LGBT-Fahne vor ungarischem Parlament
Reuters/Marton Monus
Vorgeblicher Jugendschutz

Ungarn beschließt Anti-LGBTIQ-Gesetz

Gegen heftige Proteste aus der Zivilgesellschaft und der Opposition hat das ungarische Parlament am Dienstag das umstrittene Anti-Pädophilen-Gesetz verabschiedet. Mit dem Argument des Jugendschutzes sollen Kinder und Jugendliche künftig nur noch eingeschränkt Informationen über Sexualität erhalten, die keine heterosexuellen Vorgaben erfüllt. Das könnte sogar „Harry Potter“ betreffen.

157 der 199 Abgeordneten im ungarischen Parlament gaben dem Gesetz am Dienstag ihre Ja-Stimme. Neben der Regierungspartei von Premier Viktor Orban stimmten unter anderem auch die Abgeordneten der rechtsradikalen Jobbik für die „Gesetzesnovelle für ein strengeres Vorgehen gegen pädophile Straftäter und für den Kindesschutz“. Wie der Titel vermuten lässt, hatte der Gesetzesentwurf zunächst vor allem härtere Strafen für sexuelle Gewalt gegen Minderjährige vorgesehen.

Schon das ursprüngliche Vorhaben war dabei teils scharf kritisiert worden – etwa der Plan, ein „Register“ mit pädophilen Straftätern zu erstellen. Erst Ende vergangener Woche erweiterten FIDESZ-Abgeordnete den Entwurf dann aber noch um Punkte abseits sexueller Gewalt.

Wofür LGBTIQ steht

Die Abkürzung LGBT steht für Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender. Die spätere Erweiterung auf LGBTIQ soll auch intersexuelle und queere Menschen sichtbar machen.

„Harry Potter“ nur noch spätnachts

So sieht das Gesetz nun ein Verbot von Büchern, Filmen und anderen Medien vor, die Kindern und Jugendlichen zugänglich sind und in denen Sexualität dargestellt wird, die von der heterosexuellen abweicht. Der zur deutschen RTL-Gruppe gehörende Privatsender RTL Klub Ungarn gab bereits bekannt, dass er Filme wie „Billy Elliot“ und „Harry Potter“ künftig nur noch in der Nacht und mit Ü-18-Hinweis spielen dürfe.

Ungarn beschließt Anti-LGBTIQ-Gesetz

Das ungarische Parlament hat am Dienstag das Anti-Pädophilen-Gesetz verabschiedet. Mit dem Argument des Jugendschutzes sollen Kinder und Jugendliche künftig nur noch eingeschränkt Informationen über Sexualität, die keine heterosexuellen Vorgaben erfüllt, erhalten.

Darüber hinaus soll jede Art von Werbung verboten werden, in der Homosexuelle oder Transsexuelle als Teil einer Normalität erscheinen. Werbekampagnen, wie sie etwa vor zwei Jahren Coca-Cola in Ungarn lancierte, werden damit verunmöglicht. Das Gleiche gilt für Infoangebote von NGOs an Schulen zu Sexualität abseits heterosexueller Ausprägungen.

Vorwurf der Zensur

Kritikerinnen und Kritiker sehen darin die Bemühung, im EU-Land Ungarn eine homofeindliche Zensur nach russischem Vorbild einzuführen. Das Gesetz würde Meinungsfreiheit und Kinderrechte stark schmälern, ziele darauf ab, LGBTIQ-Menschen völlig aus der Öffentlichkeit verschwinden zu lassen, so die Kritik der linksliberalen Opposition. Nicht „die Homosexuellen sind eine Gefahr für die Kinder, sondern Sie“, bezichtigte Timea Szabo, Fraktionschefin der Oppositionspartei Parbeszed (Dialog), die FIDESZ-Abgeordneten. Noch am Montag hatten Tausende – erfolglos – gegen das Gesetz protestiert.

LGBT-Demonstration vor ungarischem Parlament
AP/MTI/Szilard Koszticsak
Montagabend gingen in Ungarn Tausende Menschen gegen den Gesetzesentwurf auf die Straße

Das Gesetz gilt als besonderes Anliegen von Ministerpräsident Orban. Seine Regierung begründete das Gesetzespaket mit dem Bestreben, das „Recht der Kinder auf ihre bei der Geburt empfangene geschlechtliche Identität“ schützen zu wollen. Verbände der LGBTIQ-Gemeinde und Menschenrechtsorganisationen verurteilten es als diskriminierend und einer Zensur Vorschub leistend. Es würde die Rechte homosexueller und transsexueller Jugendlicher „mit Füßen treten“, hieß es in ihren Stellungnahmen.

Kritik aus der EU

Ewa Ernst-Dziedzic, die Sprecherin der Grünen für LGBTIQ und Menschenrechte, verurteilte das „perfide Spiel“ Orbans, der Homosexualität mit Missbrauch an Kindern gleichsetze. Das heute verabschiedete Gesetz sei ein „Dammbruch sondergleichen“. „Noch nie ist der Abbau von LGBTIQ-Rechten in der Europäischen Union so rasant vorangeschritten wie aktuell in Ungarn“, so Ernst-Dziedzic in einer Aussendung.

Monika Vana, Delegationsleiterin der österreichischen Grünen im Europaparlament, forderte von der EU, Orban und seine Politik „klar in die Schranken zu weisen“. Die SPÖ-Europaabgeordnete Evelyn Regner sieht „eine besorgniserregende Entwicklung, wie die Rechte von LGBTIQ-Personen scheibchenweise beschnitten werden und so die Community unsichtbar gemacht werden soll. Eine solche Hetze steht konträr zu unseren europäischen Grundwerten, für die wir im EU-Parlament vehement eintreten“, sagte sie.

Die EU-Kommissarin für Gleichstellung, Helena Dalli, verwies am Dienstag in einem Interview der Thomson Reuters Foundation kurz vor der Abstimmung im ungarischen Parlament auf das Vorgehen gegen Regionen in Polen, die sich zu „LGBT-freien“ Zonen erklärt hatten. „Die Botschaft lautet: Wenn Sie die Werte der Demokratie oder Gleichheit der EU nicht hochhalten, sind Sie nicht berechtigt, Geld für Ihr Projekt zu erhalten.“ Die EU hatte bei mehreren polnischen Städten Gelder zurückgehalten.

Europarat: Gegen Menschenrechtsnormen

Die Menschenrechtskommissarin des Europarates, Dunja Mijatovic, hatte im Vorfeld in einer Aussendung die ungarischen Parlamentsabgeordneten aufgefordert, nicht für das Gesetz zu stimmen. Dieses sei nicht nur ein Angriff gegen Rechte und Identität von LGTBIQ-Menschen, sondern würde zugleich die Freiheit von Meinungsäußerung und Unterricht eines jeden Ungarn beschneiden. Die Rechtsregel stünde im Gegensatz zu den internationalen und europäischen Menschenrechtsnormen, heißt es in der Aussendung.

Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) sagte am Rande eines Treffens mit Frankreichs Europastaatssekretär Clement Beaune, sie habe das ungarische Projekt nicht im Detail verfolgt. Europa sei geeint, dass es keine Diskriminierung geben dürfe. Sie hoffe, dass die Aktion nicht gegen europäische Werte verstoße. Beaune nannte die Situation in Ungarn „besorgniserregend“. Sollte es eine berechtigte Sorge zu sexueller Diskriminierung geben, „werden wir die Stimme erheben“, sagte er. Es gehe nicht um Einmischung, sondern darum, Europa zu verteidigen.