Polizisten am Tatort in der Amsterdamer Lange Leidsedwarsstraat
APA/AFP/Evert Elzinga
Niederlande

Anschlag auf Reporter sorgt für Entsetzen

Ein Mordanschlag auf einen prominenten Kriminalreporter sorgt in den Niederlanden für Entsetzen: Der Journalist Peter R. de Vries war auf offener Straße niedergeschossen worden. Nach der Festnahme von Verdächtigen hofft die Polizei auf eine schnelle Aufklärung der Tat. Ministerpräsident Mark Rutte sprach in der Nacht auf Mittwoch von einem „Anschlag auf den freien Journalismus.“

Der Mordanschlag ereignete sich, unmittelbar nachdem der Reporter gegen 19.30 Uhr ein TV-Studio am Leidseplein im Zentrum von Amsterdam verlassen hatte – er war dort in einer Talkshow aufgetreten. Augenzeugen sagten dem Fernsehsender NOS, sie hätten fünf Schüsse gehört. Die Polizei teilte später mit, de Vries sei mit einem Kopfschuss ins Spital gebracht worden.

Eine Anrainerin berichtete der Tageszeitung „Het Parool“, sie sei auf die Straße gegangen, als sie die Schüsse hörte. Dort habe sie de Vries mit blutüberströmtem Gesicht auf dem Boden liegen sehen. Der Journalist habe nicht mehr sprechen können, sei aber noch am Leben gewesen. Bis zum Eintreffen der Rettungskräfte habe sie seine Hand gehalten.

„Kämpft um sein Leben“

„Peter R. de Vries kämpft um sein Leben“, sagte die Bürgermeisterin von Amsterdam, Femke Halsema, zutiefst bestürzt. Drei Verdächtige wurden nach Angaben der Polizei festgenommen, darunter auch der mutmaßliche Schütze. Zu den Hintergründen der Tat ist noch nichts bekannt – eine Sonderkommission wurde eingesetzt und soll rasch Erkenntnisse liefern.

Der niederländische Kriminalreporter Peter R. de Vries
APA/AFP/Bas Czerwinski
Der Mordanschlag auf den Reporter de Vries sorgt für Entsetzen im ganzen Land

Vertrauensperson des Kronzeugen in großem Prozess

De Vries gilt als führender Kriminalreporter der Niederlande und tritt regelmäßig auch als Sprecher von Opfern und Zeugen bei Prozessen auf. Regelmäßig ist er auch Gast bei TV-Talkshows. Zurzeit ist er die Vertrauensperson des Kronzeugen in einem großen Prozess gegen das organisierte Verbrechen. Dieser packte über die Struktur einer international agierenden Drogenbande aus. 2019 waren bereits der Anwalt des Kronzeugen und auch der Bruder des Kronzeugen erschossen worden.

Mehrere Anschläge auf Medien

Die Staatsanwaltschaft im „Marengo-Prozess“ nannte die kriminelle Vereinigung „eine gut geölte Tötungsmaschine“. Die Bande um den mutmaßlichen Kopf Ridouan Taghi hatte es schon länger auf jene abgesehen, die über sie berichteten. 2016 wurde der ehemalige Kriminelle und Kriminalblogger Martin Kok erschossen. Er hatte über Taghi geschrieben. Zudem soll Taghi – derzeit in einem Hochsicherheitsgefängnis im Süden des Landes inhaftiert – hinter mehreren Anschlägen auf Medien stecken.

Im Juni 2018 raste ein Lieferwagen in der Nacht in die gläserne Außenfassade des Verlagsgebäudes des „Telegraaf“. Das Auto explodierte, die Fahrer flüchteten. Es entstand hoher Sachschaden. Wenige Tage zuvor wurden die Redaktionsräume der Zeitschriften „Panorama“ und „Nieuwe Revu“ mit Panzerfäusten beschossen. Als Täter wurden Motorradrocker ausgemacht, das Motiv blieb unklar. „Telegraf“ und „Panorama“ hatten ausführlich über Taghi berichtet.

Treffen auf höchster Ebene

Über den Mordanschlag auf de Vries berichteten TV-Sender nun unmittelbar nach der Tat in Sondersendungen. Auf höchsten Ebenen fanden umgehend Treffen und Beratungen statt: Rutte und Justizminister Ferd Grapperhaus waren mit der Anti-Terror-Behörde zusammengekommen.

Das Königspaar – derzeit in Deutschland auf Staatsbesuch – reagierte „tief schockiert“. „Das ist ein Angriff auf den Journalismus, ein Grundpfeiler unseres Rechtsstaats“, sagte König Willem-Alexander am Mittwoch vor Journalisten, „und damit ist es ein Angriff auf unsere verfassungsrechtliche Ordnung.“

Politiker mehrerer Parteien und die Journalistengewerkschaft äußerten sich entsetzt. Das Komitee zum Schutz von Journalisten forderte Aufklärung darüber, ob de Vries aufgrund seiner Arbeit angegriffen wurde. Zudem müssten die Behörden sicherstellen, „dass der Angreifer und die Drahtzieher vor Gericht gestellt werden“.

Bestseller über Heineken-Entführung

De Vries ist über die Grenzen hinaus bekannt für seine Berichte über spektakuläre Verbrechen: So sorgte der Reporter 1987 mit seinem Bestseller über die Entführung des Bierbrauers Freddy Heineken für Aufsehen. 2008 gewann er einen Emmy Award für seine Reportagen über den Fall von Natalee Holloway. Die US-Amerikanerin war 2005 auf Aruba verschwunden und vermutlich von einem Niederländer getötet worden.