Menschen schauen von Aussichtsplattform auf die Skyline von Hongkong
Reuters/Tyrone Siu
Angriff auf Pressefreiheit

Chinas Autorität über Hongkong wächst

Nach der Razzia bei der prodemokratischen Zeitung „Apple Daily“ spitzt sich die bereits angespannte Lage in Hongkong weiter zu. Seit Pekings Einführung des umstrittenen „Sicherheitsgesetzes“ wächst der Einfluss Chinas in der Sonderverwaltungszone stetig. Vor allem in den vergangenen Monaten stieg der Druck, von der Wahlrechtsreform im März bis zur jetzigen Eskalation. Kritik aus dem Ausland fällt dabei oft verhalten aus.

Ganz besonders im Hinblick auf die Pressefreiheit ist der Einfluss Pekings in Hongkong zuletzt deutlich spürbar geworden, wie Kritiker attestieren – die Razzia bei „Apple Daily“ stellt nun den neuen Höhepunkt dar. Am Freitag klagten die Behörden in der Sonderverwaltungszone Chefredakteur Ryan Law sowie Geschäftsführer Cheung Kim-hung an, am Samstag mussten sie bereits vor Gericht erscheinen.

Es ist bereits der zweite Schlag gegen das populistische Blatt, das dafür bekannt ist, nicht mit Kritik an Peking zu sparen. Herausgeber und Medienmogul Jimmy Lai wurde bereits im Vorjahr festgenommen, nach einer ersten Haftstrafe für seine Rolle bei Hongkongs Massenprotesten wurde er im April zu einem weiteren Jahr Haft verurteilt.

Redaktionräume  von Apple Daily nach der Razzia
APA/AFP/Anthony Wallace
Die Redaktionsräumlichkeiten von „Apple Daily“ wurden am Donnerstag durchsucht

Bei der Razzia am Donnerstag durchsuchten rund 500 Einsatzkräfte der Polizei die Redaktionsräume, insgesamt gab es fünf Festnahmen. Dem Chefredakteur und Geschäftsführer werden „geheime Absprachen mit einem anderen Land oder externen Elementen mit dem Ziel der Gefährdung der nationalen Sicherheit“ vorgeworfen.

„Sicherheitsgesetz“ als Grundlage

Die Grundlage dafür liefert das „Sicherheitsgesetz“, das im vergangenen Jahr trotz scharfer internationaler Kritik eingeführt wurde. Es geht direkt aus den Protesten in den Jahren 2019 und 2020 hervor – damals gingen Tausende unter anderem gegen die prochinesische Regierungschefin Carrie Lam auf die Straße. Expertinnen und Experten gehen davon aus, dass mit dem Gesetz China ein Entgleiten der Situation in Hongkong unterbinden wollte.

Laut Peking dient es „dem Schutz der nationalen Sicherheit in Hongkong“. Es richtet sich gegen Aktivitäten, die von Peking als subversiv, separatistisch bzw. terroristisch angesehen werden, und sieht auch lebenslange Haft als Höchststrafe für zahlreiche Vergehen vor. Seit dem Inkrafttreten erhöhte Peking damit den Druck auf Hongkong deutlich.

Zweifel an „Ein Land – zwei Systeme“

Die ersten Festnahmen folgten umgehend: Hunderte Aktivistinnen und Aktivisten wurden im vergangenen Jahr in Gewahrsam genommen, einige von ihnen zu langen Haftstrafen verurteilt. Im Zuge des Konflikts wurden auch die Beziehungen Pekings zum Westen auf die Probe gestellt: Heftige Kritik wurde in vielen Staaten laut, der damalige US-Präsident Donald Trump belegte China mit Sanktionen, auch das Verhältnis Pekings zu Großbritannien – Hongkong war bis 1997 Kronkolonie der Briten – litt.

Bei der Übergabe Hongkongs an China wurde Großbritannien die Autonomie der nun ehemaligen Kolonie zugesagt. Nach dem Prinzip „Ein Land – zwei Systeme“ durfte Hongkong das demokratische System behalten. Entsprechend scharf wurden die Einschnitte im letzten Jahr, allen voran das „Sicherheitsgesetz“ kritisiert.

Wahlrechtsreform als Wendepunkt

Der Aufschrei aus dem Ausland bremste Peking allerdings nicht – ganz im Gegenteil, im neuen Jahr erhöhte China den Druck auf Hongkong. Im März wurde eine tief einschneidende Wahlrechtsreform verhängt: Peking räumte sich selbst ein Vetorecht ein, um etwa bestimmte Kandidaten ausschließen zu können.

Kritik kam von außen wie von innen: Gegenüber der BBC sagte im April etwa der Chef der oppositionellen Demokratischen Partei, Lo Kin-hei, dass mit der Wahlrechtsreform Hongkong „um 20 Jahre zurückgeworfen“ werde. Lee Jonghyuk, Politologe und Assistenzprofessor an einer Uni in Singapur, sagte der BBC, dass es „zu spät“ sei: „Chinas Führung wird dem Druck der Öffentlichkeit nie nachgeben.“ Mit dem rasanten Vorgehen wollte Peking verhindern, dass ihm die Situation in Hongkong entgleite und damit zu einer „Kettenreaktion“ führen könnte, so Lee.

Zuletzt wurden auch das zweite Jahr in Folge die Mahnwache anlässlich des Massakers auf dem Platz des Himmlischen Friedens (Tiananmen) verboten. Offizielle Begründung aus der Sonderverwaltungszone war die Pandemie – doch Kritikerinnen und Kritiker vermuteten im Hinblick auf das harschere Vorgehens Pekings politische Motive dahinter.

Auch öffentlich-rechtlicher Rundfunk offenbar unter Druck

„Apple Daily“ ist offenbar nicht das einzige Medium, das sich unter den neuen Verhältnissen in Hongkong mit Bedrohungen konfrontiert sieht. Schon Anfang Juni berichtete der „Guardian“ etwa über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk RTHK, der von der Regierung finanziert wird: Anonyme Mitarbeiter des Senders, der auch für kritische Berichterstattung bekannt ist, sagten dem Blatt, dass politische Storys nicht mehr „erlaubt“ seien.

Zeitungsstapel von Apple Daily
APA/AFP/Anthony Wallace
„Apple Daily“ steht nicht als einziges Medium unter Druck

Die Geduld der Regierung in Hongkong sei am Ende, sagt Chris Yeung, Chef der Hongkonger Journalistenvereinigung: Man könne keinen Sender tolerieren, der kritische und manchmal auch unangenehme Beiträge bringe. Doch das sei ein Warnsignal, so eine Mitarbeiterin des Senders gegenüber dem „Guardian“: „Wenn RTHK Propaganda wird, bedeutet das den Tod der Medien Hongkongs.“

Westen im Zwiespalt

Und obgleich der Westen, egal ob EU, Großbritannien oder USA, fast umgehend nach Bekanntwerden der jüngsten Eskalation mit Kritik reagiert hat: Richtige Konsequenzen werden selten daraus gezogen, zu wichtig ist das Verhältnis für viele Staaten mit Peking. So gilt wohl nicht nur für die EU China als strategischer Rivale, aber gleichzeitig auch als wichtiger Partner, wie zuletzt Ratspräsident Charles Michel das Verhältnis auf dem G-7-Gipfel beschrieb.

Mit der geäußerten Kritik verurteilt der Westen zwar die Politik Chinas in der Sonderverwaltungszone – ohne reale Auswirkungen wird Peking aber wohl nicht umlenken. Die Pressefreiheit sieht man in Hongkong nicht in Gefahr, der Beauftragte für Sicherheitsfragen, John Lee, sagte zu der Razzia bei „Apple Daily“: Der Einsatz der Regierung gelte nicht der Pressefreiheit, „wir zielen auf Verrat ab, der die nationale Sicherheit gefährdet.“

Doch selbst wenn der Westen schärfer reagieren würde – ein Kurswechsel in der Hongkong-Frage ist alles andere als sicher. Zuletzt hatte etwa die EU ein Investititionsabkommen mit China auf Eis gelegt. Auswirkungen habe das aber keine, wie auch der Politikwissenschaftler Lee der BBC im April sagte: „Selbst internationale Kritik wird sie nicht zum Umlenken bringen.“ Er sieht die gesamte Demokratie in Hongkong in Gefahr: Es werde „keine Umkehr geben. Das ist praktisch sicher, das allgemeine Wahlrecht ist nur ein Hindernis für die Stabilität des Regimes der Kommunistischen Partei.“

Wahl noch dieses Jahr

Für die Regierung in Hongkong und auch Peking steht der nächste Belastungstest unterdessen schon bevor: Die eigentlich bereits im Vorjahr geplante Regionalwahl soll nun im Dezember stattfinden. Diese galten zwar schon bisher nicht als komplett frei – durch das neue Wahlrecht könnte die Opposition im gesetzgebenden Legislativrat noch weiter schrumpfen – zugunsten des Pro-Peking-Lagers, das schon jetzt eine deutliche Mehrheit innehat.

Es bleibt abzuwarten, wie sich die Situation in Hongkong entwickelt, für die Medien könnten die nächsten Monate noch weitere Hürden bieten. Wie der „Guardian“ berichtete, ist auch ein Gesetz in Planung, das „Fake News“ verbieten solle – laut Kritikern soll es Regierung und Polizei obliegen, diesen Begriff zu definieren.

Razzia lässt Auflage explodieren

Die Razzia diese Woche hat das Interesse an der Tageszeitung „Apple Daily“ jedenfalls enorm gesteigert: Die Auflage wurde von sonst 80.000 auf 500.000 Exemplare erweitert – viele kaufen die Zeitung auch aus Solidarität. Gegenüber der Nachrichtenagentur AFP sagte eine Frau: „Viele Jahre lang haben wir Pressefreiheit genossen und konnten alles sagen.“ Nun habe sich die Lage in Hongkong innerhalb eines Jahres komplett verschlechtert. Ein weiterer Kunde sagte, „Apple Daily“ sei eine einzigartige Stimme in Hongkong: „Man mag sie vielleicht nicht, aber man muss ihnen ihre Stimme lassen – sie überleben lassen. Das ist wichtig.“