Martin Kreutner (ehem. Internationalen Antikorruptions-Akademie), ehemalige Korruptionsstaatsanwältin Christina Jilek, Verfassungsjurist Heinz Mayer, ehemalige Dritte Nationalratspräsidentin und LIF-Gründerin Heide Schmidt und Ex-ÖVP-Justizsprecher Michael Ikrath
APA/Helmut Fohringer
Rechtsstaat in Gefahr?

Volksbegehren gegen Korruption präsentiert

Eine Reihe hochrangiger Persönlichkeiten, unter ihnen der frühere Vorsitzende der Internationalen Antikorruptionsakademie, Martin Kreutner, Ex-ÖVP-Justizsprecher Michael Ikrath, Verfassungsjurist Heinz Mayer, die frühere „Ibiza“-Staatsanwältin Christina Jilek und die ehemalige Dritte Nationalratspräsidentin Heide Schmidt, kritisieren unter anderem die politischen Angriffe auf die Justiz in Österreich scharf. Sie planen daher ein Volksbegehren für den Rechtsstaat und gegen Korruption. Am Dienstag wurde es vorgestellt.

Ein umfangreiches Positionspapier wurde dafür erstellt, in dem die politischen Parteien und die Regierung aufgerufen werden, den Anstand und die Integrität des Rechtsstaats zu wahren. Teil der laut Eigenangaben „überparteilichen Initiative“ sind derzeit zwölf Proponentinnen und Proponenten, die das Volksbegehren initiiert haben.

Unterstützerinnen und Unterstützer sind außerdem Finanzjurist Werner Doralt, Ex-Rechnungshof-Präsident Franz Fiedler, der frühere Leiter der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA), Walter Geyer, die ehemalige Präsidentin des Obersten Gerichtshofs (OGH), Irmgard Griss, Kommunikationsberaterin Andrea Fried, der Jurist und Politologe Hubert Sickinger und etliche weitere. Sie vertreten laut eigener Angabe keine Partei und auch keinen Verein.

Anstoß für das Begehren sind die innenpolitischen Ereignisse der letzten Tage. Die Forderungen gehen aber weit über den Schutz der Justiz vor politischem Druck hinaus. Thematisiert wird außerdem die strukturelle Korruption durch die Verflechtung von Politik, Parteien und Unternehmen im Einfluss des Staates. Unter anderem treten die Initiatoren und Initiatorinnen auch für mehr Transparenz bei Postenbesetzungen ein. Außerdem wollen sie, dass die Gewaltenteilung in Österreich nicht angetastet und die Reputation der Justiz nicht schleichend beschädigt wird. Ein wichtiger Punkt im Volksbegehren ist auch die Unabhängigkeit der Medien.

„Korruption untergräbt Rechtsstaat“

„Es braucht Reformen, weil Korruption den Rechtsstaat untergräbt“, führte Kreutner näher aus. Die Bürgerinnen und Bürger des Landes hätten ein Recht darauf, so die Initiatorinnen und Initiatoren unisono, dass Politikerinnen und Politiker Anstand wahren, ihr Amt sowie die „Res publica“ achteten „und sich nicht nur am Strafrecht orientieren“, so der Jurist. Das gelte „völlig unabhängig von Stellung und Ansehen, Parteibuch und Parteispenden“. Ein Recht in der Republik Österreich bestehe außerdem auf Medien, „die nicht durch Inserate oder politischen Druck an ihrer unabhängigen Aufgabe gehindert werden“, sagte Kreutner weiters.

Kreutner plädiert für Reformen

Kreutner, früherer Vorsitzender der Internationalen Antikorruptionsakademie, ist einer der Hauptinitiatoren des Volksbegehrens.

Die Detailpapiere und Vorschläge umfassen in Summe 72 Einzelmaßnahmen zu fünf Themenblöcken. Diese sind Anstand und Integrität in der Politik, Gewaltenteilung, Unabhängigkeit der Justiz sowie der Ermittlungs- und Kontrollbehörden, eine umfassenden Antikorruptionsgesetzgebung sowie Pressefreiheit und Medienförderung.

Mayer: Compliance-Regeln in allen öffentlichen Strukturen

Verfassungsjurist Mayer trat insbesondere für eine Achtung der Gewaltenteilung ein, denn nur so könne die nötige Kontrolle ausgeübt werden. Außerdem forderte er eine Stärkung des Parlaments: Abgeordnete sollten den Bürgerinnen und Bürgern verpflichtet sein und nicht den Parteien.

Er lobte weiters den aktuellen U-Ausschuss, der gezeigt habe, wozu dieses Instrument imstande ist, wenn dort qualifizierte und konsequent arbeitende Abgeordnete am Werk seien und nicht solche, die sich nur als Vertreter bestimmter Parteien gerierten. Zudem hob Mayer hervor, dass „in den gesamten öffentlichen Strukturen Compliance-Regeln eingesetzt werden müssen“ und auch Sanktionen verhängt werden sollten.

Die frühere Ermittlerin der WKStA, Jilek, führte aus persönlicher Betroffenheit aus dem „Ibiza“-Untersuchungsausschuss aus, sie habe dort in puncto Nichtachtung des Rechtsstaats „Dinge gesehen, die ich nicht für möglich gehalten hätte“. Diese haben sie dazu veranlasst, sich aktiv an dem Antikorruptionsvolksbegehren zu beteiligen. „Die Lebensader einer starken Demokratie und Rechtsstaates ist eine starke und unabhängige Justiz“, so Jilek. „Wenn die Politik von Korruption betroffen ist, so kann sie nicht kontrollieren.“

„System beginnt zu kippen“

Jurist Ikrath betonte, dass in Österreich zumeist die Auffassung bestehe, dass man sich die Dinge schon so richten könne, wie man sie brauche. Ganz nach dem Motto: „Es wird schon nicht so heiß gegessen wie gekocht“, so Ikrath. Es sei ein „schlampiger Umgang, mit dem wir das Thema Korruption über Jahrzehnte behandeln“. Das habe dazu geführt, „dass wir in einer Situation sind, die das Problem systemisch gemacht hat“. Die Verdachtsfälle der jüngsten Vergangenheit würden zeigen, dass sich das Land am „Kipppunkt“ befinde, „dass das System zu kippen beginnt“, sagte Ikrath.

In Österreich gibt es mehr Korruption als im EU-Schnitt, zu diesem Ergebnis kommt das „Global Corruption Barometer“ von Transparency International, das auch Ikrath zitierte. „Bei den verantwortlichen Politikern müssten die Alarmglocken ganz laut schrillen. Diese Ignoranz ist völlig verantwortungslos und nicht mehr erträglich“, so Ikrath. Das Volksbegehren sei ein tauglicher Akt, hier eine Bewusstseinsbildung in Gang zu setzen. Er rief unter anderen Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) zum Handeln auf.

Schmidt verweist auf Wichtigkeit unabhängiger Medien

Die frühere Dritte Nationalratspräsidentin Schmidt verwies unterdessen darauf, dass die Lebensqualität der Bürgerinnen und Bürger unmittelbar bedroht sei, wenn der Rechtsstaat nicht funktioniere. Sie bedauere außerdem, viele Österreicherinnen und Österreicher würden nicht sehen, „in welchem System sie leben“. „Ich fürchte, dass die meisten das nicht realisieren oder wahrhaben wollen“, so Schmidt. „Aber das System (von Demokratie und Rechtsstaat, Anm.) und die Lebensqualität hängen unmittelbar zusammen.“ In Österreich „rutscht“ vieles bei Demokratie und Rechtsfragen, sagte Schmidt weiters, und ein Darüberhinwegsehen würde außerdem durch das weltweite Korruptionsgeschehen beeinflusst.

Schmidt besorgt wegen Lebensqualität

Schmidt, ehemalige Dritte Präsidentin des Nationalrats, verwies darauf, dass nicht nur Gerichte, sondern auch die Medien unabhängig sein müssen. Das stärke die Lebensqualität der Bürgerinnen und Bürger.

Auch Schmidt hob die Wichtigkeit der unabhängigen Medien hervor, insbesondere des ORF. So sollte die Funktionsperiode des Generaldirektors „so wie beim Rechnungshof“ auf zwölf Jahre begrenzt werden. Auf diese Weise gebe es „weniger Fesseln und Befangenheiten“. „Da muss man Maßnahmen treffen, dass das nicht auch ins Rutschen kommt“, so Schmidt. „Ich halte die Mediensituation für ganz entscheidend. Was Menschen lesen, hören, sehen, es beeinflusst sie. Es gehört dazu, Medien vor Einflussnahme zu schützen; und wie sich die Medienförderung gestaltet.“

Kurz nimmt Volksbegehren positiv auf

Die Regierungsseite nahm das Volksbegehren positiv auf. In einer schriftlichen Stellungnahme hob Kanzler Kurz die „Stärkung der unabhängigen Justiz“ samt Schaffung eines unabhängigen Bundesstaatsanwalts hervor. Auch die „Stärkung der Persönlichkeitsrechte von Bürgern, wie des Datenschutzes in einem Untersuchungsausschuss“, nannte er. Er sei dafür, dass das Volksbegehren wie jedes andere seriös und ernsthaft diskutiert werde.

Auch Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) kann dem Volksbegehren etwas abgewinnen. Auf eine Journalistenfrage in der gemeinsamen Pressekonferenz mit Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP), ob er das Volksbegehren unterschreiben werde, sagte Kogler, dass es nicht angelegt sei, dass Regierungspolitikerinnen und -politiker unmittelbar Volksbegehren unterstützten.

Er werde aber das Gespräch mit den Initiatoren suchen. Er sei sehr interessiert, so Kogler. Ob er unterschreiben wolle oder nicht, ließ der Vizekanzler offen. Blümel sagte auf die entsprechende Frage, dass er sich mit den Ergebnissen beschäftigen werde. Das sehe er als seine Aufgabe als Politiker, so Blümel.

NEOS, SPÖ und Grüne unterstützen Volksbegehren

Eine Unterstützungserklärung kam bereits von NEOS. „Die Menschen in diesem Land haben ein Recht auf saubere Politik, die den Rechtsstaat stärkt, anstatt ihn zu schwächen, die Transparenz und Anstand lebt, anstatt sich Korruption und Freunderlwirtschaft hinzugeben", so der stellvertretende NEOS-Klubobmann Nikolaus Scherak in einer Aussendung.

„Die Menschen verdienen integre Politikerinnen und Politiker, die sich hinter die unabhängige Justiz stellen, anstatt sie öffentlich zu diskreditieren. Und sie verdienen freie Medien, die unbeeinflusst und ohne politische Zurufe arbeiten können und sollen." An die Regierung gewandt sagte Scherak: „Selbst die ÖVP kann sich nun nicht mehr wegducken.“

Auch SPÖ-Justizsprecherin Selma Yildirim begrüßte das Volksbegehren als „Gewinn im Kampf gegen Korruption und für Rechtsstaatlichkeit in Österreich“ und wandte sich an die ÖVP. Diese „versinkt immer tiefer im türkisen Korruptionssumpf. Wenn ein Finanzminister den Verfassungsgerichtshof ignoriert, hohe Positionen von der ‚Familie‘ verschachert werden und mehrere Ermittlungen wegen mutmaßlich verratener Hausdurchsuchungen im Raum stehen, darf man nicht schweigen und zusehen“, so Yildirim.

Unterstützungserklärungen ab Ende Juni

Als „lebendige Demokratie" feierten indes die Grünen das Volksbegehren. Justiz- und Verfassungssprecherin Agnes Sirkka Prammer sieht das Volksbegehren „als klare Bestätigung unserer Positionen – es ist ein eindeutiger Auftrag, den Rechtsstaat zu stärken und eine unabhängige Justiz zu unterstützen“. „Saubere Politik braucht Transparenz und Kontrolle“, so Prammer. Sie wolle die Forderungen im Detail prüfen und bei der Umsetzung der Gesetzesvorhaben berücksichtigen. Prammer rechnet mit breiter Unterstützung.

Die formelle Einreichung des Volksbegehrens planen die Initiatorinnen am Dienstag oder Mittwoch. Gegen Ende Juni können die ersten Unterstützungserklärungen abgegeben werden. Eine angepeilte Unterstützerzahl nannte Kreutner nicht. „Es geht um ein qualitatives Ziel, wir wollen einen Diskussionsprozess auslösen“, sagte er. Auch ein Crowdfunding ist geplant, da das Volksbegehren zurzeit von den Trägerinnen und Trägern mit Eigenmitteln finanziert wurde. Deutlich weniger als 100.000 Euro sollen ausgegeben werden.