Haitischer Polizist vor einer Menge an Menschen
Reuters/Ricardo Arduengo
Nach Präsidentenmord

Haiti fordert US- und UNO-Truppen an

Der Mordanschlag auf den haitianischen Präsidenten Jovenel Moise hat in dem Karibik-Staat ein Machtvakuum entstehen lassen. So erklärten sich bereits zwei Männer zum Interimsregierungschef. Ein Vertreter der haitianischen Regierung forderte unterdessen US- und UNO-Truppen an, um strategisch wichtige Orte sichern zu können. Washington winkte ab.

„Während eines Gesprächs mit dem US-Außenminister und der UNO haben wir diese Bitte geäußert“, sagte der für Wahlangelegenheiten zuständige Minister Mathias Pierre am Freitag der Nachrichtenagentur AFP hinsichtlich der Bitte um Entsendung ausländischer Truppen. Die Soldaten sollten unter anderem zur Sicherung der Häfen und des Flughafens eingesetzt werden.

Die USA lehnten die Anfrage ab: Die Vereinigten Staaten hätten keine Pläne, Haiti „zu diesem Zeitpunkt“ militärische Hilfe zu gewähren, sagte ein hochrangiger Beamter der US-Regierung. In einem Gespräch zwischen dem bisherigen Interimspräsidenten Claude Joseph und US-Außenminister Antony Blinken Mittwoch hatte Joseph die Anfrage auf Sicherheitsunterstützung gestellt. Allerdings kündigten die USA die Entsendung einer Delegation von FBI-Agenten sowie Beamten des Heimatschutzes an.

Die UNO äußerte sich bisher nicht. Aus Diplomatenkreisen hieß es jedoch, dass es vor einer Entsendung von UNO-Truppen nach Haiti eine entsprechende Resolution des UNO-Sicherheitsrats geben müsse.

17 Festnahmen nach Moise-Mord

Moise war in der Nacht zu Mittwoch in seinem Haus in Port-au-Prince erschossen worden. Nach Polizeiangaben war ein Killerkommando aus „26 Kolumbianern und zwei US-Bürgern haitianischer Herkunft“ an dem Attentat beteiligt. 17 Verdächtige wurden nach einer Schießerei in einem Vorort der Hauptstadt Port-au-Prince festgenommen, drei Verdächtige wurden getötet – weitere acht sind nach wie vor auf freiem Fuß.

Haitis Präsident Moise im Oktober 2020
Reuters/Andres Martinez Casares
Jovenel Moise wurde in der Nacht auf Mittwoch ermordet

Moise, seit 2017 im Amt, war äußerst unbeliebt. Ihm wurden Korruption, Verbindungen zu brutalen Banden und autokratische Tendenzen vorgeworfen. Bereits im Februar hatten Oppositionsparteien einen Richter am Obersten Gerichtshof zum Übergangspräsidenten ernannt, weil aus ihrer Sicht Moises Amtszeit abgelaufen war. Proteste legten Haiti in den vergangenen drei Jahren immer wieder lahm. Zuletzt trieben blutige Kämpfe zwischen Banden um die Kontrolle über Teile der Hauptstadt Tausende Menschen in die Flucht.

Senat wählte Übergangspräsidenten

International hatte der Anschlag, dessen Hintergründe unklar sind, Furcht vor einem weiteren Abgleiten des von Instabilität und Armut geprägten Karibik-Staats in Gewalt ausgelöst – auch deshalb, weil die Frage nach dem Nachfolger des ermorderten Moise ungelöst scheint – zwei Männer erheben Führungsanspruch.

So wählte etwa Haitis Senat seinen bisherigen Präsidenten Joseph Lambert zu Moises interimistischem Nachfolger. „Ich spreche den politischen Institutionen, die mich unterstützen, meine bescheidene Dankbarkeit aus“, schrieb Lambert am Freitagabend (Ortszeit) auf dem Kurznachrichtendienst Twitter. Er wolle den Weg für einen demokratischen Machtwechsel ebnen. Im September sind in Haiti Präsidenten- und Parlamentswahlen geplant.

Allerdings ist der Senat – das Oberhaus des haitianischen Parlaments – seit Jänner 2010 nicht mehr beschlussfähig. Es ist daher unklar, ob Lambert tatsächlich das Amt antreten kann. Weil eine für Oktober 2019 vorgesehene Parlamentswahl unter anderem wegen heftiger Proteste gegen Moise ausgefallen war, gibt es nur noch zehn von 30 Senatoren, deren Amtszeiten nicht abgelaufen sind. Im Unterhaus, der Abgeordnetenkammer, sitzt niemand mehr. Acht der zehn Senatoren stimmten Medienberichten zufolge für Bertrand, zwei enthielten sich.

Claude Joseph sieht sich als Übergangschef

Zuvor hatten sich am Freitag auch mehrere politische Akteure in dem Karibik-Staat, der sich die Insel Hispaniola mit der spanischsprachigen Dominikanischen Republik teilt, auf Lambert als Interimsstaatschef geeinigt. Das geht aus einem Schreiben hervor, das von Vertretern mehrerer Parteien und Bewegungen unterschrieben wurde – darunter auch der konservativen PHTK, der Moise angehörte.

Es fehlten aber auch Unterschriften einiger wichtiger Kräfte. Interimspremierminister und damit Regierungschef soll demzufolge der Neurochirurg Ariel Henry werden. Diesen hatte Moise noch am Montag für das Amt ernannt. Henrys für Mittwoch geplante Vereidigung war nach dem Attentat aber ausgefallen.

Doch auch der Außenminister und bisherige Interimspremierminister Claude Joseph erklärte sich zum amtierenden Interimsregierungschef. Als solcher hielt er in den vergangenen Tagen Ansprachen an die Nation, unterzeichnete Erlasse und führte Gespräche mit Vertretern ausländischer Regierungen. In einem Interview der haitianischen Zeitung „Le Nouvelliste“ sagte Henry, seiner Ansicht nach sei er Premierminister – nicht Joseph.