Autobahnkreuz
ORF.at/Christian Öser
EU-Klimapaket

Österreich muss aufholen

Die EU-Kommission hat am Mittwoch ihr Paket „Fit for 55“ vorgestellt mit zahlreichen Vorschlägen zur Reduktion von Treibhausgasen. Das ehrgeizige Ziel, 55 Prozent der CO2-Emissionen einzusparen, soll durch Maßnahmen in allen Wirtschaftsbereichen erzielt werden. Österreich hinkt hier hinterher und muss aufholen. Die Wirtschaft fürchtet Schaden.

So wie in vielen Ländern ist auch in Österreich der Verkehr das größte Klimaschutzproblem. Die Emissionen waren sogar in dem Pandemiejahr 2020 um 55 Prozent höher als 1990, wie eine Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts (WIFO) zeigte. Im EU-Vergleich hat der Verkehr in Österreich pro Kopf den dritthöchsten CO2-Ausstoß. Auch von der im Regierungsprogramm festgelegten Klimaneutralität bis 2040 ist man weit entfernt.

Nun will die EU-Kommission aber die Zügel anziehen. Voriges Jahr hatten sich alle Mitgliedsländer auf das Ziel geeinigt, statt 40 Prozent nun bis 2030 55 Prozent der Emissionen einzusparen. Den Fahrplan dazu legte sie anhand von weitreichenden Vorschlägen am Mittwoch als „Fit for 55“-Paket vor. Jedes Land und alle Sektoren sollen dazu beitragen, das Ziel zu erreichen und in weiterer Folge dann im Jahr 2050 komplett klimaneutral zu sein.

Gewessler für schnelle Umsetzung

Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) begrüßte das EU-Konzept. „Das Paket bringt viele wichtige Maßnahmen, jetzt geht es darum, sie rasch und ambitioniert umzusetzen. Österreich wird auch in Zukunft in Europa Seite an Seite mit den Vorreitern im Klimaschutz darauf hinarbeiten“, so Gewessler in einer Aussendung. Sie habe schon vor einiger Zeit ein einheitliches Umstiegsdatum auf saubere Autos gefordert.

„Es ist sehr erfreulich, dass diese Vorschläge ernst genommen wurden und sich im Paket wiederfinden.“ Zur Umsetzung gehöre auch der Aufbau einer Ladeinfrastruktur für E-Autos. Österreich sei hier „bereits vorne dabei, und wir werden gemeinsam mit der ASFINAG diese Bemühungen nochmals deutlich intensivieren. Auch bei dem Ende des Steuerprivilegs auf Kerosin kommt die EU einer Forderung Österreichs nach“, so Gewessler.

Weitere Vorschläge des Pakets wie zum Emissionshandel, einen schnelleren Umstieg auf erneuerbare Energien und einen Fonds zur sozialen Gerechtigkeit will das Klimaschutzministerium in den kommenden Tagen prüfen, wie es hieß. Der Staatssekretär im Klimaschutzministerium, Magnus Brunner (ÖVP), wollte in einer Reaktion auf das Paket „nichts von Verboten und Belastungen“ wissen: „Viel mehr müssen wir Anreize schaffen und innovative Zukunftstechnologien wie Wasserstoff forcieren.“

EU peilt drastische CO2-Emissionsreduktion an

Die EU will CO2-Emissionen bis 2030 um 55 Prozent senken. Für Heizen und Verkehr soll es eine CO2-Steuer geben, und ab 2035 verbietet die EU den Kauf von Autos mit Verbrennungsmotoren. Die eingenommene Steuer soll umverteilt werden.

NGOs: „Zu wenig, zu spät“

Klimaschutzorganisationen kritisierten rasch nach der Präsentation die Vorschläge. „Zu wenig und zu spät“, kommentierte etwa der WWF das Konzept. Die Ziele seien zu wenig ambitioniert.

Auch Global 2000 bewertete das Klimapaket in einer ersten Reaktion als einen Schritt in die richtige Richtung, sah aber noch viel Luft nach oben. In vielen Punkten blieben die Vorschläge „zahnlos“. Das Europäische Umweltbüro (EEB), eine Dachorganisation von NGOs mit Sitz in Brüssel, kritisierte schon im Vorfeld, dass die Maßnahmen nicht ausreichen würden, um langfristig klimaneutral zu werden.

Wirtschaft befürchtet Wettbewerbsnachteile

Andere Sorgen drückten heute Interessenvertreter der Wirtschaft aus. Sie sorgten sich um die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen, wenn die Kosten für CO2-Emissionen steigen. Ein Anstieg der „Carbon Leakage“, der Abwanderung in Länder mit weniger Klimaauflagen, wird befürchtet. Der Präsident der Wirtschaftskammer Österreich (WKO), Harald Mahrer, forderte, die EU solle den Druck auf Drittstaaten erhöhen.

Durch das Verteuern der CO2-Zertifikate in Europa allein „wird weder die Transformation in der EU gelingen noch der erfolgreiche Export von klimafreundlicher Technologie durch europäische Betriebe“, so Mahrer. Die WKÖ spricht sich daher für einen globalen CO2-Mindestpreis aus.

Österreichs Industrie betonte, man unterstütze grundsätzlich das Ziel der EU, langfristig klimaneutral zu werden. Solange aber keine gleichen Wettbewerbsbedingungen herrschten, müsste verhindert werden, dass Schlüsselindustriezweige stark belastet würden und die Produktion in Länder mit klimafeindlicher Produktion verlagert werde. Die nun präsentierten Eckpunkte genügten nicht, um Industrieunternehmen im globalen Wettbewerb „eine hinreichende Perspektive für eine erfolgreiche Transformation am Standort Europa zu eröffnen“, so der Präsident der Industriellenvereinigung (IV), Georg Knill.

Chemie und Luftfahrt stark betroffen

Stark betroffen vom EU-Paket wäre die chemische Industrie. Sonnenkollektoren, Batterien, Windturbinen und Wasserstoff bis hin zu Gebäudeisolierungen werden unter teilweise energieintensiven Bedingungen mit Stoffen und Innovationen aus der chemischen Industrie beliefert. „Die vorgeschlagenen Maßnahmen müssen daher so ausgestaltet werden, dass der Innovations- und Produktionsstandort Europa gestärkt wird und unsere Unternehmen ihr volles Potenzial für den Klimaschutz ausschöpfen können“, so Sylvia Hofinger, Geschäftsführerin des Fachverbands der Chemischen Industrie Österreichs.

Auch die Luftfahrtbranche befürchtet durch die geplanten Maßnahmen, beim Wettbewerb einzubüßen. Der Flughafenverband ADV wie auch die deutsche AUA-Mutter Lufthansa verlangten, zusätzliche finanzielle Lasten nicht einseitig den europäischen Anbietern aufzubürden. Dafür brauche es Ausgleichsinstrumente. Die AUA erklärte, dass regionale Maßnahmen dazu führen könnten, dass Umsteigeflüge auf Drehkreuze außerhalb der EU verlagert werden. Die Maßnahmen dürften nicht wettbewerbsverzerrend wirken, „sonst ist dem Klima nicht geholfen, aber der heimischen Wirtschaft maximal geschadet,“ so AUA-Chef Alexis von Hoensbroech.

Pressekonferenz im EU-Parlament
APA/AFP/John Thys
Die EU-Kommission stellte am Mittwoch ihr Konzept in Brüssel vor – Rat und Parlament müssen noch zustimmen

Soziale Abfederung gefordert

Österreichs Strombranche freute sich: Die Weichen für den Umbau des Energiesystems seien nun gestellt, nun brauche es eine aufeinander abgestimmte Ausarbeitung, sagte der Präsident der Interessenvertretung Oesterreichs Energie, Verbund-Chef Michael Strugl. Der europäische Strommarkt gehörte schon zuvor zu den Vorreitern bei der CO2-Einsparung. Hier gab es in den vergangenen Jahren große Fortschritte, die technischen Voraussetzungen gelten allerdings auch als besser als etwa bei energieintensiven Produktionen wie der Stahlindustrie.

Arbeiterkammer (AK) und Österreichischer Gewerkschaftsbund (ÖGB) pochten auf die soziale Abfederung. Die AK unterstütze die Klimapolitik, zentral sei „allerdings, dass die Teilhabe an einer klimaneutralen Zukunft für alle möglich sein muss“, so AK-Präsidentin Renate Anderl. Die Gestaltung der Veränderungen im Wirtschaftssystem im Sinn der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sei „eine vordringliche politische Herausforderung“, so ÖGB-Chef Wolfgang Katzian.

Sorge vor Belastung der Bevölkerung

Österreichs Parteien begrüßten großteils das Paket, sorgten sich aber einerseits um die Unternehmen, andererseits über soziale Härten. Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) sagte, es gelte, keine Zeit zu verlieren. „Gleichzeitig müssen wir sicherstellen, dass die Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen und Industrie gewahrt bleibt.“ Das Klimapaket gebe die richtige Richtung vor, sagten die SPÖ-Europaabgeordneten Andreas Schieder und Günther Sidl. Klar sei, dass Transport- und Heizkosten in Zukunft erschwinglich sein müssen. Thomas Waitz, EU-Abgeordneter der Grünen, betonte, Klimawandel und Umweltzerstörung seien eine existenzielle Bedrohung für Europa und die gesamte Welt.

Vor schweren Belastungen für die Bürger warnte die FPÖ. „Sie bekommen jetzt die saftige Rechnung dafür präsentiert, dass Kommissionschefin Ursula von der Leyen unbedingt eine weltweite Vorreiterrolle spielen will, obwohl die EU nur für rund zehn Prozent der globalen Treibhausgase verantwortlich ist“, sagte FPÖ-Delegationsleiter Harald Vilimsky. Die NEOS-Europaabgeordnete Claudia Gamon sagte, das angekündigte Verbot von Verbrennungsmotoren sei lediglich das Anerkennen der Realität. Die Kommission bediene die richtigen Hebel, so Gamon: „Der Emissionshandel ist das zentrale Instrument unserer Klimaschutzpolitik.“

Viele Streitpunkte

Das Paket ist keineswegs in Stein gemeißelt. Zunächst muss verhandelt werden, danach müssen noch Mitgliedsstaaten und EU-Parlament zustimmen. Der Prozess kann noch zwei Jahre dauern. Streitpunkte gibt es viele: Das Konzept umfasst alle Sektoren und greift in die Wirtschaft ein. Zu den wichtigsten Punkten zählt ein Preisaufschlag auf Sprit, Heizöl und Gas, mit dem der Klimaschutz in Verkehr und Gebäuden Einzug halten soll.

Die Neuwagenflotten der Autoproduzenten müssen bis 2030 ihren Verbrauch im Schnitt um 55 Prozent unter das jetzt gültige Niveau senken. Ab 2035 dürfen gar keine herkömmlichen Diesel oder Benziner mehr neu zugelassen werden. Zudem soll die Steuerbefreiung für Flugbenzin in der EU ein Ende haben. Die Fluglinien sollen bis 2030 auch mindestens zwei Prozent klimafreundliche Kraftstoffe beimischen. Bis 2050 soll der Anteil auf 65 Prozent steigen.

Eigener Sozialfonds

Industriezweige wie Stahl, Zement und Chemie wurden bisher durch die Gratiszuteilung von Verschmutzungsrechten und weitere Erleichterungen im weltweiten Wettbewerb geschützt. Um die Umstellung auf eine klimafreundliche Produktion voranzubringen, sollen die Gratisausgabe und der Verkauf der Rechte gekürzt werden. Zudem soll auch die regelmäßige, jährliche Kürzung beschleunigt werden. Auch der Seeschiffsverkehr innerhalb der EU-Gewässer muss den Plänen zufolge Verschmutzungsrechte erwerben und wird in den Handel aufgenommen.

Um die europäische Industrie zu schützen, ist ab 2026 eine CO2-Grenzabgabe geplant. Importe in die EU aus Ländern mit klimafeindlicher Produktion sollen so teurer werden. Die Kommission setzte sich außerdem das Ziel, der Anteil erneuerbarer Energie am Energieverbrauch soll auf 40 Prozent steigen. Derzeit liegt der Anteil um die 20 Prozent. Auch die Einsparvorgabe für Energie wurde verschärft.

Von vielen dieser Maßnahmen wären gerade ärmere Haushalte stark betroffen. Die Preise für Sprit oder Heizöl dürften steigen. Proteste wie jener der „Gelbwesten“ in Frankreich will man aber vermeiden. Dafür soll ein eigener Sozialfonds eingerichtet werden.

Timmermans zu CO2-Reduktionsplänen der EU

Der Vizepräsident der EU-Kommission und EU-Kommissar für Klimaschutz, Frans Timmermans, erklärt die Vorschriften der EU zur drastischen Reduktion von Emissionen binnen weniger Jahre.

Timmermans verteidigt Initiative

EU-Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans verteidigte am Mittwochabend in der ZIB2 den Kommissionsvorschlag. Manchen aus der Industrie gingen die Vorschläge vielleicht zu weit, aber „wenn wir das so über die Bühne bringen können, führen wir die Welt an“, sagte der niederländische Sozialdemokrat. Österreich sei beim Klimaschutz ein Vorbild, die anderen Länder würden aber nachsetzen, so Timmermans.

Zwar sei die EU nur für acht Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich, nun gelte es eben, die anderen Staaten der Welt überzeugen. Der Kohleausstieg werde in ganz Europa beschleunigt, so Timmermans. Es gebe keinen wirtschaftlichen Grund mehr, auf Kohle zu setzen, dass wüssten auch die Polen, so der Kommissionsvizepräsident.