgebäude in Moskau
AP/Alexander Zemlianichenko
Der Prozess sorgte für großes Medieninteresse

Seit wenigen Tagen gilt zudem ein neues Gesetz, das es Unterstützern extremistischer Vereinigungen künftig verbietet, bei Wahlen zu kandidieren. Von russischen Oppositionellen war es mit Blick auf die absehbare Gerichtsentscheidung als „Anti-Nawalny-Gesetz“ bezeichnet worden. Nawalnys Team hatte dennoch angekündigt, nicht aufgeben zu wollen. Mit Blick auf die Duma-Wahl im September ruft es etwa zum „schlauen Abstimmen“ auf: Bürger sollen für einen beliebigen Kandidaten stimmen – nur nicht für jenen der Kreml-Partei.

Recherchen zu Korruption

Nawalnys Stiftung hat zahlreiche Berichte unter anderem zu Korruption und zum verschwenderischen Lebensstil der russischen Elite veröffentlicht. Zuletzt sorgte ein Video über ein Luxusanwesen am Schwarzen Meer für Aufsehen, das Putin gehören soll.

Zwei Bildschirme zeigen den  russischen Oppositionspolitiker Alexei Nawalny im Gefängnis
AP/Babuskinsky District Court Press Service
Zuletzt hatten Aufnahmen Nawalnys im Gefängnis Sorge über seine Gesundheit hervorgerufen

Erst im April waren landesweit Zehntausende Menschen bei Demonstrationen für den im Straflager inhaftierten 45-Jährigen auf die Straße gegangen. Bereits im Jänner gab es Massenproteste. Der populäre Oppositionspolitiker, der im vergangenen Jahr nur knapp einen Giftanschlag überlebte, ist seit Monaten in einem Straflager inhaftiert. Zwischenzeitlich befand er sich im Hungerstreik. Deutliche Kritik am Vorgehen der russischen Behörden kam zuletzt auch aus dem Ausland.

„Schlaues Abstimmen“

Die Antikorruptionsstiftung stellte im Vorfeld des Urteils trotzdem Widerstand in Aussicht. Vor allem die Strategie des „schlauen Abstimmens“ werde man mit Blick auf die Parlamentswahl im Herbst weiter bewerben, sagte Stiftungsdirektor Iwan Schdanow dem unabhängigen Internetsender Doschd am Mittwoch.

Nawalny selbst kritisierte in einem Instagram-Beitrag, dass der Gerichtsprozess unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand. Der 45-Jährige appellierte an alle Unterstützer, sich nicht unterkriegen zu lassen. „Solange es euch gibt, verschwinden wir nicht.“

USA: Besonders beunruhigend

Die US-Regierung verurteilte das Verbot der Nawalny-Organisation. „Mit dieser Maßnahme hat Russland faktisch eine der wenigen verbliebenen unabhängigen politischen Bewegungen des Landes kriminalisiert“, sagte der Sprecher des Außenministeriums, Ned Price, am Mittwochabend (Ortszeit). Washington rief Russland auf, die Bezeichnung von gewaltfreien Organisationen als extremistisch einzustellen, Nawalny und seine Anhänger nicht länger zu unterdrücken und internationale Verpflichtungen zur Achtung und Gewährleistung von Menschenrechten und Grundfreiheiten zu erfüllen.

Der jüngste Vorstoß sei „besonders beunruhigend“, aber auch bezeichnend für das zunehmende Vorgehen gegen die politische Opposition, die Zivilbevölkerung und unabhängige Medien. Die „New York Times“ sah in dem jüngsten Vorgehen der russischen Justiz auch eine Botschaft an US-Präsident Joe Biden, der sich am Mittwoch mit Kreml-Chef Wladimir Putin in Genf trifft. Die Entscheidung zeige, dass die russische Innenpolitik auf dem Gipfel nicht zur Debatte stehe.

Biden sagte am Mittwochabend zum Auftakt seiner Europareise vor US-Soldaten auf dem Luftwaffenstützpunkt Mildenhall in Ostengland, er treffe Putin, „um ihm mitzuteilen, was ich ihm mitteilen möchte“. Die USA suchten keinen Konflikt mit Russland, würden aber reagieren, wenn die russische Regierung „schändliche Handlungen“ begehe.